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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Dichter

sei. Der Chefredakteur Dr. Windmantel konnte sich trotz F alles Nachdenkens
nicht erinnern, daß je ein Beitrag Meiers die Spalten seines Tageblatts geziert
habe, und der Mcieen Friedländer versicherte: Ein Dichter Josef Meier ist
gewesen nie zugegen bei einem Künstlersouper in meinem Hause.

Bitte, gnädiges Fräulein, wer war Josef Meier? Was hat er ge¬
schrieben? In was für einer Stellung hat er gelebt? so lauteten die Fragen,
die nun an Psyche ergingen.

Josef Meier, antwortete sie, war ein armer Beamter, dem die Gabe ver¬
sagt war, sich seinen Vorgesetzten anders bemerkbar zu machen, als durch stille,
tüchtige Arbeit. Wie hätte er auf diese Art Karriere machen sollen! So saß
er denn jahraus jahrein den ganzen Tag in seiner Kanzlei mit dem ewig
gleichen Hnngergehalte. Die Abende mußte er bis tief in die Nacht hinein
mit Nebenarbeiten verbringen, um den für seine Familie nötigen Unterhalt zu
beschaffen. Die wenigen freien Stunden aber, die er trotz dieser Tageseintei¬
lung noch zu erübrigen vermochte, fanden ihn im Verkehr mit meiner Herrin,
der Muse. Ihr Kuß hatte seine Dichterstirn geweiht, und ihre beseligenden
Offenbarungen ließen ihn wenigstens während dieser gottbegnadeter Stunden
die Leiden seines Erdenwnllens vergessen. Es ist nicht viel, was Meier ge¬
schaffen hat, und von diesem Wenigen hat er nur einen geringen Teil der
Öffentlichkeit übergeben: Gedichte, die in verschieden Zeitschriften zerstreut er¬
schienen und von der Menge kaum beachtet worden sind. Die wenigen ver¬
ständnisvollen Leser aber wurden zu edler Begeisterung entflammt und zu hei¬
ligen Thränen gerührt.

Warum hat Meier seine Gedichte nie gesammelt? warf Zwirnspinner da¬
zwischen.

Glauben Sie denn, Herr Professor, entgegnete Psyche, daß der unbekannte
Mann einen Verleger gefunden Hütte? Euer Staat aber und vollends eure
Stadt hat für die Unterstützung von Dichtern kein Geld übrig, und Hütten sich,
so bekäme es wohl ein Blumenstock, aber nicht ein Meier. Aus eigner Tasche
endlich die Druckkosten seiner Gedichte zu bezahlen, wie ein reicher Dilettant,
wie hätte das unser armer Dichter vermocht, der nicht einmal soviel hinter¬
lassen hat, als sein einfaches Begräbnis kosten wird.

Während Psyches Erzählung war es ihren Zuhörern allmählich etwas
unbehaglich geworden. Ihre Erinnerung zauberte ihnen Bilder vor die Seele,
die sie jetzt lieber nicht gesehn hätten. Dr. Windmantel sah vor sich einen
dürftig gekleideten Schriftsteller, namens Josef Meier, der ihm eine kleine No¬
velle für das "Jxinger Tageblatt" angeboten hatte, und dem er, als er sich nach
einigen Wochen Bescheid erbat, erklärte, daß die Arbeit für seine Zeitung nicht
geeignet sei. In Wahrheit hatte er sie gar nicht gelesen. Deutlich hörte er
jetzt wieder den halb unterdrückten Seufzer, mit dem Meier die Redaktions¬
stube verließ. Professor Zwirnspinner mußte sich wider seinen Willen eines


Zwei Dichter

sei. Der Chefredakteur Dr. Windmantel konnte sich trotz F alles Nachdenkens
nicht erinnern, daß je ein Beitrag Meiers die Spalten seines Tageblatts geziert
habe, und der Mcieen Friedländer versicherte: Ein Dichter Josef Meier ist
gewesen nie zugegen bei einem Künstlersouper in meinem Hause.

Bitte, gnädiges Fräulein, wer war Josef Meier? Was hat er ge¬
schrieben? In was für einer Stellung hat er gelebt? so lauteten die Fragen,
die nun an Psyche ergingen.

Josef Meier, antwortete sie, war ein armer Beamter, dem die Gabe ver¬
sagt war, sich seinen Vorgesetzten anders bemerkbar zu machen, als durch stille,
tüchtige Arbeit. Wie hätte er auf diese Art Karriere machen sollen! So saß
er denn jahraus jahrein den ganzen Tag in seiner Kanzlei mit dem ewig
gleichen Hnngergehalte. Die Abende mußte er bis tief in die Nacht hinein
mit Nebenarbeiten verbringen, um den für seine Familie nötigen Unterhalt zu
beschaffen. Die wenigen freien Stunden aber, die er trotz dieser Tageseintei¬
lung noch zu erübrigen vermochte, fanden ihn im Verkehr mit meiner Herrin,
der Muse. Ihr Kuß hatte seine Dichterstirn geweiht, und ihre beseligenden
Offenbarungen ließen ihn wenigstens während dieser gottbegnadeter Stunden
die Leiden seines Erdenwnllens vergessen. Es ist nicht viel, was Meier ge¬
schaffen hat, und von diesem Wenigen hat er nur einen geringen Teil der
Öffentlichkeit übergeben: Gedichte, die in verschieden Zeitschriften zerstreut er¬
schienen und von der Menge kaum beachtet worden sind. Die wenigen ver¬
ständnisvollen Leser aber wurden zu edler Begeisterung entflammt und zu hei¬
ligen Thränen gerührt.

Warum hat Meier seine Gedichte nie gesammelt? warf Zwirnspinner da¬
zwischen.

Glauben Sie denn, Herr Professor, entgegnete Psyche, daß der unbekannte
Mann einen Verleger gefunden Hütte? Euer Staat aber und vollends eure
Stadt hat für die Unterstützung von Dichtern kein Geld übrig, und Hütten sich,
so bekäme es wohl ein Blumenstock, aber nicht ein Meier. Aus eigner Tasche
endlich die Druckkosten seiner Gedichte zu bezahlen, wie ein reicher Dilettant,
wie hätte das unser armer Dichter vermocht, der nicht einmal soviel hinter¬
lassen hat, als sein einfaches Begräbnis kosten wird.

Während Psyches Erzählung war es ihren Zuhörern allmählich etwas
unbehaglich geworden. Ihre Erinnerung zauberte ihnen Bilder vor die Seele,
die sie jetzt lieber nicht gesehn hätten. Dr. Windmantel sah vor sich einen
dürftig gekleideten Schriftsteller, namens Josef Meier, der ihm eine kleine No¬
velle für das „Jxinger Tageblatt" angeboten hatte, und dem er, als er sich nach
einigen Wochen Bescheid erbat, erklärte, daß die Arbeit für seine Zeitung nicht
geeignet sei. In Wahrheit hatte er sie gar nicht gelesen. Deutlich hörte er
jetzt wieder den halb unterdrückten Seufzer, mit dem Meier die Redaktions¬
stube verließ. Professor Zwirnspinner mußte sich wider seinen Willen eines


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[0196] Zwei Dichter sei. Der Chefredakteur Dr. Windmantel konnte sich trotz F alles Nachdenkens nicht erinnern, daß je ein Beitrag Meiers die Spalten seines Tageblatts geziert habe, und der Mcieen Friedländer versicherte: Ein Dichter Josef Meier ist gewesen nie zugegen bei einem Künstlersouper in meinem Hause. Bitte, gnädiges Fräulein, wer war Josef Meier? Was hat er ge¬ schrieben? In was für einer Stellung hat er gelebt? so lauteten die Fragen, die nun an Psyche ergingen. Josef Meier, antwortete sie, war ein armer Beamter, dem die Gabe ver¬ sagt war, sich seinen Vorgesetzten anders bemerkbar zu machen, als durch stille, tüchtige Arbeit. Wie hätte er auf diese Art Karriere machen sollen! So saß er denn jahraus jahrein den ganzen Tag in seiner Kanzlei mit dem ewig gleichen Hnngergehalte. Die Abende mußte er bis tief in die Nacht hinein mit Nebenarbeiten verbringen, um den für seine Familie nötigen Unterhalt zu beschaffen. Die wenigen freien Stunden aber, die er trotz dieser Tageseintei¬ lung noch zu erübrigen vermochte, fanden ihn im Verkehr mit meiner Herrin, der Muse. Ihr Kuß hatte seine Dichterstirn geweiht, und ihre beseligenden Offenbarungen ließen ihn wenigstens während dieser gottbegnadeter Stunden die Leiden seines Erdenwnllens vergessen. Es ist nicht viel, was Meier ge¬ schaffen hat, und von diesem Wenigen hat er nur einen geringen Teil der Öffentlichkeit übergeben: Gedichte, die in verschieden Zeitschriften zerstreut er¬ schienen und von der Menge kaum beachtet worden sind. Die wenigen ver¬ ständnisvollen Leser aber wurden zu edler Begeisterung entflammt und zu hei¬ ligen Thränen gerührt. Warum hat Meier seine Gedichte nie gesammelt? warf Zwirnspinner da¬ zwischen. Glauben Sie denn, Herr Professor, entgegnete Psyche, daß der unbekannte Mann einen Verleger gefunden Hütte? Euer Staat aber und vollends eure Stadt hat für die Unterstützung von Dichtern kein Geld übrig, und Hütten sich, so bekäme es wohl ein Blumenstock, aber nicht ein Meier. Aus eigner Tasche endlich die Druckkosten seiner Gedichte zu bezahlen, wie ein reicher Dilettant, wie hätte das unser armer Dichter vermocht, der nicht einmal soviel hinter¬ lassen hat, als sein einfaches Begräbnis kosten wird. Während Psyches Erzählung war es ihren Zuhörern allmählich etwas unbehaglich geworden. Ihre Erinnerung zauberte ihnen Bilder vor die Seele, die sie jetzt lieber nicht gesehn hätten. Dr. Windmantel sah vor sich einen dürftig gekleideten Schriftsteller, namens Josef Meier, der ihm eine kleine No¬ velle für das „Jxinger Tageblatt" angeboten hatte, und dem er, als er sich nach einigen Wochen Bescheid erbat, erklärte, daß die Arbeit für seine Zeitung nicht geeignet sei. In Wahrheit hatte er sie gar nicht gelesen. Deutlich hörte er jetzt wieder den halb unterdrückten Seufzer, mit dem Meier die Redaktions¬ stube verließ. Professor Zwirnspinner mußte sich wider seinen Willen eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/196>, abgerufen am 26.06.2024.