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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Bund der Landwirte

Die Vorstände der landwirtschaftliche" Bereine haben fast in allen Teilen
Deutschlands die Angelegenheit weiter aufgenommen, und in den letzten Wochen
sind zahlreiche außerordentliche Versammlungen abgehalten worden, in denen die
Zustimmung ausgesprochen und beschlossen wurde, Abgeordnete nach Berlin zu
einer gewaltigen Massenversammlung am ig. Februar zu entsenden, um dort
unter dem Namen eines "Bundes der Landwirte" die große landwirtschaftliche
Partei zu begründen, jedenfalls aber eine Demonstration gegen die Regierung
in Szene zu setzen. Auf den landwirtschaftlichen Versammlungen, wie auch in
den Zuschriften, die von der "Tierzucht" veröffentlicht wurden, tauchten An¬
sichten auf, die für die Beurteilung der ganzen Bewegung nicht ohne Interesse
sind. Die Welsen verwahren sich gegen die Preußischen Konservativen, Kon¬
servative wollen nur von der Bewegung wissen, wenn sie nnter die konserva¬
tive Fahne trete, Bauern machen den Rittergutsbesitzern wegen schlechter Be¬
handlung der Kleingruudbesitzer Vorwürfe und warnen vor der Betonung der
Not der Zucker- und Spiritussabrikanten, einer will Bismarck an die Spitze
der Bewegung stellen, ein andrer schiebt gerade Bismarcks Politik einen Teil
der Not in die Schuhe, ein dritter will durch eine gewaltige und jeden Zweifel
beseitigende Einigkeit appelliren <l<z impvrii-toi'ö irmls inlorirmlo sei iurpAÄ-
torsin Wvlius inlvrmÄncluiTi. Ein Oberschlesier verlangt Getreide- oder besser
Brotinonopol, am maßlosesten aber geht der Sprecher eines großen mittel-
schlesischen landwirtschaftlichen Vereins vor, der eine staatliche Tilgung der
Hhpvthekeuschuldeu und Ausgabe von unverzinslichen Landbons, dazu ein aus¬
gedehntes Heimstättenrecht und das Spiritusmonopol als Ziel der Forderungen
hinstellt, Daß auch die Abschaffung der Goldwährung und der Freizügigkeit nicht
fehlt, braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden. Trotz der nebelhaften
Ziele und der vielfach sich kreuzenden Wünsche -- in einem sind die Land¬
wirte einig: "Der Notstand ist groß, wird immer unerträglicher, durch eigne
Kraft können wir unsre Lage nicht verbessern, daher muß der Staat gezwungen
werden, uus mehr als bisher gegen Konkurrenz jeder Art im In- und Aus¬
lande zu schützen."

Kommen wir nun zu den Zwangsmaßregeln, die Herr Ruprecht in Vor¬
schlag bringt, um den Willen der neuen politiklosen Agrarpartei bei der Re¬
gierung und den Parlamenten durchzusetzen. Wir müssen schreien, sagt er, daß
uns der Kaiser Hort, wir müsse" die regierungsfreundlichen Wahlen nicht mehr
unterstützen und die Ehrenämter ablehnen. Die landwirtschaftlichen Vereine
müssen zu agrarpolitischcu Wahlvereiueu werde", liberale, ultramontnne, kon¬
servative u. s. w. Rücksichte" müsse" nnfhören, und ein einzig großes Volk
agrarischer Brüder muß Einfluß auf die Gesetzgebung gewinnen. Unabhängige,
mutige Männer müssen wir wählen. Eine große landwirtschaftlich-politische
Zeitung, von den besten Köpfen redigirt, müssen wir schaffen. Und damit das
alles durchgeführt werden kann, muß sich jeder selbst besteuern. Die Presse


Grenzboten I 18S3 5ö
Der Bund der Landwirte

Die Vorstände der landwirtschaftliche» Bereine haben fast in allen Teilen
Deutschlands die Angelegenheit weiter aufgenommen, und in den letzten Wochen
sind zahlreiche außerordentliche Versammlungen abgehalten worden, in denen die
Zustimmung ausgesprochen und beschlossen wurde, Abgeordnete nach Berlin zu
einer gewaltigen Massenversammlung am ig. Februar zu entsenden, um dort
unter dem Namen eines „Bundes der Landwirte" die große landwirtschaftliche
Partei zu begründen, jedenfalls aber eine Demonstration gegen die Regierung
in Szene zu setzen. Auf den landwirtschaftlichen Versammlungen, wie auch in
den Zuschriften, die von der „Tierzucht" veröffentlicht wurden, tauchten An¬
sichten auf, die für die Beurteilung der ganzen Bewegung nicht ohne Interesse
sind. Die Welsen verwahren sich gegen die Preußischen Konservativen, Kon¬
servative wollen nur von der Bewegung wissen, wenn sie nnter die konserva¬
tive Fahne trete, Bauern machen den Rittergutsbesitzern wegen schlechter Be¬
handlung der Kleingruudbesitzer Vorwürfe und warnen vor der Betonung der
Not der Zucker- und Spiritussabrikanten, einer will Bismarck an die Spitze
der Bewegung stellen, ein andrer schiebt gerade Bismarcks Politik einen Teil
der Not in die Schuhe, ein dritter will durch eine gewaltige und jeden Zweifel
beseitigende Einigkeit appelliren <l<z impvrii-toi'ö irmls inlorirmlo sei iurpAÄ-
torsin Wvlius inlvrmÄncluiTi. Ein Oberschlesier verlangt Getreide- oder besser
Brotinonopol, am maßlosesten aber geht der Sprecher eines großen mittel-
schlesischen landwirtschaftlichen Vereins vor, der eine staatliche Tilgung der
Hhpvthekeuschuldeu und Ausgabe von unverzinslichen Landbons, dazu ein aus¬
gedehntes Heimstättenrecht und das Spiritusmonopol als Ziel der Forderungen
hinstellt, Daß auch die Abschaffung der Goldwährung und der Freizügigkeit nicht
fehlt, braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden. Trotz der nebelhaften
Ziele und der vielfach sich kreuzenden Wünsche — in einem sind die Land¬
wirte einig: „Der Notstand ist groß, wird immer unerträglicher, durch eigne
Kraft können wir unsre Lage nicht verbessern, daher muß der Staat gezwungen
werden, uus mehr als bisher gegen Konkurrenz jeder Art im In- und Aus¬
lande zu schützen."

Kommen wir nun zu den Zwangsmaßregeln, die Herr Ruprecht in Vor¬
schlag bringt, um den Willen der neuen politiklosen Agrarpartei bei der Re¬
gierung und den Parlamenten durchzusetzen. Wir müssen schreien, sagt er, daß
uns der Kaiser Hort, wir müsse» die regierungsfreundlichen Wahlen nicht mehr
unterstützen und die Ehrenämter ablehnen. Die landwirtschaftlichen Vereine
müssen zu agrarpolitischcu Wahlvereiueu werde», liberale, ultramontnne, kon¬
servative u. s. w. Rücksichte» müsse» nnfhören, und ein einzig großes Volk
agrarischer Brüder muß Einfluß auf die Gesetzgebung gewinnen. Unabhängige,
mutige Männer müssen wir wählen. Eine große landwirtschaftlich-politische
Zeitung, von den besten Köpfen redigirt, müssen wir schaffen. Und damit das
alles durchgeführt werden kann, muß sich jeder selbst besteuern. Die Presse


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[0475] Der Bund der Landwirte Die Vorstände der landwirtschaftliche» Bereine haben fast in allen Teilen Deutschlands die Angelegenheit weiter aufgenommen, und in den letzten Wochen sind zahlreiche außerordentliche Versammlungen abgehalten worden, in denen die Zustimmung ausgesprochen und beschlossen wurde, Abgeordnete nach Berlin zu einer gewaltigen Massenversammlung am ig. Februar zu entsenden, um dort unter dem Namen eines „Bundes der Landwirte" die große landwirtschaftliche Partei zu begründen, jedenfalls aber eine Demonstration gegen die Regierung in Szene zu setzen. Auf den landwirtschaftlichen Versammlungen, wie auch in den Zuschriften, die von der „Tierzucht" veröffentlicht wurden, tauchten An¬ sichten auf, die für die Beurteilung der ganzen Bewegung nicht ohne Interesse sind. Die Welsen verwahren sich gegen die Preußischen Konservativen, Kon¬ servative wollen nur von der Bewegung wissen, wenn sie nnter die konserva¬ tive Fahne trete, Bauern machen den Rittergutsbesitzern wegen schlechter Be¬ handlung der Kleingruudbesitzer Vorwürfe und warnen vor der Betonung der Not der Zucker- und Spiritussabrikanten, einer will Bismarck an die Spitze der Bewegung stellen, ein andrer schiebt gerade Bismarcks Politik einen Teil der Not in die Schuhe, ein dritter will durch eine gewaltige und jeden Zweifel beseitigende Einigkeit appelliren <l<z impvrii-toi'ö irmls inlorirmlo sei iurpAÄ- torsin Wvlius inlvrmÄncluiTi. Ein Oberschlesier verlangt Getreide- oder besser Brotinonopol, am maßlosesten aber geht der Sprecher eines großen mittel- schlesischen landwirtschaftlichen Vereins vor, der eine staatliche Tilgung der Hhpvthekeuschuldeu und Ausgabe von unverzinslichen Landbons, dazu ein aus¬ gedehntes Heimstättenrecht und das Spiritusmonopol als Ziel der Forderungen hinstellt, Daß auch die Abschaffung der Goldwährung und der Freizügigkeit nicht fehlt, braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden. Trotz der nebelhaften Ziele und der vielfach sich kreuzenden Wünsche — in einem sind die Land¬ wirte einig: „Der Notstand ist groß, wird immer unerträglicher, durch eigne Kraft können wir unsre Lage nicht verbessern, daher muß der Staat gezwungen werden, uus mehr als bisher gegen Konkurrenz jeder Art im In- und Aus¬ lande zu schützen." Kommen wir nun zu den Zwangsmaßregeln, die Herr Ruprecht in Vor¬ schlag bringt, um den Willen der neuen politiklosen Agrarpartei bei der Re¬ gierung und den Parlamenten durchzusetzen. Wir müssen schreien, sagt er, daß uns der Kaiser Hort, wir müsse» die regierungsfreundlichen Wahlen nicht mehr unterstützen und die Ehrenämter ablehnen. Die landwirtschaftlichen Vereine müssen zu agrarpolitischcu Wahlvereiueu werde», liberale, ultramontnne, kon¬ servative u. s. w. Rücksichte» müsse» nnfhören, und ein einzig großes Volk agrarischer Brüder muß Einfluß auf die Gesetzgebung gewinnen. Unabhängige, mutige Männer müssen wir wählen. Eine große landwirtschaftlich-politische Zeitung, von den besten Köpfen redigirt, müssen wir schaffen. Und damit das alles durchgeführt werden kann, muß sich jeder selbst besteuern. Die Presse Grenzboten I 18S3 5ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/475>, abgerufen am 29.11.2024.