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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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verfassungsmäßig auch keinen Beruf, den Einzelstaaten die Last dieser Ver¬
antwortung abzunehmen. Übrigens ist von der Answeisnngsbcfugnis und
dem Bannrecht während der zwanzig Jahre, daß das Gesetz besteht, so
gut wie kein Gebrauch gemacht worden, und doch weiß jedermann, daß
es während der ganzen Zeit an deutschen und ausländischen Jesuiten in
Deutschland nie gefehlt hat. Daß der jetzt eben entsandte Petitionsstnrm gegen
Wicderznlassung der Jesuiten nur äußerst matt verläuft, müssen selbst die
zugeben, die hierin die unverfälschten Regungen der Volksseele zu erblicken
geneigt sind. Wir wiederholen also, daß wir vom Standpunkte der Gerech¬
tigkeit und einer nüchternen Realpolitik aus dem ausgehöhlten Jesuitengesetz
keine Thräne nachweinen würden. Trotzdem wäre es höchst bedauerlich, wenn
die Neichsregiernug ihre Militärvorlage von dem Zentrum gegen das Jesuiten¬
gesetz einmarkten müßte. Wir Deutschen sind nun einmal keine dusinöss-lam.
Es widerstrebt unsrer idealen Anschauungsweise, dem Quell unsrer Schwäche
wie unsrer Stärke, Dinge, die mit Religion, Glaubensfreiheit, mit unsern
heiligsten Gefühlen in einem wenn auch vielleicht nur eingebildeten Zusammen¬
hang stehen, gegen Geld und Soldaten hinzugeben. Es geht zugleich gegen
unsre besten nationalen Empfindungen, die Sicherstellung des Reichs am Ende
der freundlichen Vermittlung einer außerdeutschen geistlichen und doch recht
weltlichen Macht verdanken zu müssen. Kann aber, wie die Dinge nun ein¬
mal liegen, diese Notwendigkeit überhaupt uoch vermieden werden? An ein
Zurückziehe-, oder Vertagen der Vorlage ist nicht zu denken. Das Ansehen
der Negierung ist diesmal doch noch ganz anders damit verknüpft, als mit
dem Zedlitzschen Volksschulgesetzentwurf. Zahlenmäßig betrachtet, bliebe zwar
noch die Möglichkeit, das Gesetz mit Hilfe der Konservativen, Nationalliberalen
und -- Freisinnigen durchzubringen. Aber daß von den Freisinnigen "die
um Richter" unter allen Umständen auszuscheiden wären, haben wir schon er¬
wähnt. Sich auf eine Spaltung der Freisinnigen zu verlassen, wäre trotz der
in den letzten Tagen drohend gewordnen Sezession des Hinze-Rickertschen
Flügels gewagt. So gern auch ein ansehnlicher Teil der Partei dem Grafen
Caprivi entgegenkommen würde, so ist es doch klüger, damit zu rechnen, daß
die unseligen Fraktionsinteresseu auch diesmal wieder die Oberhand behalten
werden. Zudem müßte, um diesen Weg auch nur einigermaßen gangbar zu
machen, die Vorlage sehr stark, wahrscheinlich noch bis unter die Grenze der
Bennigsenschen Vermittlnngsvorschlüge beschnitten werden. In der That eine
verzweifelte Lage, aus der, wir fürchten es, nur die Auflösung des Reichs¬
tags herausführen kann.

Sind denn aber für diesen Fall die Aussichten der Regierung wirklich so
hoffnungslos? Wir glauben: nein, wenn sie aus der Geschichte der letzten
Monate zu lernen verstanden hat. Diese Geschichte lehrt, wie uns scheint,
folgendes.


verfassungsmäßig auch keinen Beruf, den Einzelstaaten die Last dieser Ver¬
antwortung abzunehmen. Übrigens ist von der Answeisnngsbcfugnis und
dem Bannrecht während der zwanzig Jahre, daß das Gesetz besteht, so
gut wie kein Gebrauch gemacht worden, und doch weiß jedermann, daß
es während der ganzen Zeit an deutschen und ausländischen Jesuiten in
Deutschland nie gefehlt hat. Daß der jetzt eben entsandte Petitionsstnrm gegen
Wicderznlassung der Jesuiten nur äußerst matt verläuft, müssen selbst die
zugeben, die hierin die unverfälschten Regungen der Volksseele zu erblicken
geneigt sind. Wir wiederholen also, daß wir vom Standpunkte der Gerech¬
tigkeit und einer nüchternen Realpolitik aus dem ausgehöhlten Jesuitengesetz
keine Thräne nachweinen würden. Trotzdem wäre es höchst bedauerlich, wenn
die Neichsregiernug ihre Militärvorlage von dem Zentrum gegen das Jesuiten¬
gesetz einmarkten müßte. Wir Deutschen sind nun einmal keine dusinöss-lam.
Es widerstrebt unsrer idealen Anschauungsweise, dem Quell unsrer Schwäche
wie unsrer Stärke, Dinge, die mit Religion, Glaubensfreiheit, mit unsern
heiligsten Gefühlen in einem wenn auch vielleicht nur eingebildeten Zusammen¬
hang stehen, gegen Geld und Soldaten hinzugeben. Es geht zugleich gegen
unsre besten nationalen Empfindungen, die Sicherstellung des Reichs am Ende
der freundlichen Vermittlung einer außerdeutschen geistlichen und doch recht
weltlichen Macht verdanken zu müssen. Kann aber, wie die Dinge nun ein¬
mal liegen, diese Notwendigkeit überhaupt uoch vermieden werden? An ein
Zurückziehe-, oder Vertagen der Vorlage ist nicht zu denken. Das Ansehen
der Negierung ist diesmal doch noch ganz anders damit verknüpft, als mit
dem Zedlitzschen Volksschulgesetzentwurf. Zahlenmäßig betrachtet, bliebe zwar
noch die Möglichkeit, das Gesetz mit Hilfe der Konservativen, Nationalliberalen
und — Freisinnigen durchzubringen. Aber daß von den Freisinnigen „die
um Richter" unter allen Umständen auszuscheiden wären, haben wir schon er¬
wähnt. Sich auf eine Spaltung der Freisinnigen zu verlassen, wäre trotz der
in den letzten Tagen drohend gewordnen Sezession des Hinze-Rickertschen
Flügels gewagt. So gern auch ein ansehnlicher Teil der Partei dem Grafen
Caprivi entgegenkommen würde, so ist es doch klüger, damit zu rechnen, daß
die unseligen Fraktionsinteresseu auch diesmal wieder die Oberhand behalten
werden. Zudem müßte, um diesen Weg auch nur einigermaßen gangbar zu
machen, die Vorlage sehr stark, wahrscheinlich noch bis unter die Grenze der
Bennigsenschen Vermittlnngsvorschlüge beschnitten werden. In der That eine
verzweifelte Lage, aus der, wir fürchten es, nur die Auflösung des Reichs¬
tags herausführen kann.

Sind denn aber für diesen Fall die Aussichten der Regierung wirklich so
hoffnungslos? Wir glauben: nein, wenn sie aus der Geschichte der letzten
Monate zu lernen verstanden hat. Diese Geschichte lehrt, wie uns scheint,
folgendes.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/565>, abgerufen am 26.06.2024.