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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Schwarzes Bret

die er jetzt bei einer Behörde totschlägt, auf das Studium des Winschastslebeus in der Praxis
verwenden? Haben wir außer der Generalkommission heute überhaupt noch eine Behörde,
die die ländlichen Verhältnisse kennt, und kann man den Beamten ans dieser Unkenntnis
einen Vorwurf machen? Nein, gewiß nicht, aber das fordert den Vorwurf heraus, das reizt
und erbittert, daß der jüngste Assessor alles sehr viel besser weiß als der erfahrene Praktiker.
Er ist unfehlbar, und so arbeitet er seine Verfügungen nach dem Schema IV

Auch andre Berusscirte" können ähnliche Klagen führen, weil sie oben eine ganz unzu¬
reichende Vertretung haben oder weil die Borgesetzten ihrer Vorgesetzten, also ihre eigentlichen
Häupter, Juristen sind, die eben alles verstehen. Wann wird der Tag kommen, wo diesen
vor ihrer Gottähnlichkeit bange wird? Und ist der Jurist wirklich das einzige Öl der Staats¬
maschine?




Dem Verfasser des Artikels: Verunstaltung deutscher Lieder (Heft 46 der vorjährigen
Grenzboten) ist aus dem Lesebuch des Geheimrath Bock ein weiterer Beleg für Berballhor-
nuugskünste mitgeteilt worden. Die zweite Strophe von "Deutschland, Deutschland über alles"
lautet bekanntlich:

Was soll sich aber ein Kind in der Volksschule bei deutschen Frauen und deutschem
Wein denken? Daß seine Mutter genau genommen auch zu den deutschen Frauen gehört, "
ist Nebensache; weiß man doch, daß solche Frauen aus dem Volke häufig zwar einen alten,
aber keinen schönen Klang haben. Und nnn gar der Wein! (Äanz abgesehen davon, daß
geistige Getränke nicht in die Schule gehören, dürfte die Nennung des Weines nur zum
Klassenhaß führen, weil das Kind aus dem Volke das Getränk der Reichen nie zu sehen be¬
kommt, außer in den Schaufenstern. Also Iveg mit den Frauen, und weg mit demi Wein!
Singen wir einfach und schön:




Vorsicht! Seit einer Woche werden Tag für Tag der deutschen Presse Alarmnachrichten
aus Italien zugesteckt über einen angeblich unerhörten, noch nie dagewesenen, "sensationellen"
Erfolg einer neuen Vertuschen Oper: Falstaff. Unzweifelhaft beginnt hier -- nur daß es das
blöde Federvieh nicht merkt! -- dasselbe Preßmanöver, wie damals, wo wir mit der
Maseaguischen Wasserflut überschwemmt wurden. Unzweifelhaft ist auch der Herd, von
dem alles ausgeht, derselbe. Das Textbuch der neuen Oper ist natürlich schon wieder in alle
europäischen Sprachen übersetzt, die Platten bis herab zum elendesten Potpourri gestochen,
die Pressen in voller Thätigkeit, und es gilt nun, wieder den großen allgemeinen Gimpel¬
sang in ganz Europa in Szene zu setzen. Also Vorsicht! damit wir uus wenigstens in Deutsch¬
land, dem Lande Mozarts und Beethovens, nicht wieder eine so unaustilgbare Blamage zu¬
ziehen, wie mit der Lao^IIc-ri-i, rustioana!




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Schwarzes Bret

die er jetzt bei einer Behörde totschlägt, auf das Studium des Winschastslebeus in der Praxis
verwenden? Haben wir außer der Generalkommission heute überhaupt noch eine Behörde,
die die ländlichen Verhältnisse kennt, und kann man den Beamten ans dieser Unkenntnis
einen Vorwurf machen? Nein, gewiß nicht, aber das fordert den Vorwurf heraus, das reizt
und erbittert, daß der jüngste Assessor alles sehr viel besser weiß als der erfahrene Praktiker.
Er ist unfehlbar, und so arbeitet er seine Verfügungen nach dem Schema IV

Auch andre Berusscirte» können ähnliche Klagen führen, weil sie oben eine ganz unzu¬
reichende Vertretung haben oder weil die Borgesetzten ihrer Vorgesetzten, also ihre eigentlichen
Häupter, Juristen sind, die eben alles verstehen. Wann wird der Tag kommen, wo diesen
vor ihrer Gottähnlichkeit bange wird? Und ist der Jurist wirklich das einzige Öl der Staats¬
maschine?




Dem Verfasser des Artikels: Verunstaltung deutscher Lieder (Heft 46 der vorjährigen
Grenzboten) ist aus dem Lesebuch des Geheimrath Bock ein weiterer Beleg für Berballhor-
nuugskünste mitgeteilt worden. Die zweite Strophe von „Deutschland, Deutschland über alles"
lautet bekanntlich:

Was soll sich aber ein Kind in der Volksschule bei deutschen Frauen und deutschem
Wein denken? Daß seine Mutter genau genommen auch zu den deutschen Frauen gehört, "
ist Nebensache; weiß man doch, daß solche Frauen aus dem Volke häufig zwar einen alten,
aber keinen schönen Klang haben. Und nnn gar der Wein! (Äanz abgesehen davon, daß
geistige Getränke nicht in die Schule gehören, dürfte die Nennung des Weines nur zum
Klassenhaß führen, weil das Kind aus dem Volke das Getränk der Reichen nie zu sehen be¬
kommt, außer in den Schaufenstern. Also Iveg mit den Frauen, und weg mit demi Wein!
Singen wir einfach und schön:




Vorsicht! Seit einer Woche werden Tag für Tag der deutschen Presse Alarmnachrichten
aus Italien zugesteckt über einen angeblich unerhörten, noch nie dagewesenen, „sensationellen"
Erfolg einer neuen Vertuschen Oper: Falstaff. Unzweifelhaft beginnt hier — nur daß es das
blöde Federvieh nicht merkt! — dasselbe Preßmanöver, wie damals, wo wir mit der
Maseaguischen Wasserflut überschwemmt wurden. Unzweifelhaft ist auch der Herd, von
dem alles ausgeht, derselbe. Das Textbuch der neuen Oper ist natürlich schon wieder in alle
europäischen Sprachen übersetzt, die Platten bis herab zum elendesten Potpourri gestochen,
die Pressen in voller Thätigkeit, und es gilt nun, wieder den großen allgemeinen Gimpel¬
sang in ganz Europa in Szene zu setzen. Also Vorsicht! damit wir uus wenigstens in Deutsch¬
land, dem Lande Mozarts und Beethovens, nicht wieder eine so unaustilgbare Blamage zu¬
ziehen, wie mit der Lao^IIc-ri-i, rustioana!




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0418] Schwarzes Bret die er jetzt bei einer Behörde totschlägt, auf das Studium des Winschastslebeus in der Praxis verwenden? Haben wir außer der Generalkommission heute überhaupt noch eine Behörde, die die ländlichen Verhältnisse kennt, und kann man den Beamten ans dieser Unkenntnis einen Vorwurf machen? Nein, gewiß nicht, aber das fordert den Vorwurf heraus, das reizt und erbittert, daß der jüngste Assessor alles sehr viel besser weiß als der erfahrene Praktiker. Er ist unfehlbar, und so arbeitet er seine Verfügungen nach dem Schema IV Auch andre Berusscirte» können ähnliche Klagen führen, weil sie oben eine ganz unzu¬ reichende Vertretung haben oder weil die Borgesetzten ihrer Vorgesetzten, also ihre eigentlichen Häupter, Juristen sind, die eben alles verstehen. Wann wird der Tag kommen, wo diesen vor ihrer Gottähnlichkeit bange wird? Und ist der Jurist wirklich das einzige Öl der Staats¬ maschine? Dem Verfasser des Artikels: Verunstaltung deutscher Lieder (Heft 46 der vorjährigen Grenzboten) ist aus dem Lesebuch des Geheimrath Bock ein weiterer Beleg für Berballhor- nuugskünste mitgeteilt worden. Die zweite Strophe von „Deutschland, Deutschland über alles" lautet bekanntlich: Was soll sich aber ein Kind in der Volksschule bei deutschen Frauen und deutschem Wein denken? Daß seine Mutter genau genommen auch zu den deutschen Frauen gehört, " ist Nebensache; weiß man doch, daß solche Frauen aus dem Volke häufig zwar einen alten, aber keinen schönen Klang haben. Und nnn gar der Wein! (Äanz abgesehen davon, daß geistige Getränke nicht in die Schule gehören, dürfte die Nennung des Weines nur zum Klassenhaß führen, weil das Kind aus dem Volke das Getränk der Reichen nie zu sehen be¬ kommt, außer in den Schaufenstern. Also Iveg mit den Frauen, und weg mit demi Wein! Singen wir einfach und schön: Vorsicht! Seit einer Woche werden Tag für Tag der deutschen Presse Alarmnachrichten aus Italien zugesteckt über einen angeblich unerhörten, noch nie dagewesenen, „sensationellen" Erfolg einer neuen Vertuschen Oper: Falstaff. Unzweifelhaft beginnt hier — nur daß es das blöde Federvieh nicht merkt! — dasselbe Preßmanöver, wie damals, wo wir mit der Maseaguischen Wasserflut überschwemmt wurden. Unzweifelhaft ist auch der Herd, von dem alles ausgeht, derselbe. Das Textbuch der neuen Oper ist natürlich schon wieder in alle europäischen Sprachen übersetzt, die Platten bis herab zum elendesten Potpourri gestochen, die Pressen in voller Thätigkeit, und es gilt nun, wieder den großen allgemeinen Gimpel¬ sang in ganz Europa in Szene zu setzen. Also Vorsicht! damit wir uus wenigstens in Deutsch¬ land, dem Lande Mozarts und Beethovens, nicht wieder eine so unaustilgbare Blamage zu¬ ziehen, wie mit der Lao^IIc-ri-i, rustioana! Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr, Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/418>, abgerufen am 01.09.2024.