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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Iveltseele und allermodernste Lthik

noch etwas hinansgeschobe", und der Komet kann bis auf weitres seineu
Schwanz behalten, bis sich die Weltseele seiner erbarmt.

Die Weltseele? Allerdings. Denn als sie mit einander berieten und sprachen:
Wohlauf! Lasset uns einen Turm bauen, der bis an den Himmel reiche, das;
wir uns einen Namen machen, da riefen die einen: Solch Narrenwerk ziemt
uns nicht, denn es giebt keinen Himmel! während die andern meinten, es
gebe wohl einen Himmel, aber das sei ein Ding für sich und habe mit der
Erde nichts zu schaffe". So redeten sie mit einander, und keiner verstand des
andern Sprache, denn sie hatten sich unter einander noch mehr verwirret, als
sie es vordem schon waren.

Da trat unter ihnen auf ein großer Prophet, schön von Angesicht und
mit gellender Stimme begabt. Der rief: "Für uns ist Ethik allein Religion!
Wir sind sehr wohl imstande, eine auf Wissenschaft gegründete Ethik zu
schaffen. Wir dürfen uns nur nicht auf veraltete, überlebte Dogmen berufen,
denn wir glauben weder an Götzen "och an alte Kleid""gsstücke; wir glauben
an die Weltseele, etwa im Sinne Goethes. Es ist nötig, daß wir die Wissen¬
schaft als Basis unsers Erkennens annehmen, die Bernunft, nicht die Unver¬
nunft, nicht Gewalten, von denen wir nichts wissen und kennen. Dann werden
nur große Fortschritte herbeiführe". Wir müssen dahin wirken z. B. durch
Petitionen a" de" Reichstag, daß wir de" Schutz des Gesetzes erlange" zu
Gunsten der vernünftigen Ethik gegen Unvernunft."

Bravo! Da sieht man doch, wo und wie! Wie viel besser hats doch der
moderne Prophet, als seine Kollegen im alten Bunde. Er läßt sich ein Patent
auf seine Ethik geben, oder "ein, er läßt seine Weltanschauung vom Reichs¬
tag z"in Neichsgesetz erhebe" und die Unvernunft dann von der Polizei hinaus¬
fegen. Das ist Freisinn und schneidiger Fortschritt! Dagegen konnte Jeremias
nur Klagelieder erheben, die kein Patentamt erweichten und zu keine," Reichs¬
tage drangen.

Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode. Eine noch größere -- Un-
befangenheit liegt aber in dem Satze, daß wir das Wissen, die Vernunft als
Grundlage unsers Erkennens annehmen und in einem Atem versichern sollen:
Wir glauben an die Weltseele. Heißt das nicht, wir sollen die alten Götzen
ablegen und dafür eine" neue" aufrichten? Oder ist die Weltseele Gegenstand
der Wissenschaft, die allein vernünftig ist? Nein, denn es heißt: Wir "glauben"
an die Weltseele. Nun sollen wir uns aber "ach den Worten des neuen Pro¬
pheten nicht an Gewalten hängen, von denen wir nichts wissen und "indes
kennen. Was aber wissen wir von der Weltseele? Gehört nicht gerade sie in
die eben geschilderte Klasse allerdnukelster Gewalten?

Nein, sagt der Prophet, wir glaube" an sie im Sinne Goethes. Was ist
das für el" Sir"? Darüber wird uns Goethe selbst den besten Aufschluß
geben. Klar und deutlich spricht er uns: "Ich für mich kann bei den maimich-


Iveltseele und allermodernste Lthik

noch etwas hinansgeschobe», und der Komet kann bis auf weitres seineu
Schwanz behalten, bis sich die Weltseele seiner erbarmt.

Die Weltseele? Allerdings. Denn als sie mit einander berieten und sprachen:
Wohlauf! Lasset uns einen Turm bauen, der bis an den Himmel reiche, das;
wir uns einen Namen machen, da riefen die einen: Solch Narrenwerk ziemt
uns nicht, denn es giebt keinen Himmel! während die andern meinten, es
gebe wohl einen Himmel, aber das sei ein Ding für sich und habe mit der
Erde nichts zu schaffe». So redeten sie mit einander, und keiner verstand des
andern Sprache, denn sie hatten sich unter einander noch mehr verwirret, als
sie es vordem schon waren.

Da trat unter ihnen auf ein großer Prophet, schön von Angesicht und
mit gellender Stimme begabt. Der rief: „Für uns ist Ethik allein Religion!
Wir sind sehr wohl imstande, eine auf Wissenschaft gegründete Ethik zu
schaffen. Wir dürfen uns nur nicht auf veraltete, überlebte Dogmen berufen,
denn wir glauben weder an Götzen »och an alte Kleid»»gsstücke; wir glauben
an die Weltseele, etwa im Sinne Goethes. Es ist nötig, daß wir die Wissen¬
schaft als Basis unsers Erkennens annehmen, die Bernunft, nicht die Unver¬
nunft, nicht Gewalten, von denen wir nichts wissen und kennen. Dann werden
nur große Fortschritte herbeiführe». Wir müssen dahin wirken z. B. durch
Petitionen a» de» Reichstag, daß wir de» Schutz des Gesetzes erlange» zu
Gunsten der vernünftigen Ethik gegen Unvernunft."

Bravo! Da sieht man doch, wo und wie! Wie viel besser hats doch der
moderne Prophet, als seine Kollegen im alten Bunde. Er läßt sich ein Patent
auf seine Ethik geben, oder »ein, er läßt seine Weltanschauung vom Reichs¬
tag z»in Neichsgesetz erhebe» und die Unvernunft dann von der Polizei hinaus¬
fegen. Das ist Freisinn und schneidiger Fortschritt! Dagegen konnte Jeremias
nur Klagelieder erheben, die kein Patentamt erweichten und zu keine,» Reichs¬
tage drangen.

Ist es schon Tollheit, hat es doch Methode. Eine noch größere — Un-
befangenheit liegt aber in dem Satze, daß wir das Wissen, die Vernunft als
Grundlage unsers Erkennens annehmen und in einem Atem versichern sollen:
Wir glauben an die Weltseele. Heißt das nicht, wir sollen die alten Götzen
ablegen und dafür eine» neue» aufrichten? Oder ist die Weltseele Gegenstand
der Wissenschaft, die allein vernünftig ist? Nein, denn es heißt: Wir „glauben"
an die Weltseele. Nun sollen wir uns aber »ach den Worten des neuen Pro¬
pheten nicht an Gewalten hängen, von denen wir nichts wissen und »indes
kennen. Was aber wissen wir von der Weltseele? Gehört nicht gerade sie in
die eben geschilderte Klasse allerdnukelster Gewalten?

Nein, sagt der Prophet, wir glaube» an sie im Sinne Goethes. Was ist
das für el» Sir»? Darüber wird uns Goethe selbst den besten Aufschluß
geben. Klar und deutlich spricht er uns: „Ich für mich kann bei den maimich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/68>, abgerufen am 26.06.2024.