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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Aommlnnsmus noch Kapitalismus

die Laudlords durch die Entvölkerung Irlands den Fabrikanten einen großen
Dienst erwiesen, denselben Dienst, wie drei Jahrhunderte früher durch Ver¬
treibung der Klosterpächter, denn viele Irländer flüchteten im vorigen und zu
Anfang dieses Jahrhunderts Arbeit suchend zur bösen Stiefschwester. Der Ir¬
länder, schrieb Carlhle zur Zeit des Chartismus, "ist das schlimmste Übel,
mit dem unser Land zu kämpfen hat. Mit seinen Lumpen und seinem verwil¬
derte" Lachen ist er bei der Hand, jede Arbeit zu thun, die weiter nichts als
starke Arme und einen starken Rücken erfordert -- für so viel Geld, als er
zu Kartoffeln braucht. Als Würze genügt ihm el" wenig Salz; er schläft
ganz vergnügt im ersten besten Schweinestall und trägt einen Anzug aus
Fetzen, den aus- und anzuziehen eine äußerst schwierige Operation ist, die
daher nur an Festtagen vorgenommen wird. Der sächsische Mann, der um
solchen Lohn nicht arbeiten kann, wird brotlos; der uuzivilisirte Irländer ver¬
treibt den Sachsen, nicht durch seiue Überlegenheit, sondern durch das Gegen¬
teil davon." Carlhle übersieht dabei nur dreierlei. Erstens, daß es "der säch¬
sische Maun" ist, der deu Irländer soweit heruntergebracht hat; noch unter
Elisabeth haben unverdächtige englische Beobachter deu Iren das Zeugnis ge¬
geben, daß sie ein fleißiges, wirtschaftliches, gesittetes Volk seien. Zweitens
daß ein Teil des englischen Volkes schon vor der irischen Einwanderung zu
irischer Bedürfnislosigkeit hinabgedrückt worden war. Und drittens, daß es
noch ein schlimmeres Übel für England giebt als deu Irländer, nämlich jene
Industrie, die nicht einmal einen starken Rücken und starke Arme erfordert.
Aber verschlimmert haben freilich die Jrländer das Übel.

Nachdem sich die herrschenden Klassen ans die beschriebne Weise ein billiges
Arbeiterprvletariat und Geld zur Anschaffung von Maschinen verschafft hatten,
konnte es an dem dritten Mittel der Bereicherung nicht mehr fehlen: einer
großartigen Exportindustrie, die durch billige Löhne in den Stand gesetzt war,
alle ausländischen Konkurrenten zu unterbieten und zu vernichten. Anfänglich
waren es Handwerksmeister, die mit 5ttrchspielarmen und "Lehrlingen" die
Tuch-, Kattun-, Seiden- und Buntweberei, das Messer- und Nagelschmieden
betrieben. Dann schwangen sich die erfolgreichem unter ihnen zu Fabrikanten
empor, und als nun die mechanische Spinnerei und Weberei, zuerst mit Wasser-,
dann mit Dampfkraft betrieben, die menschliche Muskelkraft außer Kurs setzte,
da jagten sie die Männer vor die Thür und bedienten sich zuerst der billigeren
Weiber, dann der noch billigern Kinder.

Wir werden uns hüten, hier nach Engels, Marx, Brentano, Held,
Schutze-Güvernitz die Verbrechen zu schildern, die in englischen Werkstätten
und Fabriken an Millionen wehrloser Kinder verübt worden sind! Das
werden untre Leute in Zeitungen und Zeitschriften thun. Sie werden ge¬
zwungen werden, es zu thun. Wenn der englische Reichtum, der uicht auf
der sichern Grundlage des vaterländischen Bodens und freudiger, freiwilliger


Weder Aommlnnsmus noch Kapitalismus

die Laudlords durch die Entvölkerung Irlands den Fabrikanten einen großen
Dienst erwiesen, denselben Dienst, wie drei Jahrhunderte früher durch Ver¬
treibung der Klosterpächter, denn viele Irländer flüchteten im vorigen und zu
Anfang dieses Jahrhunderts Arbeit suchend zur bösen Stiefschwester. Der Ir¬
länder, schrieb Carlhle zur Zeit des Chartismus, „ist das schlimmste Übel,
mit dem unser Land zu kämpfen hat. Mit seinen Lumpen und seinem verwil¬
derte» Lachen ist er bei der Hand, jede Arbeit zu thun, die weiter nichts als
starke Arme und einen starken Rücken erfordert — für so viel Geld, als er
zu Kartoffeln braucht. Als Würze genügt ihm el» wenig Salz; er schläft
ganz vergnügt im ersten besten Schweinestall und trägt einen Anzug aus
Fetzen, den aus- und anzuziehen eine äußerst schwierige Operation ist, die
daher nur an Festtagen vorgenommen wird. Der sächsische Mann, der um
solchen Lohn nicht arbeiten kann, wird brotlos; der uuzivilisirte Irländer ver¬
treibt den Sachsen, nicht durch seiue Überlegenheit, sondern durch das Gegen¬
teil davon." Carlhle übersieht dabei nur dreierlei. Erstens, daß es „der säch¬
sische Maun" ist, der deu Irländer soweit heruntergebracht hat; noch unter
Elisabeth haben unverdächtige englische Beobachter deu Iren das Zeugnis ge¬
geben, daß sie ein fleißiges, wirtschaftliches, gesittetes Volk seien. Zweitens
daß ein Teil des englischen Volkes schon vor der irischen Einwanderung zu
irischer Bedürfnislosigkeit hinabgedrückt worden war. Und drittens, daß es
noch ein schlimmeres Übel für England giebt als deu Irländer, nämlich jene
Industrie, die nicht einmal einen starken Rücken und starke Arme erfordert.
Aber verschlimmert haben freilich die Jrländer das Übel.

Nachdem sich die herrschenden Klassen ans die beschriebne Weise ein billiges
Arbeiterprvletariat und Geld zur Anschaffung von Maschinen verschafft hatten,
konnte es an dem dritten Mittel der Bereicherung nicht mehr fehlen: einer
großartigen Exportindustrie, die durch billige Löhne in den Stand gesetzt war,
alle ausländischen Konkurrenten zu unterbieten und zu vernichten. Anfänglich
waren es Handwerksmeister, die mit 5ttrchspielarmen und „Lehrlingen" die
Tuch-, Kattun-, Seiden- und Buntweberei, das Messer- und Nagelschmieden
betrieben. Dann schwangen sich die erfolgreichem unter ihnen zu Fabrikanten
empor, und als nun die mechanische Spinnerei und Weberei, zuerst mit Wasser-,
dann mit Dampfkraft betrieben, die menschliche Muskelkraft außer Kurs setzte,
da jagten sie die Männer vor die Thür und bedienten sich zuerst der billigeren
Weiber, dann der noch billigern Kinder.

Wir werden uns hüten, hier nach Engels, Marx, Brentano, Held,
Schutze-Güvernitz die Verbrechen zu schildern, die in englischen Werkstätten
und Fabriken an Millionen wehrloser Kinder verübt worden sind! Das
werden untre Leute in Zeitungen und Zeitschriften thun. Sie werden ge¬
zwungen werden, es zu thun. Wenn der englische Reichtum, der uicht auf
der sichern Grundlage des vaterländischen Bodens und freudiger, freiwilliger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/24>, abgerufen am 06.10.2024.