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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Direkte und indirekte Wahl

Wird, daß denn das Recht des Großherzogs zur Berufung von Mitgliedern
wegfallen könnte, so müsse,: wir dem entschieden widersprechen. Ebenso ist es
uns unbegreiflich, weshalb das Verlangen aufgetaucht ist, daß der Großherzog
die von ihm zu berufenden Mitglieder nicht, wie es bisher üblich'") war, nur
für die Dauer der Legislaturperiode, sondern lebenslänglich ernennen solle.
Wir legen gerade auf das Ernennungsrecht des Großherzogs und auf die
Art und Weise, wie es bisher ausgeübt worden ist, großen Wert. Denn
es soll möglich sein, hervorragende Männer, deren Urteil im gegebnen Augen¬
blick wichtig ist, jederzeit heranzuziehen, und das kann nur geschehen, wenn
ihre Berufung durch den Landesfürsten und auf kurze Dauer erfolgt.

Doch genug von der ersten Kammer. Betrachten wir uns um einen
zweiten Vorschlag, der die Gefahren der direkten Wahl mindern soll. Er lehnt
sich an die württembergischen Verhältnisse an und verlangt (wie er von Kai)
formulirt wird) "Heranziehung der Organe der Selbstverwaltung, der wirt¬
schaftlichen Verbünde u. f. w., die jahraus jahrein die geistigen und wirtschaft¬
lichen Interessen weiter Volkskreise zu fördern berufe" sind, zur parlamen¬
tarischen Mitarbeit neben den im direkten Wahlvcrfahren gewühlten." Wir
müssen gestehen, daß dieser Vorschlag weit mehr praktischen Wert hat als der
zuerst angeführte, und daß wir uus wohl mit ihm befreunden würden, wenn
die indirekte Wahl wirklich nicht mehr zu halten wäre. Aber er hat doch den
Nachteil, daß er den Streit der Interessen, der vor dem Parlament statt¬
finden und in dem Parlament nur, wenn es erforderlich wäre, seinen un¬
parteiischen Richter finden sollte, noch mehr als bisher in das Parlament
verlegen würde.

Es scheint uns also besser, das; Baden und mit ihm die andern Staaten,
die die indirekte Wahl haben, sie auch behalten, so lange es geht. Und geht
es denn in Baden wirklich nicht? Von dem offenbaren Willen der großherzog¬
lichen Regierung, die indirekte Wahl aufrecht zu halten, wollen wir ganz
schweigen, wiewohl dieser doch auch von Wichtigkeit ist. Im Volle, behauptet
man, sei die indirekte Wahl höchst unpopulär. Für die Städte können wir
das nicht bestreikn. Bezüglich des Landes aber steht Behauptung gegen Be¬
hauptung. Von den Rednern, die sich seinerzeit im Landtage darüber aus-
sprachen, scheint uns der Abgeordnete Klein bei weitem der beste Kenner der
badischen Bauern zu sein, und dieser bestritt, daß der Wunsch nach direkten
Wahlen auf dem Lande allgemein verbreitet sei. Er führte aus, der Bauer
gebe sich darüber keiner Täuschung hin, daß es ihm bei dem Druck seiner
Sorge um das tägliche Brot nicht möglich sei, auch noch der Politik seine
Aufmerksamkeit zu schenken, und daß er deshalb gern Wahlmännern, die er
persönlich kennt, und deuen er vertraut, die Abgeordueteuivahl überlasse. Wir



*) Die Verfassung setzt die Amtsdauer dieser Mitglieder nicht fest.
Direkte und indirekte Wahl

Wird, daß denn das Recht des Großherzogs zur Berufung von Mitgliedern
wegfallen könnte, so müsse,: wir dem entschieden widersprechen. Ebenso ist es
uns unbegreiflich, weshalb das Verlangen aufgetaucht ist, daß der Großherzog
die von ihm zu berufenden Mitglieder nicht, wie es bisher üblich'") war, nur
für die Dauer der Legislaturperiode, sondern lebenslänglich ernennen solle.
Wir legen gerade auf das Ernennungsrecht des Großherzogs und auf die
Art und Weise, wie es bisher ausgeübt worden ist, großen Wert. Denn
es soll möglich sein, hervorragende Männer, deren Urteil im gegebnen Augen¬
blick wichtig ist, jederzeit heranzuziehen, und das kann nur geschehen, wenn
ihre Berufung durch den Landesfürsten und auf kurze Dauer erfolgt.

Doch genug von der ersten Kammer. Betrachten wir uns um einen
zweiten Vorschlag, der die Gefahren der direkten Wahl mindern soll. Er lehnt
sich an die württembergischen Verhältnisse an und verlangt (wie er von Kai)
formulirt wird) „Heranziehung der Organe der Selbstverwaltung, der wirt¬
schaftlichen Verbünde u. f. w., die jahraus jahrein die geistigen und wirtschaft¬
lichen Interessen weiter Volkskreise zu fördern berufe» sind, zur parlamen¬
tarischen Mitarbeit neben den im direkten Wahlvcrfahren gewühlten." Wir
müssen gestehen, daß dieser Vorschlag weit mehr praktischen Wert hat als der
zuerst angeführte, und daß wir uus wohl mit ihm befreunden würden, wenn
die indirekte Wahl wirklich nicht mehr zu halten wäre. Aber er hat doch den
Nachteil, daß er den Streit der Interessen, der vor dem Parlament statt¬
finden und in dem Parlament nur, wenn es erforderlich wäre, seinen un¬
parteiischen Richter finden sollte, noch mehr als bisher in das Parlament
verlegen würde.

Es scheint uns also besser, das; Baden und mit ihm die andern Staaten,
die die indirekte Wahl haben, sie auch behalten, so lange es geht. Und geht
es denn in Baden wirklich nicht? Von dem offenbaren Willen der großherzog¬
lichen Regierung, die indirekte Wahl aufrecht zu halten, wollen wir ganz
schweigen, wiewohl dieser doch auch von Wichtigkeit ist. Im Volle, behauptet
man, sei die indirekte Wahl höchst unpopulär. Für die Städte können wir
das nicht bestreikn. Bezüglich des Landes aber steht Behauptung gegen Be¬
hauptung. Von den Rednern, die sich seinerzeit im Landtage darüber aus-
sprachen, scheint uns der Abgeordnete Klein bei weitem der beste Kenner der
badischen Bauern zu sein, und dieser bestritt, daß der Wunsch nach direkten
Wahlen auf dem Lande allgemein verbreitet sei. Er führte aus, der Bauer
gebe sich darüber keiner Täuschung hin, daß es ihm bei dem Druck seiner
Sorge um das tägliche Brot nicht möglich sei, auch noch der Politik seine
Aufmerksamkeit zu schenken, und daß er deshalb gern Wahlmännern, die er
persönlich kennt, und deuen er vertraut, die Abgeordueteuivahl überlasse. Wir



*) Die Verfassung setzt die Amtsdauer dieser Mitglieder nicht fest.
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[0520] Direkte und indirekte Wahl Wird, daß denn das Recht des Großherzogs zur Berufung von Mitgliedern wegfallen könnte, so müsse,: wir dem entschieden widersprechen. Ebenso ist es uns unbegreiflich, weshalb das Verlangen aufgetaucht ist, daß der Großherzog die von ihm zu berufenden Mitglieder nicht, wie es bisher üblich'") war, nur für die Dauer der Legislaturperiode, sondern lebenslänglich ernennen solle. Wir legen gerade auf das Ernennungsrecht des Großherzogs und auf die Art und Weise, wie es bisher ausgeübt worden ist, großen Wert. Denn es soll möglich sein, hervorragende Männer, deren Urteil im gegebnen Augen¬ blick wichtig ist, jederzeit heranzuziehen, und das kann nur geschehen, wenn ihre Berufung durch den Landesfürsten und auf kurze Dauer erfolgt. Doch genug von der ersten Kammer. Betrachten wir uns um einen zweiten Vorschlag, der die Gefahren der direkten Wahl mindern soll. Er lehnt sich an die württembergischen Verhältnisse an und verlangt (wie er von Kai) formulirt wird) „Heranziehung der Organe der Selbstverwaltung, der wirt¬ schaftlichen Verbünde u. f. w., die jahraus jahrein die geistigen und wirtschaft¬ lichen Interessen weiter Volkskreise zu fördern berufe» sind, zur parlamen¬ tarischen Mitarbeit neben den im direkten Wahlvcrfahren gewühlten." Wir müssen gestehen, daß dieser Vorschlag weit mehr praktischen Wert hat als der zuerst angeführte, und daß wir uus wohl mit ihm befreunden würden, wenn die indirekte Wahl wirklich nicht mehr zu halten wäre. Aber er hat doch den Nachteil, daß er den Streit der Interessen, der vor dem Parlament statt¬ finden und in dem Parlament nur, wenn es erforderlich wäre, seinen un¬ parteiischen Richter finden sollte, noch mehr als bisher in das Parlament verlegen würde. Es scheint uns also besser, das; Baden und mit ihm die andern Staaten, die die indirekte Wahl haben, sie auch behalten, so lange es geht. Und geht es denn in Baden wirklich nicht? Von dem offenbaren Willen der großherzog¬ lichen Regierung, die indirekte Wahl aufrecht zu halten, wollen wir ganz schweigen, wiewohl dieser doch auch von Wichtigkeit ist. Im Volle, behauptet man, sei die indirekte Wahl höchst unpopulär. Für die Städte können wir das nicht bestreikn. Bezüglich des Landes aber steht Behauptung gegen Be¬ hauptung. Von den Rednern, die sich seinerzeit im Landtage darüber aus- sprachen, scheint uns der Abgeordnete Klein bei weitem der beste Kenner der badischen Bauern zu sein, und dieser bestritt, daß der Wunsch nach direkten Wahlen auf dem Lande allgemein verbreitet sei. Er führte aus, der Bauer gebe sich darüber keiner Täuschung hin, daß es ihm bei dem Druck seiner Sorge um das tägliche Brot nicht möglich sei, auch noch der Politik seine Aufmerksamkeit zu schenken, und daß er deshalb gern Wahlmännern, die er persönlich kennt, und deuen er vertraut, die Abgeordueteuivahl überlasse. Wir *) Die Verfassung setzt die Amtsdauer dieser Mitglieder nicht fest.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/520>, abgerufen am 26.06.2024.