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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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unter der Herrschaft der allgemeinen Regeln, und auch die Ausnahmen können
nicht jeder Bestimmung beigefügt werden. Man muß aber auch die Gesetze
der Logik und die Grundzüge der Rechtsphilosophie verstehen. Diese Voraus¬
setzungen sind beim Durchschnittsmenschen nicht vorhanden. Wozu also dann
die volkstümliche Sprache?

Im Allgemeinen Preußischen Landrechte vom Jahre 1794 wollte man ein
volkstümlich gehaltnes Gesetzbuch schaffen. Der Versuch ist bekanntlich mi߬
lungen. Die Kasuistik aber, die um der Volkstümlichkeit willen darin getrieben
wird, hat den Wert des Werkes wesentlich herabgedrückt. Jedes ins einzelne
gehende Gesetz ist vom Übel, weil der Gesetzgeber die Gestaltung künftiger
Nechtsfälle nicht voraussehen kann.

Ein bürgerliches Gesetzbuch ist gut geschrieben, wenn es von denen, die
es berufsmäßig anzuwenden haben, leicht und sicher verstanden wird. Bei
weitem unser bestes Neichsgesetz ist die Konkursordnung, obgleich gerade sie
so knapp und unvolkstümlich gefaßt ist, daß der Nichtjurist wenig damit an¬
zufangen weiß.

Mit der Zurückweisung des Verlangens nach Volkstümlichkeit der Gesetzes¬
sprache soll aber nun keineswegs gesagt sein, daß ein Gesetz etwa in der
schlechten schwülstigen und steifen Juristensprache geschrieben sein müsse. Das
Juristendeutsch ist uur für Juristen verständlich, oft selbst für sie nicht, denn
sie radebrechen das Deutsche überall anders. Das ist aber doch das mindeste
Erfordernis, daß ein Gesetz verständlich sei für die, die es berufsmäßig anzu¬
wenden haben. Und es ist selbstverständlich, daß ein Gesetz nicht darum, weil
es uur von einem gewissen Kreise gelesen wird, Verstöße gegen die Sprach¬
lehre und den Sprachgebrauch oder Bestimmungen, die sprachlich schief und
lahm sind, enthalten, überhaupt nicht eine Sprache reden darf, die hinter der
Sprache der guten zeitgenössischen Schriftsteller zurückbleibt. Im Gegenteil:
wie das Gesetz selber,, so soll auch seine Sprache den höchsten Anforderungen
entsprechen, Inhalt und Form müssen im Einklang stehen. Ein Gesetzbuch für
das deutsche Reich müßte auch in seiner Sprache so beschaffen sein, daß nicht
nur nichts daran zu tadeln wäre, sondern daß es anch niemand besser zu
machen vermöchte. Schon aus praktischen und ans erzieherischen Gründen.
Je schärfer und richtiger die Wahl der Ausdrücke, je klarer und durchsichtiger
der Satzbau ist, desto eher sind Mißverständnisse ausgeschlossen. Die Sprache
des Gesetzes ist aber auch vorbildlich für Richter und Anwälte; beide machen
alle Fehler eines Gesetzes mit. So muß auch das Gesetz ein würdiges Vor¬
bild sein.

Entspricht "um der Entwurf diesen Anforderungen? Mit einem runden
Ja kann man die Frage nicht beantworten.

Der Satzbau ist durchgängig klar. Er ist nicht immer schön, im Gegen¬
teil, nicht selten recht unschön; aber das ganze Gesetz mit seinen 2164 Be-


unter der Herrschaft der allgemeinen Regeln, und auch die Ausnahmen können
nicht jeder Bestimmung beigefügt werden. Man muß aber auch die Gesetze
der Logik und die Grundzüge der Rechtsphilosophie verstehen. Diese Voraus¬
setzungen sind beim Durchschnittsmenschen nicht vorhanden. Wozu also dann
die volkstümliche Sprache?

Im Allgemeinen Preußischen Landrechte vom Jahre 1794 wollte man ein
volkstümlich gehaltnes Gesetzbuch schaffen. Der Versuch ist bekanntlich mi߬
lungen. Die Kasuistik aber, die um der Volkstümlichkeit willen darin getrieben
wird, hat den Wert des Werkes wesentlich herabgedrückt. Jedes ins einzelne
gehende Gesetz ist vom Übel, weil der Gesetzgeber die Gestaltung künftiger
Nechtsfälle nicht voraussehen kann.

Ein bürgerliches Gesetzbuch ist gut geschrieben, wenn es von denen, die
es berufsmäßig anzuwenden haben, leicht und sicher verstanden wird. Bei
weitem unser bestes Neichsgesetz ist die Konkursordnung, obgleich gerade sie
so knapp und unvolkstümlich gefaßt ist, daß der Nichtjurist wenig damit an¬
zufangen weiß.

Mit der Zurückweisung des Verlangens nach Volkstümlichkeit der Gesetzes¬
sprache soll aber nun keineswegs gesagt sein, daß ein Gesetz etwa in der
schlechten schwülstigen und steifen Juristensprache geschrieben sein müsse. Das
Juristendeutsch ist uur für Juristen verständlich, oft selbst für sie nicht, denn
sie radebrechen das Deutsche überall anders. Das ist aber doch das mindeste
Erfordernis, daß ein Gesetz verständlich sei für die, die es berufsmäßig anzu¬
wenden haben. Und es ist selbstverständlich, daß ein Gesetz nicht darum, weil
es uur von einem gewissen Kreise gelesen wird, Verstöße gegen die Sprach¬
lehre und den Sprachgebrauch oder Bestimmungen, die sprachlich schief und
lahm sind, enthalten, überhaupt nicht eine Sprache reden darf, die hinter der
Sprache der guten zeitgenössischen Schriftsteller zurückbleibt. Im Gegenteil:
wie das Gesetz selber,, so soll auch seine Sprache den höchsten Anforderungen
entsprechen, Inhalt und Form müssen im Einklang stehen. Ein Gesetzbuch für
das deutsche Reich müßte auch in seiner Sprache so beschaffen sein, daß nicht
nur nichts daran zu tadeln wäre, sondern daß es anch niemand besser zu
machen vermöchte. Schon aus praktischen und ans erzieherischen Gründen.
Je schärfer und richtiger die Wahl der Ausdrücke, je klarer und durchsichtiger
der Satzbau ist, desto eher sind Mißverständnisse ausgeschlossen. Die Sprache
des Gesetzes ist aber auch vorbildlich für Richter und Anwälte; beide machen
alle Fehler eines Gesetzes mit. So muß auch das Gesetz ein würdiges Vor¬
bild sein.

Entspricht »um der Entwurf diesen Anforderungen? Mit einem runden
Ja kann man die Frage nicht beantworten.

Der Satzbau ist durchgängig klar. Er ist nicht immer schön, im Gegen¬
teil, nicht selten recht unschön; aber das ganze Gesetz mit seinen 2164 Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/37>, abgerufen am 01.09.2024.