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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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gerade dieser so spröde Stoff der Anwendung einer reinen deutschen Sprache
entgegenstellt, siegreich überwunden," Das Lob der Reinheit trifft zu, wenigstens,
wie auch Keller sogleich einschränkend hinzufügt, im allgemeinen. Man kann
oft Dutzende von Bestimmungen hinter einander lesen, ohne auf Fremdwörter
zu stoßen. Aber nicht der Entwurf ist der siegreiche Überwinder, sondern er
betritt uur die Bahn, die vor ihm schon andre Gesetze, vor allen hervorragend
das sächsische bürgerliche Gesetzbuch vom Jahre 1863, in ausgezeichneter Weise
betreten hatten. Es sind nnr wenige deutsche Fachausdrücke, die der Entwurf
nen einführt; alle andern finden sich bereits im sächsischen Gesetzbuche vor.

Professor Uhrig sagt, die Sprachreinigung sei im EntWurfe bis an die
Grenze des Lächerliche?? getrieben. Als ein verwerfliches Beispiel führt er an,
daß man Ivx eonimiWvrm mit Rechtsverwirkimg übersetzt hat. Als ob es
nach der Einführung des Gesetzbuchs überhaupt noch eine lvx gäbe! Als ob
nicht gerade diese Verdeutschung vortrefflich wäre! Als ob man nicht in dein
größten Teile Deutschlands die amtliche Bezeichnung lsx evinini^oren längst
in die Rumpelkammer geworfen Hütte. Nein, man hätte bei der Ausmerzung
des Fremdländischen noch einen Schritt weiter gehn können! Heute bestreitet
doch wohl niemand mehr, daß es bei uns mit der Säuberung in jedem Jahre
und auf allen Gebieten vorwärts geht. Aber die Bewegung wird noch stärker
werden, und so wird es kommen, daß der Entwurf bald ins Hintertreffen
gerät. Die Verfasser eines so gewaltigen Werkes dürfen nicht zaghaft sein.
Sie müssen nicht bloß übersetzen wollen, sie dürfen und müssen schöpferisch
vorgehn, und sie können darin kühn sein. Ein wenig Kopfschütteln -- und
das Ding ist im Handumdrehen eingebürgert. So wars im Postwesen. Mai?
muß nur nicht davon ausgehn, daß jeder deutsche Ausdruck den Begriff, für
den er eintreten soll, erschöpfend wiedergeben müßte. Viele Fremdwörter sind
jn gerade deshalb so schwer ersetzbar, weil sie die Bedeutung, die wir ihnen
beilegen, gar nicht haben. Jeder Jurist weiß, was Jnveutarrecht heißt;
aber kein Nichtjurist weiß es, denn der Ausdruck besagt schlechterdings nichts,
nicht einmal, daß sichs um eine Einrichtung des Erbrechts handelt. Der Ent¬
wurf nimmt das Wort Jnveutarrecht wieder ans. Adolf Keller hat dafür
Erbverzeichnisrecht, andre haben Erbbestandsrecht vorgeschlagen. Keins
dieser Wörter ist erschöpfend, aber beide sind weit bezeichnender als Inventar-
recht. Also frisch zugegriffen!

Der Entwurf wendet aber auch Fremdwörter an, für die ein guter deutscher
Ausdruck längst vorhanden und überall gebräuchlich ist. Jedermann weiß,
was unter einem geprüften Arzt zu versteh" ist, oder nnter der Bcrsicherungs-
gebühr, dem Ruhegehalt, der Befreiung von gesetzlichen Verboten oder Be-
schränkungen, dem Stundengeld eines Lehrers und der Vergütung für einen
Vormund, einem Bücherabschluß. Der Entwurf gebraucht dafür ohne Not:
apprvbirter Arzt, Versicherungsprämie, Pension (in Norddeutschland halb


gerade dieser so spröde Stoff der Anwendung einer reinen deutschen Sprache
entgegenstellt, siegreich überwunden," Das Lob der Reinheit trifft zu, wenigstens,
wie auch Keller sogleich einschränkend hinzufügt, im allgemeinen. Man kann
oft Dutzende von Bestimmungen hinter einander lesen, ohne auf Fremdwörter
zu stoßen. Aber nicht der Entwurf ist der siegreiche Überwinder, sondern er
betritt uur die Bahn, die vor ihm schon andre Gesetze, vor allen hervorragend
das sächsische bürgerliche Gesetzbuch vom Jahre 1863, in ausgezeichneter Weise
betreten hatten. Es sind nnr wenige deutsche Fachausdrücke, die der Entwurf
nen einführt; alle andern finden sich bereits im sächsischen Gesetzbuche vor.

Professor Uhrig sagt, die Sprachreinigung sei im EntWurfe bis an die
Grenze des Lächerliche?? getrieben. Als ein verwerfliches Beispiel führt er an,
daß man Ivx eonimiWvrm mit Rechtsverwirkimg übersetzt hat. Als ob es
nach der Einführung des Gesetzbuchs überhaupt noch eine lvx gäbe! Als ob
nicht gerade diese Verdeutschung vortrefflich wäre! Als ob man nicht in dein
größten Teile Deutschlands die amtliche Bezeichnung lsx evinini^oren längst
in die Rumpelkammer geworfen Hütte. Nein, man hätte bei der Ausmerzung
des Fremdländischen noch einen Schritt weiter gehn können! Heute bestreitet
doch wohl niemand mehr, daß es bei uns mit der Säuberung in jedem Jahre
und auf allen Gebieten vorwärts geht. Aber die Bewegung wird noch stärker
werden, und so wird es kommen, daß der Entwurf bald ins Hintertreffen
gerät. Die Verfasser eines so gewaltigen Werkes dürfen nicht zaghaft sein.
Sie müssen nicht bloß übersetzen wollen, sie dürfen und müssen schöpferisch
vorgehn, und sie können darin kühn sein. Ein wenig Kopfschütteln — und
das Ding ist im Handumdrehen eingebürgert. So wars im Postwesen. Mai?
muß nur nicht davon ausgehn, daß jeder deutsche Ausdruck den Begriff, für
den er eintreten soll, erschöpfend wiedergeben müßte. Viele Fremdwörter sind
jn gerade deshalb so schwer ersetzbar, weil sie die Bedeutung, die wir ihnen
beilegen, gar nicht haben. Jeder Jurist weiß, was Jnveutarrecht heißt;
aber kein Nichtjurist weiß es, denn der Ausdruck besagt schlechterdings nichts,
nicht einmal, daß sichs um eine Einrichtung des Erbrechts handelt. Der Ent¬
wurf nimmt das Wort Jnveutarrecht wieder ans. Adolf Keller hat dafür
Erbverzeichnisrecht, andre haben Erbbestandsrecht vorgeschlagen. Keins
dieser Wörter ist erschöpfend, aber beide sind weit bezeichnender als Inventar-
recht. Also frisch zugegriffen!

Der Entwurf wendet aber auch Fremdwörter an, für die ein guter deutscher
Ausdruck längst vorhanden und überall gebräuchlich ist. Jedermann weiß,
was unter einem geprüften Arzt zu versteh» ist, oder nnter der Bcrsicherungs-
gebühr, dem Ruhegehalt, der Befreiung von gesetzlichen Verboten oder Be-
schränkungen, dem Stundengeld eines Lehrers und der Vergütung für einen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/245>, abgerufen am 25.06.2024.