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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde

Tüchtige, Gesunde, wo es sich mir in den Arbeiten der neuen, aufstrebenden
noch unbekannten Künstler, wie der bekannten Meister auf irgend einem künst¬
lerischen Gebiete zeigte, gleichviel ob es der Menge gefiel oder nicht, energisch
hinzuweisen, über das Unbedeutende lieber stillschweigend oder mit wenigen
nicht absichtlich kränkenden Worten hinweg zu gleiten, der anspruchsvollen,
leeren, von der Reklame aufgebauschten, prunkenden Nichtigkeit, der sich sprei¬
zenden Modethorheit aber rückhaltlos zu Leibe zu gehen, bin ich dafür
jederzeit nach bester Einsicht und bestem Vermögen ehrlich bemüht gewesen."

Dieses schöne Selbstbekenntnis, das die kunstkritische Thätigkeit Pietschs
wirklich treffend charakterisirt, wird besonders die beschämen, die dafür nur
noch ein mitleidiges oder gar verächtliches Achselzucken übrig haben: "Pietsch
lobt alles." Gerade die künstlerischen Erscheinungen der letzten Jahre haben
dem greisen Kämpen, der hart vor der Schwelle seines siebzigsten Lebensjahres
steht, mehr als reichliche Gelegenheit geboten, den wahren idealistischen Grund¬
zug seines Wesens auch in der Abwehr des Leeren und Nichtigen hervorzu¬
kehren. Wie oft hat ihm nicht der Hexensabbath der Naturalisten, der malenden
wie der schreibenden, die Galle in die Feder getrieben, und wie treffende,
scharf satirische Worte und Wendungen hat er gefunden, um den tollen Spuk
zu verscheuchen und in sein Nichts aufzulösen!

Viel tröstlicher als die künstlerische Gegenwart mag ihn der Rückblick auf
die Vergangenheit stimmen, deren Schilderung er leider nur -- zuletzt auch
nur in großen Zügen -- bis in die Mitte der sechziger Jahre fortführt. Im
Anfang dieser Schilderung treten natürlich die künstlerischen Persönlichkeiten
in den Vordergrund, mit denen er durch seine Zeichnungen nach ihren Werken
bekannt wurde, namentlich die Bildhauer der Nauchscheu Schule, deren kennt¬
nisreichster und zuverlässigster Chronist Pietsch geworden ist -- in Wort und
Bild. Außer den in Kunstblättern und illustrirten Zeitungen veröffentlichten
Holzschnitten, Radirungen und Lithographien, zu denen er die Vorlagen ge¬
liefert hat, giebt es noch einen Cyklus vou etwa sechzig Bleistiftzeichnungen
seiner Hand, die ebenso viele, jetzt zum Teil weit zerstreute Bildhauerwerke
der Berliner Schule wiedergeben. Ein überaus wertvolles Material zur
Kenntnis des Entwicklungsganges der Berliner Plastik, das sich jetzt im Besitz
der Nationalgalerie befindet! Sehr bald wuchs aber Pietsch über die künst¬
lerischen Kreise hinaus und in das geistige Leben Berlins hinein, das in den
fünfziger und sechziger Jahren einen seiner Mittelpunkte in dem gastlichen
Hause des Verlagsbuchhändlers und fortschrittlichen Abgeordneten Franz
Duncker hatte, dessen geistvolle Gattin dem jungen, schüchternen, immer noch
durch enge Verhältnisse bedrückten Künstler manchen Stein aus dein Wege
rückte.

Nicht viel weniger stark als das künstlerische Interesse war aber bei
Pietsch von jeher das litterarische gewesen. Es ist rührend, wenn man in


wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde

Tüchtige, Gesunde, wo es sich mir in den Arbeiten der neuen, aufstrebenden
noch unbekannten Künstler, wie der bekannten Meister auf irgend einem künst¬
lerischen Gebiete zeigte, gleichviel ob es der Menge gefiel oder nicht, energisch
hinzuweisen, über das Unbedeutende lieber stillschweigend oder mit wenigen
nicht absichtlich kränkenden Worten hinweg zu gleiten, der anspruchsvollen,
leeren, von der Reklame aufgebauschten, prunkenden Nichtigkeit, der sich sprei¬
zenden Modethorheit aber rückhaltlos zu Leibe zu gehen, bin ich dafür
jederzeit nach bester Einsicht und bestem Vermögen ehrlich bemüht gewesen."

Dieses schöne Selbstbekenntnis, das die kunstkritische Thätigkeit Pietschs
wirklich treffend charakterisirt, wird besonders die beschämen, die dafür nur
noch ein mitleidiges oder gar verächtliches Achselzucken übrig haben: „Pietsch
lobt alles." Gerade die künstlerischen Erscheinungen der letzten Jahre haben
dem greisen Kämpen, der hart vor der Schwelle seines siebzigsten Lebensjahres
steht, mehr als reichliche Gelegenheit geboten, den wahren idealistischen Grund¬
zug seines Wesens auch in der Abwehr des Leeren und Nichtigen hervorzu¬
kehren. Wie oft hat ihm nicht der Hexensabbath der Naturalisten, der malenden
wie der schreibenden, die Galle in die Feder getrieben, und wie treffende,
scharf satirische Worte und Wendungen hat er gefunden, um den tollen Spuk
zu verscheuchen und in sein Nichts aufzulösen!

Viel tröstlicher als die künstlerische Gegenwart mag ihn der Rückblick auf
die Vergangenheit stimmen, deren Schilderung er leider nur — zuletzt auch
nur in großen Zügen — bis in die Mitte der sechziger Jahre fortführt. Im
Anfang dieser Schilderung treten natürlich die künstlerischen Persönlichkeiten
in den Vordergrund, mit denen er durch seine Zeichnungen nach ihren Werken
bekannt wurde, namentlich die Bildhauer der Nauchscheu Schule, deren kennt¬
nisreichster und zuverlässigster Chronist Pietsch geworden ist — in Wort und
Bild. Außer den in Kunstblättern und illustrirten Zeitungen veröffentlichten
Holzschnitten, Radirungen und Lithographien, zu denen er die Vorlagen ge¬
liefert hat, giebt es noch einen Cyklus vou etwa sechzig Bleistiftzeichnungen
seiner Hand, die ebenso viele, jetzt zum Teil weit zerstreute Bildhauerwerke
der Berliner Schule wiedergeben. Ein überaus wertvolles Material zur
Kenntnis des Entwicklungsganges der Berliner Plastik, das sich jetzt im Besitz
der Nationalgalerie befindet! Sehr bald wuchs aber Pietsch über die künst¬
lerischen Kreise hinaus und in das geistige Leben Berlins hinein, das in den
fünfziger und sechziger Jahren einen seiner Mittelpunkte in dem gastlichen
Hause des Verlagsbuchhändlers und fortschrittlichen Abgeordneten Franz
Duncker hatte, dessen geistvolle Gattin dem jungen, schüchternen, immer noch
durch enge Verhältnisse bedrückten Künstler manchen Stein aus dein Wege
rückte.

Nicht viel weniger stark als das künstlerische Interesse war aber bei
Pietsch von jeher das litterarische gewesen. Es ist rührend, wenn man in


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[0445] wie Ludwig Pietsch Schriftsteller wurde Tüchtige, Gesunde, wo es sich mir in den Arbeiten der neuen, aufstrebenden noch unbekannten Künstler, wie der bekannten Meister auf irgend einem künst¬ lerischen Gebiete zeigte, gleichviel ob es der Menge gefiel oder nicht, energisch hinzuweisen, über das Unbedeutende lieber stillschweigend oder mit wenigen nicht absichtlich kränkenden Worten hinweg zu gleiten, der anspruchsvollen, leeren, von der Reklame aufgebauschten, prunkenden Nichtigkeit, der sich sprei¬ zenden Modethorheit aber rückhaltlos zu Leibe zu gehen, bin ich dafür jederzeit nach bester Einsicht und bestem Vermögen ehrlich bemüht gewesen." Dieses schöne Selbstbekenntnis, das die kunstkritische Thätigkeit Pietschs wirklich treffend charakterisirt, wird besonders die beschämen, die dafür nur noch ein mitleidiges oder gar verächtliches Achselzucken übrig haben: „Pietsch lobt alles." Gerade die künstlerischen Erscheinungen der letzten Jahre haben dem greisen Kämpen, der hart vor der Schwelle seines siebzigsten Lebensjahres steht, mehr als reichliche Gelegenheit geboten, den wahren idealistischen Grund¬ zug seines Wesens auch in der Abwehr des Leeren und Nichtigen hervorzu¬ kehren. Wie oft hat ihm nicht der Hexensabbath der Naturalisten, der malenden wie der schreibenden, die Galle in die Feder getrieben, und wie treffende, scharf satirische Worte und Wendungen hat er gefunden, um den tollen Spuk zu verscheuchen und in sein Nichts aufzulösen! Viel tröstlicher als die künstlerische Gegenwart mag ihn der Rückblick auf die Vergangenheit stimmen, deren Schilderung er leider nur — zuletzt auch nur in großen Zügen — bis in die Mitte der sechziger Jahre fortführt. Im Anfang dieser Schilderung treten natürlich die künstlerischen Persönlichkeiten in den Vordergrund, mit denen er durch seine Zeichnungen nach ihren Werken bekannt wurde, namentlich die Bildhauer der Nauchscheu Schule, deren kennt¬ nisreichster und zuverlässigster Chronist Pietsch geworden ist — in Wort und Bild. Außer den in Kunstblättern und illustrirten Zeitungen veröffentlichten Holzschnitten, Radirungen und Lithographien, zu denen er die Vorlagen ge¬ liefert hat, giebt es noch einen Cyklus vou etwa sechzig Bleistiftzeichnungen seiner Hand, die ebenso viele, jetzt zum Teil weit zerstreute Bildhauerwerke der Berliner Schule wiedergeben. Ein überaus wertvolles Material zur Kenntnis des Entwicklungsganges der Berliner Plastik, das sich jetzt im Besitz der Nationalgalerie befindet! Sehr bald wuchs aber Pietsch über die künst¬ lerischen Kreise hinaus und in das geistige Leben Berlins hinein, das in den fünfziger und sechziger Jahren einen seiner Mittelpunkte in dem gastlichen Hause des Verlagsbuchhändlers und fortschrittlichen Abgeordneten Franz Duncker hatte, dessen geistvolle Gattin dem jungen, schüchternen, immer noch durch enge Verhältnisse bedrückten Künstler manchen Stein aus dein Wege rückte. Nicht viel weniger stark als das künstlerische Interesse war aber bei Pietsch von jeher das litterarische gewesen. Es ist rührend, wenn man in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/445>, abgerufen am 01.09.2024.