Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.<Lin Kapitel von deutscher Lyrik zügliche Gedichte, die man noch nach Jahrzehnten mit demselben Genuß lesen <Lin Kapitel von deutscher Lyrik zügliche Gedichte, die man noch nach Jahrzehnten mit demselben Genuß lesen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213885"/> <fw type="header" place="top"> <Lin Kapitel von deutscher Lyrik</fw><lb/> <p xml:id="ID_287" prev="#ID_286" next="#ID_288"> zügliche Gedichte, die man noch nach Jahrzehnten mit demselben Genuß lesen<lb/> wird wie heute. Der novellistische Teil bringt eine humoristische Geschichte<lb/> ,.Fräulein Susannens Weihnachtsabend" von Marie Ebner-Eschenbach und eine<lb/> Novelle ,,Der Floßmeister" vou Max Haushofer, die beide teilnehmende Leser<lb/> finden werden, ohne gerade das zu sein, was an dieser Stelle gefordert werden<lb/> sollte: in sich geschlossene, tiefgehaltvolle kleine Kunstwerke. Die Aufnahme<lb/> der Novelle in den Musenalmanach kann nur dadurch gerechtfertigt werden,<lb/> daß die mitgeteilten Erzählungen über den Durchschnittswert hinausragen.<lb/> Die poetischen Erzählungen und Balladen haben der Novellistik gegenüber den<lb/> Vorteil, daß hier zwanzig Dichter gegen zwei stehen, was der eine etwa ver¬<lb/> greift, von dem andern rasch wettgemacht wird die Verschiedenheit der Stoffe<lb/> und des Tons in den kurzen Erzählungen in gebundner Rede einen Schein<lb/> des Reichtums giebt, der natürlich bei den beiden Novellen fehlt. Aus der<lb/> Reihe der erzählenden Gedichte des diesjährigen Almanachs seien zunächst<lb/> hervorgehoben „Gnlncire" von Otto Roquette, ein orientalisches Märchen in<lb/> einer Vortragsweise, die bestätigt, daß sich die behaglich heitere Fabulirlust<lb/> Vater Wielands von Zeit zu Zeit auf einen modernen Dichter niederläßt,<lb/> nur daß dieser die Form strenger handhabt, als es der glückliche Erzähler<lb/> des Oberon mußte, ..Godiva," eine altenglische Sage von Heinrich Kruse, ein<lb/> paar Balladen von Ernst Ziel (,,Frau Goneril" und „Kathrein von Liebenzell")<lb/> in jenem ältern Stil der Ballade, wo sie wirklich noch Tanzlied war. Auf<lb/> eigner Erfindung beruhen die poetischen Erzählungen „Die letzte Rose" von<lb/> Adolf Stern, ,,Don Juans Ende" von Ernst Eckstein, „Der sterbende Amor"<lb/> von Julius N. Haarhaus, „Das Blumenmädchen" von Karl Weitbrecht,<lb/> „Mutter und Kind" von Hermann Hangv und das Terziuengedicht „Liebet<lb/> eure Feinde" von Karl Wvermann. Gedichte wie „Beranger" von I. Prölß,<lb/> „Der alte Seemann" von Johannes Trojan, „Agathe" von Georg Scherer<lb/> sollten wohl lieber der lyrischen Abteilung angehören, als der erzählenden.<lb/> Bei der großen Zahl lyrischer Gaben finden wir meist Spender mit alt¬<lb/> bekannten Gesichtern; einer der wirklich Alten — Friedrich Bodenstedt — ist<lb/> vor dem Erscheinen des Almanachs, zu dem er noch beigesteuert hat, Heim¬<lb/> gegangen. Aber viele, die ihren siebzigsten Geburtstag hinter sich haben, be¬<lb/> legen den altarabischem Weisheitsspruch, daß Dichten wie Lieben eine unaus¬<lb/> rottbar schlimme Angewohnheit sei, und so fehlen unter der Schar, die Braun<lb/> zusammengerufen hat, weder Graf Schack uoch Hermann Lingg, weder Rudolf<lb/> Gottschall noch Eduard Duboc. Aus den lyrischen Beitrügen, in denen grund-<lb/> verschiedne Töne vom lachenden Übermut bis zur tiefsten Trauer und zur<lb/> trostlosesten Resignation angeschlagen werden, heben wir als besonders schön<lb/> und ergreifend „Auf dem Kalvarienberg" von Adolf Wilbrcmdt, den Cyklus<lb/> „Abwärts" von Wilhelm Imsen, „Regentage" von Heinrich Bulthaupt, „Re¬<lb/> signation" von Arthur Fitger, „Gerechtigkeit" von Hermann Lingg, die Lieder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
<Lin Kapitel von deutscher Lyrik
zügliche Gedichte, die man noch nach Jahrzehnten mit demselben Genuß lesen
wird wie heute. Der novellistische Teil bringt eine humoristische Geschichte
,.Fräulein Susannens Weihnachtsabend" von Marie Ebner-Eschenbach und eine
Novelle ,,Der Floßmeister" vou Max Haushofer, die beide teilnehmende Leser
finden werden, ohne gerade das zu sein, was an dieser Stelle gefordert werden
sollte: in sich geschlossene, tiefgehaltvolle kleine Kunstwerke. Die Aufnahme
der Novelle in den Musenalmanach kann nur dadurch gerechtfertigt werden,
daß die mitgeteilten Erzählungen über den Durchschnittswert hinausragen.
Die poetischen Erzählungen und Balladen haben der Novellistik gegenüber den
Vorteil, daß hier zwanzig Dichter gegen zwei stehen, was der eine etwa ver¬
greift, von dem andern rasch wettgemacht wird die Verschiedenheit der Stoffe
und des Tons in den kurzen Erzählungen in gebundner Rede einen Schein
des Reichtums giebt, der natürlich bei den beiden Novellen fehlt. Aus der
Reihe der erzählenden Gedichte des diesjährigen Almanachs seien zunächst
hervorgehoben „Gnlncire" von Otto Roquette, ein orientalisches Märchen in
einer Vortragsweise, die bestätigt, daß sich die behaglich heitere Fabulirlust
Vater Wielands von Zeit zu Zeit auf einen modernen Dichter niederläßt,
nur daß dieser die Form strenger handhabt, als es der glückliche Erzähler
des Oberon mußte, ..Godiva," eine altenglische Sage von Heinrich Kruse, ein
paar Balladen von Ernst Ziel (,,Frau Goneril" und „Kathrein von Liebenzell")
in jenem ältern Stil der Ballade, wo sie wirklich noch Tanzlied war. Auf
eigner Erfindung beruhen die poetischen Erzählungen „Die letzte Rose" von
Adolf Stern, ,,Don Juans Ende" von Ernst Eckstein, „Der sterbende Amor"
von Julius N. Haarhaus, „Das Blumenmädchen" von Karl Weitbrecht,
„Mutter und Kind" von Hermann Hangv und das Terziuengedicht „Liebet
eure Feinde" von Karl Wvermann. Gedichte wie „Beranger" von I. Prölß,
„Der alte Seemann" von Johannes Trojan, „Agathe" von Georg Scherer
sollten wohl lieber der lyrischen Abteilung angehören, als der erzählenden.
Bei der großen Zahl lyrischer Gaben finden wir meist Spender mit alt¬
bekannten Gesichtern; einer der wirklich Alten — Friedrich Bodenstedt — ist
vor dem Erscheinen des Almanachs, zu dem er noch beigesteuert hat, Heim¬
gegangen. Aber viele, die ihren siebzigsten Geburtstag hinter sich haben, be¬
legen den altarabischem Weisheitsspruch, daß Dichten wie Lieben eine unaus¬
rottbar schlimme Angewohnheit sei, und so fehlen unter der Schar, die Braun
zusammengerufen hat, weder Graf Schack uoch Hermann Lingg, weder Rudolf
Gottschall noch Eduard Duboc. Aus den lyrischen Beitrügen, in denen grund-
verschiedne Töne vom lachenden Übermut bis zur tiefsten Trauer und zur
trostlosesten Resignation angeschlagen werden, heben wir als besonders schön
und ergreifend „Auf dem Kalvarienberg" von Adolf Wilbrcmdt, den Cyklus
„Abwärts" von Wilhelm Imsen, „Regentage" von Heinrich Bulthaupt, „Re¬
signation" von Arthur Fitger, „Gerechtigkeit" von Hermann Lingg, die Lieder
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