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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Frau Jenny Treidel

vollständig Recht. Zunächst bezaubert Corinna Schmidt "diesen armen Leo¬
pold" allerdings so, daß er bei der Rückkehr von einer Partie an den Hcilcnsee
sich in aller Form mit ihr verlobt und ihr schwört, diesen Bund auch gegen
den Widerstand seiner Mutter durchzufechten. Aber schon am Abend und als
er seine Verlobung mit der Professorstochter erklärt, läßt die Kommerzienrätin
jede Maske fallen. Man merkt, daß ihr nie auch nur im Traum der Einfall
gekommen ist, ihr Sohn könne sich erkühnen, eine anmutige aber vermögens¬
lose Frau ins Haus zu bringen. Sie, die eben noch zu sich selbst gesagt hat:
"Kommerzienrätin, und immer wieder Kommerzienrätin. Es geht nun schon
in das zehnte Jahr, und er rückt nicht höher hinauf trotz aller Anstrengungen.
Und wenn es so bleibt, und es wird so bleiben, so weiß ich wirklich nicht,
ob nicht das andre, das auf Kunst und Wissenschaft deutet, doch einen feinern
Klang hat. Ja den hat es. Und mit den ewigen guten Verhältnissen! Ich
kaun doch auch nur eine Tasse Kaffee trinken, und wenn ich mich zu Bett
lege, so kommt es darauf an, daß ich schlafe. Birkenmaser oder Nußbaum macht
keinen Unterschied, aber Schlaf oder Nichtschlaf, das macht einen. Und auch die
Kinder wären anders. Wenn ich die Corinna ansehe, das sprüht alles von Lust
und Leben, und wenn sie bloß so macht, so steckt sie meine beiden Jungen in
die Tasche. Mit Otto ist nicht viel, und mit Leopold ist gar nichts." Sie
schäumt trotz alledem jetzt vor Erbitterung, nennt die Verlobung ihres Sohnes
mit der vielbelobten Corinna einen Unsinn, einen Skandal, spricht von dem
Undank Corinnas und von einer "gesellschaftlich heraufgezognen Person" und
weiß auf einmal ganz genau, was die Fundamente sind, "die das Leben
tragen, und ohne die es kein rechtes Glück giebt." Vergebens, daß ihr der
eigne Gatte, der wackere Fabrikherr und Kommerzienrat Treibe!, der sich ein
Stück Herz, ein Stück unbefangnen gesunden Menschenverstandes ins Protzen-
tum hinein gerettet hat, zu Gemüte führt: "Nimm dich in Acht, daß aus
der bloß eingebildeten Blamage eine wirkliche wird. Du bist auf dem besten
Wege, mich und dich in eine unsterbliche Lächerlichkeit hineinzubugsiren. Wer
sind wir denn? Wir sind weder die Montmorenchs, noch die Lusignans, wir
sind auch nicht die Bismarcks oder die Arnims oder sonst was Märkisches
von Adel, wir sind die Treibeis, Blntlaugensnlz und Eisenvitriol, und Du
bist eine geborne Bürstenbinder aus der Adlerstraße. Bürstenbinder ist ganz
gut, aber der erste Bürstenbinder kann unmöglich höher gestanden haben als
der erste Schmidt. Und so bitt ich dich denn, Jenny, keine Übertreibungen."
Aber die Frau Kommerzienrätin zeigt sich jeder Erwägung als der ent¬
scheidenden, daß Corinna keine halbe Million hat, völlig unzugänglich, und es
ist das glänzendste Licht auf ihrem Charakterbilde, daß sie sich am nächsten
Morgen in der Frühe hinsetzt und Fräulein Hildegard Munk aus Hamburg,
die jüngere Schwester ihrer Schwiegertochter Helene, ins Haus Treibet lädt.
Sie hat bis dahin über die "Hamburgerei" Helenens nur gespottet, hat sich


Frau Jenny Treidel

vollständig Recht. Zunächst bezaubert Corinna Schmidt „diesen armen Leo¬
pold" allerdings so, daß er bei der Rückkehr von einer Partie an den Hcilcnsee
sich in aller Form mit ihr verlobt und ihr schwört, diesen Bund auch gegen
den Widerstand seiner Mutter durchzufechten. Aber schon am Abend und als
er seine Verlobung mit der Professorstochter erklärt, läßt die Kommerzienrätin
jede Maske fallen. Man merkt, daß ihr nie auch nur im Traum der Einfall
gekommen ist, ihr Sohn könne sich erkühnen, eine anmutige aber vermögens¬
lose Frau ins Haus zu bringen. Sie, die eben noch zu sich selbst gesagt hat:
„Kommerzienrätin, und immer wieder Kommerzienrätin. Es geht nun schon
in das zehnte Jahr, und er rückt nicht höher hinauf trotz aller Anstrengungen.
Und wenn es so bleibt, und es wird so bleiben, so weiß ich wirklich nicht,
ob nicht das andre, das auf Kunst und Wissenschaft deutet, doch einen feinern
Klang hat. Ja den hat es. Und mit den ewigen guten Verhältnissen! Ich
kaun doch auch nur eine Tasse Kaffee trinken, und wenn ich mich zu Bett
lege, so kommt es darauf an, daß ich schlafe. Birkenmaser oder Nußbaum macht
keinen Unterschied, aber Schlaf oder Nichtschlaf, das macht einen. Und auch die
Kinder wären anders. Wenn ich die Corinna ansehe, das sprüht alles von Lust
und Leben, und wenn sie bloß so macht, so steckt sie meine beiden Jungen in
die Tasche. Mit Otto ist nicht viel, und mit Leopold ist gar nichts." Sie
schäumt trotz alledem jetzt vor Erbitterung, nennt die Verlobung ihres Sohnes
mit der vielbelobten Corinna einen Unsinn, einen Skandal, spricht von dem
Undank Corinnas und von einer „gesellschaftlich heraufgezognen Person" und
weiß auf einmal ganz genau, was die Fundamente sind, „die das Leben
tragen, und ohne die es kein rechtes Glück giebt." Vergebens, daß ihr der
eigne Gatte, der wackere Fabrikherr und Kommerzienrat Treibe!, der sich ein
Stück Herz, ein Stück unbefangnen gesunden Menschenverstandes ins Protzen-
tum hinein gerettet hat, zu Gemüte führt: „Nimm dich in Acht, daß aus
der bloß eingebildeten Blamage eine wirkliche wird. Du bist auf dem besten
Wege, mich und dich in eine unsterbliche Lächerlichkeit hineinzubugsiren. Wer
sind wir denn? Wir sind weder die Montmorenchs, noch die Lusignans, wir
sind auch nicht die Bismarcks oder die Arnims oder sonst was Märkisches
von Adel, wir sind die Treibeis, Blntlaugensnlz und Eisenvitriol, und Du
bist eine geborne Bürstenbinder aus der Adlerstraße. Bürstenbinder ist ganz
gut, aber der erste Bürstenbinder kann unmöglich höher gestanden haben als
der erste Schmidt. Und so bitt ich dich denn, Jenny, keine Übertreibungen."
Aber die Frau Kommerzienrätin zeigt sich jeder Erwägung als der ent¬
scheidenden, daß Corinna keine halbe Million hat, völlig unzugänglich, und es
ist das glänzendste Licht auf ihrem Charakterbilde, daß sie sich am nächsten
Morgen in der Frühe hinsetzt und Fräulein Hildegard Munk aus Hamburg,
die jüngere Schwester ihrer Schwiegertochter Helene, ins Haus Treibet lädt.
Sie hat bis dahin über die „Hamburgerei" Helenens nur gespottet, hat sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/353>, abgerufen am 28.06.2024.