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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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zukommen. Wir gehen in diesen Tagen nach Bitry le Frcmyois, 1^/-. Meilen von
hier, das unsre Garnison werden soll.

Das; wir einigermaßen anßer uns sind, die Auserwählten fiir Frankreich zu
sein, kannst du dir denken; nachdem das Regiment vier Jahre in Holstein ge¬
standen hatte, konnte man uns wohl endlich zur Ruhe kommen lassen.

Nächstens hoffen wir, daß großes Avancement herauskommt, was namentlich
unser Regiment gut vertragen konnte. Ich war gestern bei den dritten Husaren zum
Besuch, wo ein Rittmeister, der fünf Jahr jünger ist als ich, so steht, wie ich hier.
Dabei haben wir das Glück, überall gelobt zu werden, aber niemand thut etwas
sür uns. Kürzlich ist Oberst von Barnekow, mein alter Eskadronchef von den
Kürassierer, unser Brigadier geworden; die Division hat Bnddenbrock, mit dem ich
auf Athen zusammen war. Seit acht Tagen haben wir immer Regen; im Mai
sind fast alle Weinstöcke bei Epernay erfroren.




jDreußisch-Berlin und die deutsche Provinz

igcntlich ist diese Überschrift nicht richtig. Denn die Deutschen
haben keinen Einheitsstaat und darum auch keine Provinzen.
Die deutschen Stämme haben sich einen Bundesstaat errichtet,
in dem berechtigte Eigentümlichkeiten der verschiednen Landschafts-
bewvhner anerkannt und geachtet werden. Der oberste Deutsche,
der Kaiser, wohnt in der Hauptstadt eines deutschen Einzelstaats, der das
kaiserliche Stammland ist; aber das Reich erkennt, was deu Sitz seiner oberste"
Behörde" betrifft, Berlin nicht durchweg als Hauptstadt an. Der höchste
Gerichtshof sowie der Rechnungshof des Reiches befindet sich nicht in der
sogenannten Reichshcinptstadt. Berlin bedeutet also in amtlicher Beziehung
nicht Deutschland, noch weniger in ethischer, wenn man dieses neuerdings so
viel mißbrauchte Wort anwenden will.

Gleichwohl ist es gestattet, im Gegensatz zu dem Berlin, das. so gern
Deutschland sein möchte, das nichtberlinische Deutschland als die Provinz zu
bezeichnen. Wir wühle" diese Bezeichnung, um dem Standpunkte des Berlin-
gläubigen die Ketzerei entgegenzusetzen, daß Berlin für Deutschland nicht das
sei. was Paris für Frankreich ist. Wohlgemerkt: eine Ketzerei in de" Auge"
des Berliufanatikers, sonst aber eine schou vielfach anerkannte Wahrheit. Aber
^ ist "ölig, daß das Recht der sogenannten Provinz auch dem Berlinortho-
dvre" ein wenig klar gemacht werde. Helfen wird es freilich nicht viel, aber
schaden kau" es auch nichts.

Wir Deutschen "logen im Staatsgedanken uuitarisch vorwärtsstreben, in


zukommen. Wir gehen in diesen Tagen nach Bitry le Frcmyois, 1^/-. Meilen von
hier, das unsre Garnison werden soll.

Das; wir einigermaßen anßer uns sind, die Auserwählten fiir Frankreich zu
sein, kannst du dir denken; nachdem das Regiment vier Jahre in Holstein ge¬
standen hatte, konnte man uns wohl endlich zur Ruhe kommen lassen.

Nächstens hoffen wir, daß großes Avancement herauskommt, was namentlich
unser Regiment gut vertragen konnte. Ich war gestern bei den dritten Husaren zum
Besuch, wo ein Rittmeister, der fünf Jahr jünger ist als ich, so steht, wie ich hier.
Dabei haben wir das Glück, überall gelobt zu werden, aber niemand thut etwas
sür uns. Kürzlich ist Oberst von Barnekow, mein alter Eskadronchef von den
Kürassierer, unser Brigadier geworden; die Division hat Bnddenbrock, mit dem ich
auf Athen zusammen war. Seit acht Tagen haben wir immer Regen; im Mai
sind fast alle Weinstöcke bei Epernay erfroren.




jDreußisch-Berlin und die deutsche Provinz

igcntlich ist diese Überschrift nicht richtig. Denn die Deutschen
haben keinen Einheitsstaat und darum auch keine Provinzen.
Die deutschen Stämme haben sich einen Bundesstaat errichtet,
in dem berechtigte Eigentümlichkeiten der verschiednen Landschafts-
bewvhner anerkannt und geachtet werden. Der oberste Deutsche,
der Kaiser, wohnt in der Hauptstadt eines deutschen Einzelstaats, der das
kaiserliche Stammland ist; aber das Reich erkennt, was deu Sitz seiner oberste»
Behörde» betrifft, Berlin nicht durchweg als Hauptstadt an. Der höchste
Gerichtshof sowie der Rechnungshof des Reiches befindet sich nicht in der
sogenannten Reichshcinptstadt. Berlin bedeutet also in amtlicher Beziehung
nicht Deutschland, noch weniger in ethischer, wenn man dieses neuerdings so
viel mißbrauchte Wort anwenden will.

Gleichwohl ist es gestattet, im Gegensatz zu dem Berlin, das. so gern
Deutschland sein möchte, das nichtberlinische Deutschland als die Provinz zu
bezeichnen. Wir wühle» diese Bezeichnung, um dem Standpunkte des Berlin-
gläubigen die Ketzerei entgegenzusetzen, daß Berlin für Deutschland nicht das
sei. was Paris für Frankreich ist. Wohlgemerkt: eine Ketzerei in de» Auge»
des Berliufanatikers, sonst aber eine schou vielfach anerkannte Wahrheit. Aber
^ ist »ölig, daß das Recht der sogenannten Provinz auch dem Berlinortho-
dvre» ein wenig klar gemacht werde. Helfen wird es freilich nicht viel, aber
schaden kau» es auch nichts.

Wir Deutschen »logen im Staatsgedanken uuitarisch vorwärtsstreben, in


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[0129] zukommen. Wir gehen in diesen Tagen nach Bitry le Frcmyois, 1^/-. Meilen von hier, das unsre Garnison werden soll. Das; wir einigermaßen anßer uns sind, die Auserwählten fiir Frankreich zu sein, kannst du dir denken; nachdem das Regiment vier Jahre in Holstein ge¬ standen hatte, konnte man uns wohl endlich zur Ruhe kommen lassen. Nächstens hoffen wir, daß großes Avancement herauskommt, was namentlich unser Regiment gut vertragen konnte. Ich war gestern bei den dritten Husaren zum Besuch, wo ein Rittmeister, der fünf Jahr jünger ist als ich, so steht, wie ich hier. Dabei haben wir das Glück, überall gelobt zu werden, aber niemand thut etwas sür uns. Kürzlich ist Oberst von Barnekow, mein alter Eskadronchef von den Kürassierer, unser Brigadier geworden; die Division hat Bnddenbrock, mit dem ich auf Athen zusammen war. Seit acht Tagen haben wir immer Regen; im Mai sind fast alle Weinstöcke bei Epernay erfroren. jDreußisch-Berlin und die deutsche Provinz igcntlich ist diese Überschrift nicht richtig. Denn die Deutschen haben keinen Einheitsstaat und darum auch keine Provinzen. Die deutschen Stämme haben sich einen Bundesstaat errichtet, in dem berechtigte Eigentümlichkeiten der verschiednen Landschafts- bewvhner anerkannt und geachtet werden. Der oberste Deutsche, der Kaiser, wohnt in der Hauptstadt eines deutschen Einzelstaats, der das kaiserliche Stammland ist; aber das Reich erkennt, was deu Sitz seiner oberste» Behörde» betrifft, Berlin nicht durchweg als Hauptstadt an. Der höchste Gerichtshof sowie der Rechnungshof des Reiches befindet sich nicht in der sogenannten Reichshcinptstadt. Berlin bedeutet also in amtlicher Beziehung nicht Deutschland, noch weniger in ethischer, wenn man dieses neuerdings so viel mißbrauchte Wort anwenden will. Gleichwohl ist es gestattet, im Gegensatz zu dem Berlin, das. so gern Deutschland sein möchte, das nichtberlinische Deutschland als die Provinz zu bezeichnen. Wir wühle» diese Bezeichnung, um dem Standpunkte des Berlin- gläubigen die Ketzerei entgegenzusetzen, daß Berlin für Deutschland nicht das sei. was Paris für Frankreich ist. Wohlgemerkt: eine Ketzerei in de» Auge» des Berliufanatikers, sonst aber eine schou vielfach anerkannte Wahrheit. Aber ^ ist »ölig, daß das Recht der sogenannten Provinz auch dem Berlinortho- dvre» ein wenig klar gemacht werde. Helfen wird es freilich nicht viel, aber schaden kau» es auch nichts. Wir Deutschen »logen im Staatsgedanken uuitarisch vorwärtsstreben, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/129>, abgerufen am 23.07.2024.