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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zwei erfolglose Dichter

ander", der mit Recht auch noch in späten Tagen sein "Altheidelberg" ge¬
priesen hat:

In den Erinnerungen eines vollen und echten Jugendlebens hat der lhrische
Dichter immer wieder den Jungbrnnnen auch für seine Poesie gefunden, und
unverkennbar war bei ihm, wie bei Scheffel, ein Rest studentischen Humors
die Triebkraft für alle übermütigen nud tollen Einfälle seiner lyrischen Karri-
katuren nud seiner lustigen Gedichte überhaupt. Wer diese durch die Fliegenden
Blätter weit umhergetragueu schwanke mit der Lyrik von Eichrvdts "Lyra"
vergleicht, der nimmt leicht wahr, daß es zwei Äste eines Baumes sind, ja er
kann leicht die Stelle finden, wo beide in einander übergehen. In andern Tagen
als den unsern wäre es niemand eingefallen, den einen um des andern willen
für unecht und aufgepfropft, für dürr und blätterlos zu erklären.

Für Eichrvdt wie für Nissel ergiebt sich schließlich das gleiche: sie sind
begrenzte Talente, die dennoch ein Recht haben, nicht bloß im engen Freundes¬
kreise Dichter zu heißen. Eine deutsche Litteraturgeschichte, die sich nicht bloß
mit den knappsten Umrissen begütigt, nicht ausschließlich die Spitzen sieht, hat
beiden Erfolglosen -- nach Verdienst, nicht aus Mitleid -- einen bescheidnen
Platz zu gönnen, den sie mehr als einem Erfolgreichen der Gegenwart -- wiederum
nach Verdienst -- energisch wird versagen müssen.

Wir hören im Geiste die Erwiderung der Modernen, daß Dichter oder
Schriftsteller, die sich uicht großer, überwältigender Erfolge rühmen können,
wären es auch nur Erfolge des Augenblicks, überhaupt kein Lebeusrecht Hütten.
Die Anerkennung der wenigen, der im Geist verwandten, der künstlerisch ge¬
bildeten, ist lant des Kodex der Brutalität ein veraltetes Vorurteil und eine
Thorheit dazu, durch die nur Unberechtigte ermutigt werden, in deu littera¬
rischen Wettbewerb einzutreten. Wer nicht den Genius, oder nur es modern
auszudrücken, deu "starken unbeugsamen Geist" in sich fühlt, den Massenjnbel
hervorzurufen oder ihn "unentwegt" so lange zu fordern, bis er auch wider¬
willig gewährt wird, der soll um deu Kranz des Dichters fürder nicht ringen.
Wenn einer nicht einmal selbst wagt, sich für den ersten Dichter seit Shake¬
speare, für deu ticfciugreifendsten Reformator seit Rousseau zu erklären, wie
sollen die andern eine Meinung von ihm bekommen? Die erste Bedingung des
modernen Erfolgs -- ".Kraft" vorausgesetzt -- ist die, seinen Vorgänger für
einen Tropf und seinen Mitstrebenden für einen seichten Schönredner zu er¬
klären; wo diese Bedingung uicht erfüllt wird, können die Ergebnisse nur kläg¬
lich sein. Warten wir denn ruhig ab, welche Ergebnisse die geschwollnen Ta-


Zwei erfolglose Dichter

ander», der mit Recht auch noch in späten Tagen sein „Altheidelberg" ge¬
priesen hat:

In den Erinnerungen eines vollen und echten Jugendlebens hat der lhrische
Dichter immer wieder den Jungbrnnnen auch für seine Poesie gefunden, und
unverkennbar war bei ihm, wie bei Scheffel, ein Rest studentischen Humors
die Triebkraft für alle übermütigen nud tollen Einfälle seiner lyrischen Karri-
katuren nud seiner lustigen Gedichte überhaupt. Wer diese durch die Fliegenden
Blätter weit umhergetragueu schwanke mit der Lyrik von Eichrvdts „Lyra"
vergleicht, der nimmt leicht wahr, daß es zwei Äste eines Baumes sind, ja er
kann leicht die Stelle finden, wo beide in einander übergehen. In andern Tagen
als den unsern wäre es niemand eingefallen, den einen um des andern willen
für unecht und aufgepfropft, für dürr und blätterlos zu erklären.

Für Eichrvdt wie für Nissel ergiebt sich schließlich das gleiche: sie sind
begrenzte Talente, die dennoch ein Recht haben, nicht bloß im engen Freundes¬
kreise Dichter zu heißen. Eine deutsche Litteraturgeschichte, die sich nicht bloß
mit den knappsten Umrissen begütigt, nicht ausschließlich die Spitzen sieht, hat
beiden Erfolglosen — nach Verdienst, nicht aus Mitleid — einen bescheidnen
Platz zu gönnen, den sie mehr als einem Erfolgreichen der Gegenwart — wiederum
nach Verdienst — energisch wird versagen müssen.

Wir hören im Geiste die Erwiderung der Modernen, daß Dichter oder
Schriftsteller, die sich uicht großer, überwältigender Erfolge rühmen können,
wären es auch nur Erfolge des Augenblicks, überhaupt kein Lebeusrecht Hütten.
Die Anerkennung der wenigen, der im Geist verwandten, der künstlerisch ge¬
bildeten, ist lant des Kodex der Brutalität ein veraltetes Vorurteil und eine
Thorheit dazu, durch die nur Unberechtigte ermutigt werden, in deu littera¬
rischen Wettbewerb einzutreten. Wer nicht den Genius, oder nur es modern
auszudrücken, deu „starken unbeugsamen Geist" in sich fühlt, den Massenjnbel
hervorzurufen oder ihn „unentwegt" so lange zu fordern, bis er auch wider¬
willig gewährt wird, der soll um deu Kranz des Dichters fürder nicht ringen.
Wenn einer nicht einmal selbst wagt, sich für den ersten Dichter seit Shake¬
speare, für deu ticfciugreifendsten Reformator seit Rousseau zu erklären, wie
sollen die andern eine Meinung von ihm bekommen? Die erste Bedingung des
modernen Erfolgs — „.Kraft" vorausgesetzt — ist die, seinen Vorgänger für
einen Tropf und seinen Mitstrebenden für einen seichten Schönredner zu er¬
klären; wo diese Bedingung uicht erfüllt wird, können die Ergebnisse nur kläg¬
lich sein. Warten wir denn ruhig ab, welche Ergebnisse die geschwollnen Ta-


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[0596] Zwei erfolglose Dichter ander», der mit Recht auch noch in späten Tagen sein „Altheidelberg" ge¬ priesen hat: In den Erinnerungen eines vollen und echten Jugendlebens hat der lhrische Dichter immer wieder den Jungbrnnnen auch für seine Poesie gefunden, und unverkennbar war bei ihm, wie bei Scheffel, ein Rest studentischen Humors die Triebkraft für alle übermütigen nud tollen Einfälle seiner lyrischen Karri- katuren nud seiner lustigen Gedichte überhaupt. Wer diese durch die Fliegenden Blätter weit umhergetragueu schwanke mit der Lyrik von Eichrvdts „Lyra" vergleicht, der nimmt leicht wahr, daß es zwei Äste eines Baumes sind, ja er kann leicht die Stelle finden, wo beide in einander übergehen. In andern Tagen als den unsern wäre es niemand eingefallen, den einen um des andern willen für unecht und aufgepfropft, für dürr und blätterlos zu erklären. Für Eichrvdt wie für Nissel ergiebt sich schließlich das gleiche: sie sind begrenzte Talente, die dennoch ein Recht haben, nicht bloß im engen Freundes¬ kreise Dichter zu heißen. Eine deutsche Litteraturgeschichte, die sich nicht bloß mit den knappsten Umrissen begütigt, nicht ausschließlich die Spitzen sieht, hat beiden Erfolglosen — nach Verdienst, nicht aus Mitleid — einen bescheidnen Platz zu gönnen, den sie mehr als einem Erfolgreichen der Gegenwart — wiederum nach Verdienst — energisch wird versagen müssen. Wir hören im Geiste die Erwiderung der Modernen, daß Dichter oder Schriftsteller, die sich uicht großer, überwältigender Erfolge rühmen können, wären es auch nur Erfolge des Augenblicks, überhaupt kein Lebeusrecht Hütten. Die Anerkennung der wenigen, der im Geist verwandten, der künstlerisch ge¬ bildeten, ist lant des Kodex der Brutalität ein veraltetes Vorurteil und eine Thorheit dazu, durch die nur Unberechtigte ermutigt werden, in deu littera¬ rischen Wettbewerb einzutreten. Wer nicht den Genius, oder nur es modern auszudrücken, deu „starken unbeugsamen Geist" in sich fühlt, den Massenjnbel hervorzurufen oder ihn „unentwegt" so lange zu fordern, bis er auch wider¬ willig gewährt wird, der soll um deu Kranz des Dichters fürder nicht ringen. Wenn einer nicht einmal selbst wagt, sich für den ersten Dichter seit Shake¬ speare, für deu ticfciugreifendsten Reformator seit Rousseau zu erklären, wie sollen die andern eine Meinung von ihm bekommen? Die erste Bedingung des modernen Erfolgs — „.Kraft" vorausgesetzt — ist die, seinen Vorgänger für einen Tropf und seinen Mitstrebenden für einen seichten Schönredner zu er¬ klären; wo diese Bedingung uicht erfüllt wird, können die Ergebnisse nur kläg¬ lich sein. Warten wir denn ruhig ab, welche Ergebnisse die geschwollnen Ta-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/596>, abgerufen am 01.09.2024.