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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Innern des Kollegiums jeweilig einzelnen Mitgliedern in stillschweigendem
Übereinkommen übertragen wird. So ist es euch in den Fünfrichterkollegien
der Strafkammern geworden. Man merkte sehr bald, daß für die große Masse
der vor dieses Kollegium gelangenden Sachen, sür die Unzahl einfacher und
schwerer Diebstähle, für die einfachen Thatbestände der gefährlichen Körper¬
verletzung, der Unterschlagung, des strafbaren Eigennutzes u. s. w. der in
Bewegung gesetzte Apparat von fünf rechtsgelehrten Richtern unnötig schwer¬
fällig und umständlich sei, und die Folge war, das; man im Vertrauen auf
seine Kollegen nnanfmert'sam wurde und mit halbem Ohre zuhörend sich mit
andern Sachen beschäftigte, mit deren Bearbeitung als Referent man speziell
beauftragt war. Das Kollegium überließ mehr und mehr die ihm in seiner
Gesamtheit obliegende Aufmerksamkeit dein Vorsitzenden der Kammer und dem
bestellten Referenten. So kam das Gefühl ans, daß man, so weit man nicht
selbst Referent war, als Beisitzer eigentlich überflüssiig sei, und dieses Gefühl
ist es, das dem Strafrichter seine Thätigkeit verleidet, und das ihn, wenn er
begabt und strebsam ist, sich ans der Strafkammer Hinanssehnen läßt. Der
Einwand, daß ja anch die Gerichte zweiter und dritter Instanz als Revisivns-
gerichte mit fünf und mehr Richtern besetzt seien, beweist nichts. Denn in den
höhern Instanzen liegt der Schwerpunkt der strafrichterlichen Thätigkeit weniger
in der mündlichen Verhandlung als in der eingehendem, oft sogar vor der
Hauptverhandlung stattfindenden Beratung der Entscheidungsgründe und in
der erschöpfenden Ausarbeitung der Urtcilsgründe durch die Referenten, wäh¬
rend für die Strafkammern bei der Masse der ihnen zur Entscheidung vor¬
gelegten Fülle das Hauptgewicht nicht in der nachträglichen Ausarbeitung der
notwendigerweise kurz gefaßten Urteilsgründe durch den Referenten, sondern
in der mündlichen Verhandlung liegt, der sich das Urteil unmittelbar anschließt.

Ans dem Gesagtem folgt, daß es in der That ein Mittel giebt, durch
das die Thätigkeit der Beifitzeudeu in den Strafkammern in den Angen der
Laien ebenso wie in den Augen der Beteiligten selbst wieder gehoben und der
unerfreuliche Zustand beseitigt werden könnte, der zu der Annahme geführt
hat, daß die Richter der Strafkammern gewissermaßen Richter zweiter Klasse
seien. Man verwandle die Strafkammer in ein Dreirichterkollegium und
gebe dadurch den Beisitzer,? mit dein Bewußtsein erhöhter Verantwortlichkeit
auch das Gefühl wieder, daß sie nicht überflüssig sind!

Bekanntlich trägt man sich in maßgebenden Kreisen ernstlich mit dem Ge¬
danken der Wiedereinführung der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern.
Ich würde diese Reform -- abgesehen von andern Gründen -- auch um des¬
willen freudig begrüßen, weil sie schon ans fiskalischen Gründen voraussichtlich
dazu führen mußte, die Strafkammern in Dreirichterkollegien umzuwandeln,
und weil außerdem mit der Einführung der Berufung das letzte Bedenke"
gegen diese Umwandlung schwinden würde, das i" der Erwägung liegt, daß


Innern des Kollegiums jeweilig einzelnen Mitgliedern in stillschweigendem
Übereinkommen übertragen wird. So ist es euch in den Fünfrichterkollegien
der Strafkammern geworden. Man merkte sehr bald, daß für die große Masse
der vor dieses Kollegium gelangenden Sachen, sür die Unzahl einfacher und
schwerer Diebstähle, für die einfachen Thatbestände der gefährlichen Körper¬
verletzung, der Unterschlagung, des strafbaren Eigennutzes u. s. w. der in
Bewegung gesetzte Apparat von fünf rechtsgelehrten Richtern unnötig schwer¬
fällig und umständlich sei, und die Folge war, das; man im Vertrauen auf
seine Kollegen nnanfmert'sam wurde und mit halbem Ohre zuhörend sich mit
andern Sachen beschäftigte, mit deren Bearbeitung als Referent man speziell
beauftragt war. Das Kollegium überließ mehr und mehr die ihm in seiner
Gesamtheit obliegende Aufmerksamkeit dein Vorsitzenden der Kammer und dem
bestellten Referenten. So kam das Gefühl ans, daß man, so weit man nicht
selbst Referent war, als Beisitzer eigentlich überflüssiig sei, und dieses Gefühl
ist es, das dem Strafrichter seine Thätigkeit verleidet, und das ihn, wenn er
begabt und strebsam ist, sich ans der Strafkammer Hinanssehnen läßt. Der
Einwand, daß ja anch die Gerichte zweiter und dritter Instanz als Revisivns-
gerichte mit fünf und mehr Richtern besetzt seien, beweist nichts. Denn in den
höhern Instanzen liegt der Schwerpunkt der strafrichterlichen Thätigkeit weniger
in der mündlichen Verhandlung als in der eingehendem, oft sogar vor der
Hauptverhandlung stattfindenden Beratung der Entscheidungsgründe und in
der erschöpfenden Ausarbeitung der Urtcilsgründe durch die Referenten, wäh¬
rend für die Strafkammern bei der Masse der ihnen zur Entscheidung vor¬
gelegten Fülle das Hauptgewicht nicht in der nachträglichen Ausarbeitung der
notwendigerweise kurz gefaßten Urteilsgründe durch den Referenten, sondern
in der mündlichen Verhandlung liegt, der sich das Urteil unmittelbar anschließt.

Ans dem Gesagtem folgt, daß es in der That ein Mittel giebt, durch
das die Thätigkeit der Beifitzeudeu in den Strafkammern in den Angen der
Laien ebenso wie in den Augen der Beteiligten selbst wieder gehoben und der
unerfreuliche Zustand beseitigt werden könnte, der zu der Annahme geführt
hat, daß die Richter der Strafkammern gewissermaßen Richter zweiter Klasse
seien. Man verwandle die Strafkammer in ein Dreirichterkollegium und
gebe dadurch den Beisitzer,? mit dein Bewußtsein erhöhter Verantwortlichkeit
auch das Gefühl wieder, daß sie nicht überflüssig sind!

Bekanntlich trägt man sich in maßgebenden Kreisen ernstlich mit dem Ge¬
danken der Wiedereinführung der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern.
Ich würde diese Reform — abgesehen von andern Gründen — auch um des¬
willen freudig begrüßen, weil sie schon ans fiskalischen Gründen voraussichtlich
dazu führen mußte, die Strafkammern in Dreirichterkollegien umzuwandeln,
und weil außerdem mit der Einführung der Berufung das letzte Bedenke»
gegen diese Umwandlung schwinden würde, das i» der Erwägung liegt, daß


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[0286] Innern des Kollegiums jeweilig einzelnen Mitgliedern in stillschweigendem Übereinkommen übertragen wird. So ist es euch in den Fünfrichterkollegien der Strafkammern geworden. Man merkte sehr bald, daß für die große Masse der vor dieses Kollegium gelangenden Sachen, sür die Unzahl einfacher und schwerer Diebstähle, für die einfachen Thatbestände der gefährlichen Körper¬ verletzung, der Unterschlagung, des strafbaren Eigennutzes u. s. w. der in Bewegung gesetzte Apparat von fünf rechtsgelehrten Richtern unnötig schwer¬ fällig und umständlich sei, und die Folge war, das; man im Vertrauen auf seine Kollegen nnanfmert'sam wurde und mit halbem Ohre zuhörend sich mit andern Sachen beschäftigte, mit deren Bearbeitung als Referent man speziell beauftragt war. Das Kollegium überließ mehr und mehr die ihm in seiner Gesamtheit obliegende Aufmerksamkeit dein Vorsitzenden der Kammer und dem bestellten Referenten. So kam das Gefühl ans, daß man, so weit man nicht selbst Referent war, als Beisitzer eigentlich überflüssiig sei, und dieses Gefühl ist es, das dem Strafrichter seine Thätigkeit verleidet, und das ihn, wenn er begabt und strebsam ist, sich ans der Strafkammer Hinanssehnen läßt. Der Einwand, daß ja anch die Gerichte zweiter und dritter Instanz als Revisivns- gerichte mit fünf und mehr Richtern besetzt seien, beweist nichts. Denn in den höhern Instanzen liegt der Schwerpunkt der strafrichterlichen Thätigkeit weniger in der mündlichen Verhandlung als in der eingehendem, oft sogar vor der Hauptverhandlung stattfindenden Beratung der Entscheidungsgründe und in der erschöpfenden Ausarbeitung der Urtcilsgründe durch die Referenten, wäh¬ rend für die Strafkammern bei der Masse der ihnen zur Entscheidung vor¬ gelegten Fülle das Hauptgewicht nicht in der nachträglichen Ausarbeitung der notwendigerweise kurz gefaßten Urteilsgründe durch den Referenten, sondern in der mündlichen Verhandlung liegt, der sich das Urteil unmittelbar anschließt. Ans dem Gesagtem folgt, daß es in der That ein Mittel giebt, durch das die Thätigkeit der Beifitzeudeu in den Strafkammern in den Angen der Laien ebenso wie in den Augen der Beteiligten selbst wieder gehoben und der unerfreuliche Zustand beseitigt werden könnte, der zu der Annahme geführt hat, daß die Richter der Strafkammern gewissermaßen Richter zweiter Klasse seien. Man verwandle die Strafkammer in ein Dreirichterkollegium und gebe dadurch den Beisitzer,? mit dein Bewußtsein erhöhter Verantwortlichkeit auch das Gefühl wieder, daß sie nicht überflüssig sind! Bekanntlich trägt man sich in maßgebenden Kreisen ernstlich mit dem Ge¬ danken der Wiedereinführung der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern. Ich würde diese Reform — abgesehen von andern Gründen — auch um des¬ willen freudig begrüßen, weil sie schon ans fiskalischen Gründen voraussichtlich dazu führen mußte, die Strafkammern in Dreirichterkollegien umzuwandeln, und weil außerdem mit der Einführung der Berufung das letzte Bedenke» gegen diese Umwandlung schwinden würde, das i» der Erwägung liegt, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/286>, abgerufen am 25.06.2024.