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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Meder Aommuuismus noch An>pi>alisnins

oder einem größern Herrn fröhnte oder zinste, die höhere Spitze also nicht
schwerer drückte als die niedrigere, demnach das der Mechanik cntnommne
Bild hier versagt. Obwohl Religion und Politik nicht ohne Einfluß auf
dieses Verhältnis waren, können sie doch unberücksichtigt bleiben, weil die
Natur der damaligen Volkswirtschaft zur Erklärung ausreicht. Die einzigen
Einnahmequellen des großen Herrn von damals bildeten die Erträgnisse der
Grundstücke, die er selbst durch Amtleute bewirtschaften ließ, und die Natural-
lieferungen und Geldzinsen seiner Bauern. Um viel an solchen Lieferungen
und Zinsen einzunehmen, mußte er viele leistungsfähige Bauern haben. Um
eine große Ackerfläche selbst bewirtschaften zu können, mußte er eine entsprechende
Menge Arbeiter haben. Das waren aber nicht Lohnarbeiter, um die er sich
nicht weiter zu kümmern brauchte, wenn sie ihr Tagewerk geleistet hatten,
sondern es waren seine Hörigen, die er jahraus jahrein, mochte er viel oder
wenig Beschäftigung für sie haben, nähren, kleiden, beherbergen mußte. Die
Sitte gebot es ihm, nud Fälle, daß sich ein Herr der herkömmlichen Pflicht
zu entziehen versucht hätte, sind nicht bekannt. Übrigens zwang die Lage zur
Beobachtung der Sitte. Hätte ein Herr seine Leibeignen grundsätzlich schlecht
behandeln oder ihnen gar den nötigen Unterhalt versagen wollen, so würden
sie ihm entlaufen sein und in den Wäldern, wo Platz genug und keine Spur
von Polizei war, Räuberbanden gebildet haben. Oder sie würden, was sie
denn wirklich oft genug thaten, ohne durch schlechte Behandlung veranlaßt zu
sein, sich in eine der keimenden Städte geflüchtet haben, mo "die Luft
frei machte." Demnach stand der Reichtum des Herrn im geraden Verhältnis
zu der Zahl und dem Wohlstande der Bauern und Leibeignen seines Gebiets.
Ein andres Mittel zur Vermehrung seines Reichtums, als Ansässigmachung
von Baucrnfamilien, gab es gar nicht, und diesem Umstände ist neben dem
eignen Triebe der freien deutschen Bauernschaft die Germanisirung der Ost¬
hälfte des heutigen Deutschlands (zu dem ethnographisch doch auch immer
noch Cisleithanieu gehört) zu danken. Wollte ein Slaivcnfürst, ein Bischof,
ein Klosterabt reicher werden, so berief er deutsche Bauern nud wies ihnen
gegen Zins Hofe an. Reich werden hieß damals Menschen pflanzen, und
zwar nicht Proletarier, sondern Banerufamilien.

Auf ganz untre Weise vollzieht sich heute der Prozeß der Neichtumsbil-
dnng. Menschen zu pflanzen, glückliche Meuschen, hat heute nicht nötig, wer
reich werden will. Im besten Falle ist ihm das Glück der ärmern und ab¬
hängigen Klasse gleichgiltig, in vielen Fällen kann er sein Ziel nur dann er¬
reichen, wenn sie im Elend schmachtet. Allerdings, viel Menschen müssen anch
heute vorhanden sein, wenn einige wenige reich werden sollen. Allein der, der
den Reichtum sammelt, hat keine Veranlassung, daran zu denken. Er hat wohl
eine dunkle Ahnung davon, daß Meuschen im allgemeine" vorhanden sein müssen,
allein eine besondre Gruppe von Meuschen, die er als die seinigen betrachten


Meder Aommuuismus noch An>pi>alisnins

oder einem größern Herrn fröhnte oder zinste, die höhere Spitze also nicht
schwerer drückte als die niedrigere, demnach das der Mechanik cntnommne
Bild hier versagt. Obwohl Religion und Politik nicht ohne Einfluß auf
dieses Verhältnis waren, können sie doch unberücksichtigt bleiben, weil die
Natur der damaligen Volkswirtschaft zur Erklärung ausreicht. Die einzigen
Einnahmequellen des großen Herrn von damals bildeten die Erträgnisse der
Grundstücke, die er selbst durch Amtleute bewirtschaften ließ, und die Natural-
lieferungen und Geldzinsen seiner Bauern. Um viel an solchen Lieferungen
und Zinsen einzunehmen, mußte er viele leistungsfähige Bauern haben. Um
eine große Ackerfläche selbst bewirtschaften zu können, mußte er eine entsprechende
Menge Arbeiter haben. Das waren aber nicht Lohnarbeiter, um die er sich
nicht weiter zu kümmern brauchte, wenn sie ihr Tagewerk geleistet hatten,
sondern es waren seine Hörigen, die er jahraus jahrein, mochte er viel oder
wenig Beschäftigung für sie haben, nähren, kleiden, beherbergen mußte. Die
Sitte gebot es ihm, nud Fälle, daß sich ein Herr der herkömmlichen Pflicht
zu entziehen versucht hätte, sind nicht bekannt. Übrigens zwang die Lage zur
Beobachtung der Sitte. Hätte ein Herr seine Leibeignen grundsätzlich schlecht
behandeln oder ihnen gar den nötigen Unterhalt versagen wollen, so würden
sie ihm entlaufen sein und in den Wäldern, wo Platz genug und keine Spur
von Polizei war, Räuberbanden gebildet haben. Oder sie würden, was sie
denn wirklich oft genug thaten, ohne durch schlechte Behandlung veranlaßt zu
sein, sich in eine der keimenden Städte geflüchtet haben, mo „die Luft
frei machte." Demnach stand der Reichtum des Herrn im geraden Verhältnis
zu der Zahl und dem Wohlstande der Bauern und Leibeignen seines Gebiets.
Ein andres Mittel zur Vermehrung seines Reichtums, als Ansässigmachung
von Baucrnfamilien, gab es gar nicht, und diesem Umstände ist neben dem
eignen Triebe der freien deutschen Bauernschaft die Germanisirung der Ost¬
hälfte des heutigen Deutschlands (zu dem ethnographisch doch auch immer
noch Cisleithanieu gehört) zu danken. Wollte ein Slaivcnfürst, ein Bischof,
ein Klosterabt reicher werden, so berief er deutsche Bauern nud wies ihnen
gegen Zins Hofe an. Reich werden hieß damals Menschen pflanzen, und
zwar nicht Proletarier, sondern Banerufamilien.

Auf ganz untre Weise vollzieht sich heute der Prozeß der Neichtumsbil-
dnng. Menschen zu pflanzen, glückliche Meuschen, hat heute nicht nötig, wer
reich werden will. Im besten Falle ist ihm das Glück der ärmern und ab¬
hängigen Klasse gleichgiltig, in vielen Fällen kann er sein Ziel nur dann er¬
reichen, wenn sie im Elend schmachtet. Allerdings, viel Menschen müssen anch
heute vorhanden sein, wenn einige wenige reich werden sollen. Allein der, der
den Reichtum sammelt, hat keine Veranlassung, daran zu denken. Er hat wohl
eine dunkle Ahnung davon, daß Meuschen im allgemeine» vorhanden sein müssen,
allein eine besondre Gruppe von Meuschen, die er als die seinigen betrachten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/225>, abgerufen am 26.06.2024.