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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der Deutschenhas; bei unsern Nachbarn

milder" Aiiffassuiig und Beurteilung jeuer Erscheinungen beitragen, wenn sie
in weitere Kreise drängen. Ich will zunächst von Frankreich reden.

Einer wissenschaftlichen Arbeit wegen hielt ich mich, nachdem ich schon
Ende der siebziger Jahre zwei Winter in Frankreich verlebt hatte, voriges
Frühjahr wieder einige Zeit lang in Paris auf. Da ich namentlich phonetische
'Studien machen wollte, so war es neben dem Besuche der einschlägigen Vor¬
lesungen an der Sorbonne und im OollvAv alö IsiAnoo vor allem meine Auf¬
gabe, die Pariser Aussprache der verschiedensten Kreise, Bildungsstufen und
Vortragsweisen zu beobachten. Es galt daher in der Deputirteuknmmer wie
in den Arbeiterversammlungen, in den Kirchen wie in den Wirtshäusern, in
den Salons der Geistesaristokratie wie in den Markthallen Arbeitsmaterial
zu suchen, und ich bin infolge dessen trotz der Kürze meines Aufenthalts
natürlich viel mehr mit Franzosen aller Schichten zusammengekommen, als es
ohne dies der Fall gewesen wäre. Von der deutschen Botschaft in Paris
hatte ich ein Empfehlungsschreiben an die Verwaltungsbehörde der National-
bibliothek bekommen, und mit einem Professor an der Sorbonne hatte ich von
Deutschland aus Briefe gewechselt. Sonst aber kannte ich niemand und konnte
mich um niemand halten.

Man hat nur viel Gutes über mein Französisch gesagt, aber ich bin doch
ein zu gut geschulter Phonetiker, um uicht zu wissen, daß mir jeder Franzose
beim dritten Worte den Ausländer anhört, und mein Spiegel hält mir so
unverkennbar deutsche Züge vor, daß selbst der größtkarrirte Stoff und die
weitesten Hosen eine nutzlose Vermummung und eine vergebliche Nachahmung
englischer Touristen gewesen wäre. Ich bin meist sofort als Deutscher erkannt
worden, habe auch keine Gelegenheit versäumt, meine Nationalität zu offen¬
baren und zu bestätigen. Überdies muß ich bekennen, daß ich cholerischen
Temperaments und durchaus uicht geneigt bin, mir irgend etwas gefallen zu
lassen. Meine Frau steigt mit einer gewissen Angst mit mir ins Nichtraucher-
knpee, weil sie behauptet, ich sähe mich immer erst kampflustig nach einem
rauchenden Sünder um und wäre nie befriedigt, wenn es uicht zu einer ge¬
waltsamen Entfernung des voipus ckvlivti gekommen sei. Ich habe auch in
Pariser Theatern wiederholt mein Mißfallen über das Gebcihren der Claque
und der Obstverkäufer sehr deutlich zum Ausdruck gebracht; und doch habe
ich deshalb nirgends auch nur die leiseste Spur von Feindseligkeit oder Zurück¬
setzung gemerkt.

Ich wohnte als einziger Deutscher in einem sehr großen Hotel Garni
des ^uiutliöi' IMn. Der Hausverwalter schien sich etwas darauf einzubilden
daß mehrere meiner Landsleute lange und wiederholt bei ihm gewohnt hatten;
die Deutschen seien doch solide Leute, meinte er. Einem Höhern Polizeibeamten,
der mir gegen das Ende meines Pariser Aufenthalts einen freundschaftlichen
Besuch macheu wollte und mich nicht zu Hause fand, hatte derselbe Haus-


Der Deutschenhas; bei unsern Nachbarn

milder» Aiiffassuiig und Beurteilung jeuer Erscheinungen beitragen, wenn sie
in weitere Kreise drängen. Ich will zunächst von Frankreich reden.

Einer wissenschaftlichen Arbeit wegen hielt ich mich, nachdem ich schon
Ende der siebziger Jahre zwei Winter in Frankreich verlebt hatte, voriges
Frühjahr wieder einige Zeit lang in Paris auf. Da ich namentlich phonetische
'Studien machen wollte, so war es neben dem Besuche der einschlägigen Vor¬
lesungen an der Sorbonne und im OollvAv alö IsiAnoo vor allem meine Auf¬
gabe, die Pariser Aussprache der verschiedensten Kreise, Bildungsstufen und
Vortragsweisen zu beobachten. Es galt daher in der Deputirteuknmmer wie
in den Arbeiterversammlungen, in den Kirchen wie in den Wirtshäusern, in
den Salons der Geistesaristokratie wie in den Markthallen Arbeitsmaterial
zu suchen, und ich bin infolge dessen trotz der Kürze meines Aufenthalts
natürlich viel mehr mit Franzosen aller Schichten zusammengekommen, als es
ohne dies der Fall gewesen wäre. Von der deutschen Botschaft in Paris
hatte ich ein Empfehlungsschreiben an die Verwaltungsbehörde der National-
bibliothek bekommen, und mit einem Professor an der Sorbonne hatte ich von
Deutschland aus Briefe gewechselt. Sonst aber kannte ich niemand und konnte
mich um niemand halten.

Man hat nur viel Gutes über mein Französisch gesagt, aber ich bin doch
ein zu gut geschulter Phonetiker, um uicht zu wissen, daß mir jeder Franzose
beim dritten Worte den Ausländer anhört, und mein Spiegel hält mir so
unverkennbar deutsche Züge vor, daß selbst der größtkarrirte Stoff und die
weitesten Hosen eine nutzlose Vermummung und eine vergebliche Nachahmung
englischer Touristen gewesen wäre. Ich bin meist sofort als Deutscher erkannt
worden, habe auch keine Gelegenheit versäumt, meine Nationalität zu offen¬
baren und zu bestätigen. Überdies muß ich bekennen, daß ich cholerischen
Temperaments und durchaus uicht geneigt bin, mir irgend etwas gefallen zu
lassen. Meine Frau steigt mit einer gewissen Angst mit mir ins Nichtraucher-
knpee, weil sie behauptet, ich sähe mich immer erst kampflustig nach einem
rauchenden Sünder um und wäre nie befriedigt, wenn es uicht zu einer ge¬
waltsamen Entfernung des voipus ckvlivti gekommen sei. Ich habe auch in
Pariser Theatern wiederholt mein Mißfallen über das Gebcihren der Claque
und der Obstverkäufer sehr deutlich zum Ausdruck gebracht; und doch habe
ich deshalb nirgends auch nur die leiseste Spur von Feindseligkeit oder Zurück¬
setzung gemerkt.

Ich wohnte als einziger Deutscher in einem sehr großen Hotel Garni
des ^uiutliöi' IMn. Der Hausverwalter schien sich etwas darauf einzubilden
daß mehrere meiner Landsleute lange und wiederholt bei ihm gewohnt hatten;
die Deutschen seien doch solide Leute, meinte er. Einem Höhern Polizeibeamten,
der mir gegen das Ende meines Pariser Aufenthalts einen freundschaftlichen
Besuch macheu wollte und mich nicht zu Hause fand, hatte derselbe Haus-


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[0268] Der Deutschenhas; bei unsern Nachbarn milder» Aiiffassuiig und Beurteilung jeuer Erscheinungen beitragen, wenn sie in weitere Kreise drängen. Ich will zunächst von Frankreich reden. Einer wissenschaftlichen Arbeit wegen hielt ich mich, nachdem ich schon Ende der siebziger Jahre zwei Winter in Frankreich verlebt hatte, voriges Frühjahr wieder einige Zeit lang in Paris auf. Da ich namentlich phonetische 'Studien machen wollte, so war es neben dem Besuche der einschlägigen Vor¬ lesungen an der Sorbonne und im OollvAv alö IsiAnoo vor allem meine Auf¬ gabe, die Pariser Aussprache der verschiedensten Kreise, Bildungsstufen und Vortragsweisen zu beobachten. Es galt daher in der Deputirteuknmmer wie in den Arbeiterversammlungen, in den Kirchen wie in den Wirtshäusern, in den Salons der Geistesaristokratie wie in den Markthallen Arbeitsmaterial zu suchen, und ich bin infolge dessen trotz der Kürze meines Aufenthalts natürlich viel mehr mit Franzosen aller Schichten zusammengekommen, als es ohne dies der Fall gewesen wäre. Von der deutschen Botschaft in Paris hatte ich ein Empfehlungsschreiben an die Verwaltungsbehörde der National- bibliothek bekommen, und mit einem Professor an der Sorbonne hatte ich von Deutschland aus Briefe gewechselt. Sonst aber kannte ich niemand und konnte mich um niemand halten. Man hat nur viel Gutes über mein Französisch gesagt, aber ich bin doch ein zu gut geschulter Phonetiker, um uicht zu wissen, daß mir jeder Franzose beim dritten Worte den Ausländer anhört, und mein Spiegel hält mir so unverkennbar deutsche Züge vor, daß selbst der größtkarrirte Stoff und die weitesten Hosen eine nutzlose Vermummung und eine vergebliche Nachahmung englischer Touristen gewesen wäre. Ich bin meist sofort als Deutscher erkannt worden, habe auch keine Gelegenheit versäumt, meine Nationalität zu offen¬ baren und zu bestätigen. Überdies muß ich bekennen, daß ich cholerischen Temperaments und durchaus uicht geneigt bin, mir irgend etwas gefallen zu lassen. Meine Frau steigt mit einer gewissen Angst mit mir ins Nichtraucher- knpee, weil sie behauptet, ich sähe mich immer erst kampflustig nach einem rauchenden Sünder um und wäre nie befriedigt, wenn es uicht zu einer ge¬ waltsamen Entfernung des voipus ckvlivti gekommen sei. Ich habe auch in Pariser Theatern wiederholt mein Mißfallen über das Gebcihren der Claque und der Obstverkäufer sehr deutlich zum Ausdruck gebracht; und doch habe ich deshalb nirgends auch nur die leiseste Spur von Feindseligkeit oder Zurück¬ setzung gemerkt. Ich wohnte als einziger Deutscher in einem sehr großen Hotel Garni des ^uiutliöi' IMn. Der Hausverwalter schien sich etwas darauf einzubilden daß mehrere meiner Landsleute lange und wiederholt bei ihm gewohnt hatten; die Deutschen seien doch solide Leute, meinte er. Einem Höhern Polizeibeamten, der mir gegen das Ende meines Pariser Aufenthalts einen freundschaftlichen Besuch macheu wollte und mich nicht zu Hause fand, hatte derselbe Haus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/268>, abgerufen am 25.06.2024.