Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn

Bischofs Walter i" Livland enthält die schlagendsten Beweise für die Nichtigkeit
dieser Darstellung. Wir können wohl über diese Niederlage der deutschen und
evangelischen Sache klagen, wir haben alle Ursache dazu, aber wir habe" nicht
das Recht, die russische Regierung oder das russische Volk allein dafür verant¬
wortlich zu machen. Und hat etwa die deutsche Regierung jemals gegen diese
Unterdrückung des Deutschtums in den Ostseeprovinzen Einspruch erhoben?
Durchaus nicht. Man hat sogar in der letzten Zeit behauptet, Fürst Bismarck
habe der russischen Regierung zu ihrem Russifiziruugswerke in aller Form
seine Sanktion erteilt. Nun, das wird schwerlich geschehe" sein, weil Rußland
diese Sanktion gar nicht begehrt haben wird. Jedenfalls ist es sehr zweifelhaft,
ob wir unseru Stammesgenossen in Rußland durch die Äußerung unsers Mit¬
gefühls irgend welchen Dienst erweisen. Mir will es scheinen, als ob wir
sie dadurch in den Augen der Russen in einen gewissen nationalen und poli¬
tischen Zusammenhang mit uns brächten, den Rußland, seit Deutschland so
mächtig geworden ist, entschieden fürchtet.

Bei uns ist es natürlich besonders die jüdische Presse, die den Haß gegen
Rußland schürt. Ob es bloß Baissespekulationen sind, oder ob es sich aus
edlern Beweggründen, z. B. aus der Entrüstung über die Behandlung der Juden
in Nußland erklärt, ist schwer zu entscheiden; geschimpft wird, darüber ist
kein Zweifel, und zwar über alles: Staat, Kirche, Beamtentum, Heerwesen,
Finanzen, Sitten und Gebräuche, alles muß herhalten. Die abgeschmacktesten
Märchen werden erfunden, wenn es an geeignetem Stoffe fehlt. Ist eS da
zu verwundern, wenn sich in der russischen Presse anch ein gehässiger Ton
gegen Deutschland immer breiter macht? Vor einigen Jahren hörte ich einen
öffentlichen Bortrag über Slawentum und Germanentum von einem in der
politischen und litterarische" Welt bekannten freisinnigen Redakteur, der be¬
hauptete, ein u"widerstehlicher Haug zum Alkohol und ein unheimliches Talent
zum Hammeldiebstahl seien rede" den nicht gerade beneidenswerten äußern
Eigentünilichkeiten die hervorragendste" geistige" Merkmale der Nüsse". Das
ist "och eine verhältnismäßig harmlose Probe in, Vergleich zu deu oft geradezu
empörenden Angriffe" deutscher Blätter ans alles, was dem Russen heilig nud
teuer ist. Ich habe den Grafen Totleben, den Helden von Sewastopol, der
in seinem Leben wahrhaftig Gelegenheit genng gehabt hatte, die Fehler der
Russen kennen zu lernen, kaum jemals so leidenschaftlich erregt gesehen, als
dn wir einmal beim Mittagessen in seinem Schlosse Keidani von der Haltung
der deutschen Presse Rußland gegenüber sprachen. Als Generalgouvemeur von
Wilna erhielt er die ausländischen Zeitungen ohne Zensurschwürzc, konnte sich
also an deu liebenswürdigen Äußerungen des Berliner Tageblatts recht er¬
bauen. Er hatte von seinen russischen Vorgesetzten, ja von seinen Kaisern
selbst als Deutscher manche Zurücksetzung, manche herbe Kränkung in feiner
wunderbaren Laufbahn erfahre" müssen, während ihm die Zeichen der An-


Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn

Bischofs Walter i» Livland enthält die schlagendsten Beweise für die Nichtigkeit
dieser Darstellung. Wir können wohl über diese Niederlage der deutschen und
evangelischen Sache klagen, wir haben alle Ursache dazu, aber wir habe» nicht
das Recht, die russische Regierung oder das russische Volk allein dafür verant¬
wortlich zu machen. Und hat etwa die deutsche Regierung jemals gegen diese
Unterdrückung des Deutschtums in den Ostseeprovinzen Einspruch erhoben?
Durchaus nicht. Man hat sogar in der letzten Zeit behauptet, Fürst Bismarck
habe der russischen Regierung zu ihrem Russifiziruugswerke in aller Form
seine Sanktion erteilt. Nun, das wird schwerlich geschehe» sein, weil Rußland
diese Sanktion gar nicht begehrt haben wird. Jedenfalls ist es sehr zweifelhaft,
ob wir unseru Stammesgenossen in Rußland durch die Äußerung unsers Mit¬
gefühls irgend welchen Dienst erweisen. Mir will es scheinen, als ob wir
sie dadurch in den Augen der Russen in einen gewissen nationalen und poli¬
tischen Zusammenhang mit uns brächten, den Rußland, seit Deutschland so
mächtig geworden ist, entschieden fürchtet.

Bei uns ist es natürlich besonders die jüdische Presse, die den Haß gegen
Rußland schürt. Ob es bloß Baissespekulationen sind, oder ob es sich aus
edlern Beweggründen, z. B. aus der Entrüstung über die Behandlung der Juden
in Nußland erklärt, ist schwer zu entscheiden; geschimpft wird, darüber ist
kein Zweifel, und zwar über alles: Staat, Kirche, Beamtentum, Heerwesen,
Finanzen, Sitten und Gebräuche, alles muß herhalten. Die abgeschmacktesten
Märchen werden erfunden, wenn es an geeignetem Stoffe fehlt. Ist eS da
zu verwundern, wenn sich in der russischen Presse anch ein gehässiger Ton
gegen Deutschland immer breiter macht? Vor einigen Jahren hörte ich einen
öffentlichen Bortrag über Slawentum und Germanentum von einem in der
politischen und litterarische» Welt bekannten freisinnigen Redakteur, der be¬
hauptete, ein u»widerstehlicher Haug zum Alkohol und ein unheimliches Talent
zum Hammeldiebstahl seien rede» den nicht gerade beneidenswerten äußern
Eigentünilichkeiten die hervorragendste» geistige» Merkmale der Nüsse». Das
ist »och eine verhältnismäßig harmlose Probe in, Vergleich zu deu oft geradezu
empörenden Angriffe» deutscher Blätter ans alles, was dem Russen heilig nud
teuer ist. Ich habe den Grafen Totleben, den Helden von Sewastopol, der
in seinem Leben wahrhaftig Gelegenheit genng gehabt hatte, die Fehler der
Russen kennen zu lernen, kaum jemals so leidenschaftlich erregt gesehen, als
dn wir einmal beim Mittagessen in seinem Schlosse Keidani von der Haltung
der deutschen Presse Rußland gegenüber sprachen. Als Generalgouvemeur von
Wilna erhielt er die ausländischen Zeitungen ohne Zensurschwürzc, konnte sich
also an deu liebenswürdigen Äußerungen des Berliner Tageblatts recht er¬
bauen. Er hatte von seinen russischen Vorgesetzten, ja von seinen Kaisern
selbst als Deutscher manche Zurücksetzung, manche herbe Kränkung in feiner
wunderbaren Laufbahn erfahre» müssen, während ihm die Zeichen der An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214065"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_946" prev="#ID_945"> Bischofs Walter i» Livland enthält die schlagendsten Beweise für die Nichtigkeit<lb/>
dieser Darstellung. Wir können wohl über diese Niederlage der deutschen und<lb/>
evangelischen Sache klagen, wir haben alle Ursache dazu, aber wir habe» nicht<lb/>
das Recht, die russische Regierung oder das russische Volk allein dafür verant¬<lb/>
wortlich zu machen. Und hat etwa die deutsche Regierung jemals gegen diese<lb/>
Unterdrückung des Deutschtums in den Ostseeprovinzen Einspruch erhoben?<lb/>
Durchaus nicht. Man hat sogar in der letzten Zeit behauptet, Fürst Bismarck<lb/>
habe der russischen Regierung zu ihrem Russifiziruugswerke in aller Form<lb/>
seine Sanktion erteilt. Nun, das wird schwerlich geschehe» sein, weil Rußland<lb/>
diese Sanktion gar nicht begehrt haben wird. Jedenfalls ist es sehr zweifelhaft,<lb/>
ob wir unseru Stammesgenossen in Rußland durch die Äußerung unsers Mit¬<lb/>
gefühls irgend welchen Dienst erweisen. Mir will es scheinen, als ob wir<lb/>
sie dadurch in den Augen der Russen in einen gewissen nationalen und poli¬<lb/>
tischen Zusammenhang mit uns brächten, den Rußland, seit Deutschland so<lb/>
mächtig geworden ist, entschieden fürchtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_947" next="#ID_948"> Bei uns ist es natürlich besonders die jüdische Presse, die den Haß gegen<lb/>
Rußland schürt. Ob es bloß Baissespekulationen sind, oder ob es sich aus<lb/>
edlern Beweggründen, z. B. aus der Entrüstung über die Behandlung der Juden<lb/>
in Nußland erklärt, ist schwer zu entscheiden; geschimpft wird, darüber ist<lb/>
kein Zweifel, und zwar über alles: Staat, Kirche, Beamtentum, Heerwesen,<lb/>
Finanzen, Sitten und Gebräuche, alles muß herhalten. Die abgeschmacktesten<lb/>
Märchen werden erfunden, wenn es an geeignetem Stoffe fehlt. Ist eS da<lb/>
zu verwundern, wenn sich in der russischen Presse anch ein gehässiger Ton<lb/>
gegen Deutschland immer breiter macht? Vor einigen Jahren hörte ich einen<lb/>
öffentlichen Bortrag über Slawentum und Germanentum von einem in der<lb/>
politischen und litterarische» Welt bekannten freisinnigen Redakteur, der be¬<lb/>
hauptete, ein u»widerstehlicher Haug zum Alkohol und ein unheimliches Talent<lb/>
zum Hammeldiebstahl seien rede» den nicht gerade beneidenswerten äußern<lb/>
Eigentünilichkeiten die hervorragendste» geistige» Merkmale der Nüsse». Das<lb/>
ist »och eine verhältnismäßig harmlose Probe in, Vergleich zu deu oft geradezu<lb/>
empörenden Angriffe» deutscher Blätter ans alles, was dem Russen heilig nud<lb/>
teuer ist. Ich habe den Grafen Totleben, den Helden von Sewastopol, der<lb/>
in seinem Leben wahrhaftig Gelegenheit genng gehabt hatte, die Fehler der<lb/>
Russen kennen zu lernen, kaum jemals so leidenschaftlich erregt gesehen, als<lb/>
dn wir einmal beim Mittagessen in seinem Schlosse Keidani von der Haltung<lb/>
der deutschen Presse Rußland gegenüber sprachen. Als Generalgouvemeur von<lb/>
Wilna erhielt er die ausländischen Zeitungen ohne Zensurschwürzc, konnte sich<lb/>
also an deu liebenswürdigen Äußerungen des Berliner Tageblatts recht er¬<lb/>
bauen. Er hatte von seinen russischen Vorgesetzten, ja von seinen Kaisern<lb/>
selbst als Deutscher manche Zurücksetzung, manche herbe Kränkung in feiner<lb/>
wunderbaren Laufbahn erfahre» müssen, während ihm die Zeichen der An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Der Deutschenhaß bei unsern Nachbarn Bischofs Walter i» Livland enthält die schlagendsten Beweise für die Nichtigkeit dieser Darstellung. Wir können wohl über diese Niederlage der deutschen und evangelischen Sache klagen, wir haben alle Ursache dazu, aber wir habe» nicht das Recht, die russische Regierung oder das russische Volk allein dafür verant¬ wortlich zu machen. Und hat etwa die deutsche Regierung jemals gegen diese Unterdrückung des Deutschtums in den Ostseeprovinzen Einspruch erhoben? Durchaus nicht. Man hat sogar in der letzten Zeit behauptet, Fürst Bismarck habe der russischen Regierung zu ihrem Russifiziruugswerke in aller Form seine Sanktion erteilt. Nun, das wird schwerlich geschehe» sein, weil Rußland diese Sanktion gar nicht begehrt haben wird. Jedenfalls ist es sehr zweifelhaft, ob wir unseru Stammesgenossen in Rußland durch die Äußerung unsers Mit¬ gefühls irgend welchen Dienst erweisen. Mir will es scheinen, als ob wir sie dadurch in den Augen der Russen in einen gewissen nationalen und poli¬ tischen Zusammenhang mit uns brächten, den Rußland, seit Deutschland so mächtig geworden ist, entschieden fürchtet. Bei uns ist es natürlich besonders die jüdische Presse, die den Haß gegen Rußland schürt. Ob es bloß Baissespekulationen sind, oder ob es sich aus edlern Beweggründen, z. B. aus der Entrüstung über die Behandlung der Juden in Nußland erklärt, ist schwer zu entscheiden; geschimpft wird, darüber ist kein Zweifel, und zwar über alles: Staat, Kirche, Beamtentum, Heerwesen, Finanzen, Sitten und Gebräuche, alles muß herhalten. Die abgeschmacktesten Märchen werden erfunden, wenn es an geeignetem Stoffe fehlt. Ist eS da zu verwundern, wenn sich in der russischen Presse anch ein gehässiger Ton gegen Deutschland immer breiter macht? Vor einigen Jahren hörte ich einen öffentlichen Bortrag über Slawentum und Germanentum von einem in der politischen und litterarische» Welt bekannten freisinnigen Redakteur, der be¬ hauptete, ein u»widerstehlicher Haug zum Alkohol und ein unheimliches Talent zum Hammeldiebstahl seien rede» den nicht gerade beneidenswerten äußern Eigentünilichkeiten die hervorragendste» geistige» Merkmale der Nüsse». Das ist »och eine verhältnismäßig harmlose Probe in, Vergleich zu deu oft geradezu empörenden Angriffe» deutscher Blätter ans alles, was dem Russen heilig nud teuer ist. Ich habe den Grafen Totleben, den Helden von Sewastopol, der in seinem Leben wahrhaftig Gelegenheit genng gehabt hatte, die Fehler der Russen kennen zu lernen, kaum jemals so leidenschaftlich erregt gesehen, als dn wir einmal beim Mittagessen in seinem Schlosse Keidani von der Haltung der deutschen Presse Rußland gegenüber sprachen. Als Generalgouvemeur von Wilna erhielt er die ausländischen Zeitungen ohne Zensurschwürzc, konnte sich also an deu liebenswürdigen Äußerungen des Berliner Tageblatts recht er¬ bauen. Er hatte von seinen russischen Vorgesetzten, ja von seinen Kaisern selbst als Deutscher manche Zurücksetzung, manche herbe Kränkung in feiner wunderbaren Laufbahn erfahre» müssen, während ihm die Zeichen der An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/273>, abgerufen am 25.06.2024.