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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

infolge seiner Untüchtigkeit auch bei reichlichem Landbesitz elend bleiben, wie
wir ein russischen sehen, aber fehlt es einem Volke an Land, so hilft ihm
alle Tüchtigkeit nichts, es kann dem Elend nicht entrinnen, und mag es auch
durch Knechtung und Nnssaugung andrer Völker großen Natioucilreichtum
aufhäufen. Adam Smith, der alle Lebensverhältnisse, so weit sie zu seiner
Zeit bestanden, mit gesundem Blick durchschaute, und was er erkannt hatte,
mit unbestechlicher Wahrheitsliebe kund that, äußert sich darüber u. a. folgender¬
maßen: Zwar ist England reicher als Nordamerika, aber trotzdem befindet sich
das Volk in Nordamerika wohler als in England, weil dort das Land billig
nud der Arbeitslohn hoch ist. Und die Sache von einer andern Seite fassend,
sagt er: Nicht die reichsten Völker befinden sich am wohlsten, sondern die reicher
werdenden, die fortschreitenden; ein fortschreitendes Volk lebt glücklich, ein
stagnireudes fühlt sich gedrückt, eins, das wirtschaftlich zurückkommt, befindet
sich elend. Wirkliche Fortschritte im Wohlstand kann aber ein Volk nur bei
hinreichendem Boden machen. Rogers drückt die Sache so aus: Am glücklichsten
lebt ein Volk, wenn der Boden keine Grundrente abwirft. Über das Sinken
der Grundrente klagen, heißt über die Verminderung der Reibung im Rüder¬
werk der Gesellschaft klagen. Gegen die Natur kämpfen, ist stets Wahnsinn,
Landrente ist aber uur in dem Sinne Natur, wie Schmutz, Krankheit und
Elend Natur sind. Die höchste Rente liefern die Unwissenheit und das Laster,
und der (englische) Großgrundbesitzer, der diese Übel befördert und ausbeutet,
ist der unverschämteste aller Heuchler. Dieselbe Auffassung finden wir bei
dem Italiener Lorici. "So lange sich freier Boden vorfindet, ist das Ein¬
kommen mit der Arbeit verbunden, und es wird unter die Arbeiter nach der
Menge der von jedem verrichteten Arbeit geteilt; wenn der freie Boden auf¬
hört, wird es von der Arbeit getrennt, der Arbeiter muß sich mit dem Lohne
begnügen, und das Einkommen fällt dem Nichtarbeiter zu."*) Marx endlich,
der trotz seines Hegcltnms bei der Beurteilung praktischer Verhältnisse ge¬
wöhnlich den Nagel auf den Kopf trifft, meint: "Grundrente entsteht, wenn
sich der kleine Souverän in einen gewöhnlichen Wucherer verwandelt" (Elend
der Philosophie S. 146).





Die theoretische Nationalökonomie Italiens in neuester Zeit von or. Her¬
mann von Schultern-Schrattenhofen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1891) S. 140.
Die Schrift ist solchen zu empfehlen, die sich Wer die im neuen Königreich sehr rege Thätigkeit
auf diesem Gebiete unterrichten wollen. Selbstverständlich bleibt es auch dort bei der Theorie;
wirkliche Volkswirtschaft giebts im modernen Italien so wenig wie im modernen England
oder im modernen Deutschland, sondern nnr Finanz- und Geldwirtschaft auf Kosten des Volks.
Weder Kommunismus noch Kapitalismus

infolge seiner Untüchtigkeit auch bei reichlichem Landbesitz elend bleiben, wie
wir ein russischen sehen, aber fehlt es einem Volke an Land, so hilft ihm
alle Tüchtigkeit nichts, es kann dem Elend nicht entrinnen, und mag es auch
durch Knechtung und Nnssaugung andrer Völker großen Natioucilreichtum
aufhäufen. Adam Smith, der alle Lebensverhältnisse, so weit sie zu seiner
Zeit bestanden, mit gesundem Blick durchschaute, und was er erkannt hatte,
mit unbestechlicher Wahrheitsliebe kund that, äußert sich darüber u. a. folgender¬
maßen: Zwar ist England reicher als Nordamerika, aber trotzdem befindet sich
das Volk in Nordamerika wohler als in England, weil dort das Land billig
nud der Arbeitslohn hoch ist. Und die Sache von einer andern Seite fassend,
sagt er: Nicht die reichsten Völker befinden sich am wohlsten, sondern die reicher
werdenden, die fortschreitenden; ein fortschreitendes Volk lebt glücklich, ein
stagnireudes fühlt sich gedrückt, eins, das wirtschaftlich zurückkommt, befindet
sich elend. Wirkliche Fortschritte im Wohlstand kann aber ein Volk nur bei
hinreichendem Boden machen. Rogers drückt die Sache so aus: Am glücklichsten
lebt ein Volk, wenn der Boden keine Grundrente abwirft. Über das Sinken
der Grundrente klagen, heißt über die Verminderung der Reibung im Rüder¬
werk der Gesellschaft klagen. Gegen die Natur kämpfen, ist stets Wahnsinn,
Landrente ist aber uur in dem Sinne Natur, wie Schmutz, Krankheit und
Elend Natur sind. Die höchste Rente liefern die Unwissenheit und das Laster,
und der (englische) Großgrundbesitzer, der diese Übel befördert und ausbeutet,
ist der unverschämteste aller Heuchler. Dieselbe Auffassung finden wir bei
dem Italiener Lorici. „So lange sich freier Boden vorfindet, ist das Ein¬
kommen mit der Arbeit verbunden, und es wird unter die Arbeiter nach der
Menge der von jedem verrichteten Arbeit geteilt; wenn der freie Boden auf¬
hört, wird es von der Arbeit getrennt, der Arbeiter muß sich mit dem Lohne
begnügen, und das Einkommen fällt dem Nichtarbeiter zu."*) Marx endlich,
der trotz seines Hegcltnms bei der Beurteilung praktischer Verhältnisse ge¬
wöhnlich den Nagel auf den Kopf trifft, meint: „Grundrente entsteht, wenn
sich der kleine Souverän in einen gewöhnlichen Wucherer verwandelt" (Elend
der Philosophie S. 146).





Die theoretische Nationalökonomie Italiens in neuester Zeit von or. Her¬
mann von Schultern-Schrattenhofen (Leipzig, Duncker und Humblot, 1891) S. 140.
Die Schrift ist solchen zu empfehlen, die sich Wer die im neuen Königreich sehr rege Thätigkeit
auf diesem Gebiete unterrichten wollen. Selbstverständlich bleibt es auch dort bei der Theorie;
wirkliche Volkswirtschaft giebts im modernen Italien so wenig wie im modernen England
oder im modernen Deutschland, sondern nnr Finanz- und Geldwirtschaft auf Kosten des Volks.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/580>, abgerufen am 26.06.2024.