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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

des Vertrags. In der Zivilprozeßordnung heißt es: Gerichts, Antrags,
Einspruchs. Der Entwurf nennt sich "Entwurf eines bürgerlichen Gesetz¬
buches"; in der amtlichen Zusammenstellung von Gutachten wird er vom Be¬
richterstatter Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs genannt; dort heißt es
überall: Vereins, Reichs, Rechts, Inhalts, Volks.

Eine häßliche Juristenformel ist das ständig wiederkehrende in Ermange¬
lung; z. B. 8 38: "in Ermangelung eines solchen Wohnsitzes," 475: "in
Ermangelung einer vereinbarten Frist," H 1246: "in Ermangelung eines
solchen Standesbeamten." Man sagt nicht: die Ermangelung eines Wohn¬
sitzes, sondern der Mangel. Warum also nicht: beim Mangel eines Wohn¬
sitzes? Wozu ferner die gespreizten Wendungen: "eine Beweisaufnahme in
Antrag bringen" (8 402), "der Mangel gründet sich in einem Um¬
stände" (§ 569), "der Vorerbe ist verpflichtet, die Sachen unter Versiche¬
rung zu bringen" (K 1817). Als ob wir nicht die Worte beantragen,
beruhen, versichern hätten!

Eine stehende Wendung lautet: "sofern nicht das Gesetz ein Anderes
bestimmt." Ein Anderes hat etwas altertümelndes an sich. Man streiche
das ein, oder sage schlechtweg: sofern das Gesetz nicht anders bestimmt.")

Der Entwurf ist überhaupt mit dem unbestimmten Artikel ein, eine,
ein, der jetzt der Modeartikel ist, reichlich bedacht. So heißt es: ein
Jeder, welcher, ein jeder der Ehegatten, ein jeder einzelne Erbe, ein
jeder andere jener Abkömmlinge. Oder: ein Gleiches gilt; an andern
Stellen wird kürzer dasselbe oder doch das Gleiche gesagt. Der Entwurf
ist auch nicht ganz frei von dem gespreizten, überdies logisch falschen ein in
Wendungen, wie in §212: "so gilt das Schnldvcrhältnis im Zweifel als ein
durch die Wahl des Dritten bedingtes." Es muß heißen: Das Schuldver¬
hältnis gilt als durch die Wahl des Dritten bedingt. Sind wir denn La¬
teiner geworden?

Zu dramatisch klingt die stehende Formel: es sei(!> denn, daß (über¬
dies stets mit dem Indikativ nach daß). Sie paßt nicht zu dem einfachen
Ton eines bürgerlichen Gesetzbuchs. In andern Gesetzen heißt es dafür: aus¬
genommen wenn.

Eine überaus häufige Sprachunschönheit ist die, das Passionen anzu¬
wenden, auch da, wo nicht der geringste Grund dazu vorliegt. Beispiele: 684
Abs. 3: "daß von dem Schuldner gegen die guten Sitten verstoßen worden
ist." 8 ^14 Abs. 2: "wenn von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt ist."
t; 1339 Abs. 4: "Ist von dem Ehemanne die Verpflichtung verletzt." § 1364:
"eine Verminderung, welche von ihm bewirkt ist." ^ 1436: "Wird der Wohnsitz



*) Das beste ist: sofern das Gesetz nichts andres bestimmt. Der Fehler liegt hier
D. R. in der häßlichen, ganz undeutschen Zerlegung des nichts in nicht ein.
Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

des Vertrags. In der Zivilprozeßordnung heißt es: Gerichts, Antrags,
Einspruchs. Der Entwurf nennt sich „Entwurf eines bürgerlichen Gesetz¬
buches"; in der amtlichen Zusammenstellung von Gutachten wird er vom Be¬
richterstatter Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs genannt; dort heißt es
überall: Vereins, Reichs, Rechts, Inhalts, Volks.

Eine häßliche Juristenformel ist das ständig wiederkehrende in Ermange¬
lung; z. B. 8 38: „in Ermangelung eines solchen Wohnsitzes," 475: „in
Ermangelung einer vereinbarten Frist," H 1246: „in Ermangelung eines
solchen Standesbeamten." Man sagt nicht: die Ermangelung eines Wohn¬
sitzes, sondern der Mangel. Warum also nicht: beim Mangel eines Wohn¬
sitzes? Wozu ferner die gespreizten Wendungen: „eine Beweisaufnahme in
Antrag bringen" (8 402), „der Mangel gründet sich in einem Um¬
stände" (§ 569), „der Vorerbe ist verpflichtet, die Sachen unter Versiche¬
rung zu bringen" (K 1817). Als ob wir nicht die Worte beantragen,
beruhen, versichern hätten!

Eine stehende Wendung lautet: „sofern nicht das Gesetz ein Anderes
bestimmt." Ein Anderes hat etwas altertümelndes an sich. Man streiche
das ein, oder sage schlechtweg: sofern das Gesetz nicht anders bestimmt.")

Der Entwurf ist überhaupt mit dem unbestimmten Artikel ein, eine,
ein, der jetzt der Modeartikel ist, reichlich bedacht. So heißt es: ein
Jeder, welcher, ein jeder der Ehegatten, ein jeder einzelne Erbe, ein
jeder andere jener Abkömmlinge. Oder: ein Gleiches gilt; an andern
Stellen wird kürzer dasselbe oder doch das Gleiche gesagt. Der Entwurf
ist auch nicht ganz frei von dem gespreizten, überdies logisch falschen ein in
Wendungen, wie in §212: „so gilt das Schnldvcrhältnis im Zweifel als ein
durch die Wahl des Dritten bedingtes." Es muß heißen: Das Schuldver¬
hältnis gilt als durch die Wahl des Dritten bedingt. Sind wir denn La¬
teiner geworden?

Zu dramatisch klingt die stehende Formel: es sei(!> denn, daß (über¬
dies stets mit dem Indikativ nach daß). Sie paßt nicht zu dem einfachen
Ton eines bürgerlichen Gesetzbuchs. In andern Gesetzen heißt es dafür: aus¬
genommen wenn.

Eine überaus häufige Sprachunschönheit ist die, das Passionen anzu¬
wenden, auch da, wo nicht der geringste Grund dazu vorliegt. Beispiele: 684
Abs. 3: „daß von dem Schuldner gegen die guten Sitten verstoßen worden
ist." 8 ^14 Abs. 2: „wenn von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt ist."
t; 1339 Abs. 4: „Ist von dem Ehemanne die Verpflichtung verletzt." § 1364:
„eine Verminderung, welche von ihm bewirkt ist." ^ 1436: „Wird der Wohnsitz



*) Das beste ist: sofern das Gesetz nichts andres bestimmt. Der Fehler liegt hier
D. R. in der häßlichen, ganz undeutschen Zerlegung des nichts in nicht ein.
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[0242] Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs des Vertrags. In der Zivilprozeßordnung heißt es: Gerichts, Antrags, Einspruchs. Der Entwurf nennt sich „Entwurf eines bürgerlichen Gesetz¬ buches"; in der amtlichen Zusammenstellung von Gutachten wird er vom Be¬ richterstatter Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs genannt; dort heißt es überall: Vereins, Reichs, Rechts, Inhalts, Volks. Eine häßliche Juristenformel ist das ständig wiederkehrende in Ermange¬ lung; z. B. 8 38: „in Ermangelung eines solchen Wohnsitzes," 475: „in Ermangelung einer vereinbarten Frist," H 1246: „in Ermangelung eines solchen Standesbeamten." Man sagt nicht: die Ermangelung eines Wohn¬ sitzes, sondern der Mangel. Warum also nicht: beim Mangel eines Wohn¬ sitzes? Wozu ferner die gespreizten Wendungen: „eine Beweisaufnahme in Antrag bringen" (8 402), „der Mangel gründet sich in einem Um¬ stände" (§ 569), „der Vorerbe ist verpflichtet, die Sachen unter Versiche¬ rung zu bringen" (K 1817). Als ob wir nicht die Worte beantragen, beruhen, versichern hätten! Eine stehende Wendung lautet: „sofern nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt." Ein Anderes hat etwas altertümelndes an sich. Man streiche das ein, oder sage schlechtweg: sofern das Gesetz nicht anders bestimmt.") Der Entwurf ist überhaupt mit dem unbestimmten Artikel ein, eine, ein, der jetzt der Modeartikel ist, reichlich bedacht. So heißt es: ein Jeder, welcher, ein jeder der Ehegatten, ein jeder einzelne Erbe, ein jeder andere jener Abkömmlinge. Oder: ein Gleiches gilt; an andern Stellen wird kürzer dasselbe oder doch das Gleiche gesagt. Der Entwurf ist auch nicht ganz frei von dem gespreizten, überdies logisch falschen ein in Wendungen, wie in §212: „so gilt das Schnldvcrhältnis im Zweifel als ein durch die Wahl des Dritten bedingtes." Es muß heißen: Das Schuldver¬ hältnis gilt als durch die Wahl des Dritten bedingt. Sind wir denn La¬ teiner geworden? Zu dramatisch klingt die stehende Formel: es sei(!> denn, daß (über¬ dies stets mit dem Indikativ nach daß). Sie paßt nicht zu dem einfachen Ton eines bürgerlichen Gesetzbuchs. In andern Gesetzen heißt es dafür: aus¬ genommen wenn. Eine überaus häufige Sprachunschönheit ist die, das Passionen anzu¬ wenden, auch da, wo nicht der geringste Grund dazu vorliegt. Beispiele: 684 Abs. 3: „daß von dem Schuldner gegen die guten Sitten verstoßen worden ist." 8 ^14 Abs. 2: „wenn von den Mehreren nicht gemeinsam gehandelt ist." t; 1339 Abs. 4: „Ist von dem Ehemanne die Verpflichtung verletzt." § 1364: „eine Verminderung, welche von ihm bewirkt ist." ^ 1436: „Wird der Wohnsitz *) Das beste ist: sofern das Gesetz nichts andres bestimmt. Der Fehler liegt hier D. R. in der häßlichen, ganz undeutschen Zerlegung des nichts in nicht ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/242>, abgerufen am 25.06.2024.