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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zwei Dichter

man das Fest noch festlicher gestalten könnte. Soeben fand wieder im Rat¬
haussaale eine Sitzung des großen Festausschusses statt. Mehrere neue Vor¬
schläge waren bereits gemacht und teils angenommen, teils verworfen worden.

Da ergriff der Chefredakteur des "Jxinger Tageblattes," Dr. Windmantel,
das Wort und sprach: Meine Herren! Was wir noch brauchen, das ist etwas
neues, etwas außerordentliches, etwas "och nie dagewesenes. Ich glaube es
gefunden zu haben. Meine Herren! Ich stelle den Antrag, die Muse der Dicht¬
kunst durch Abgeordnete zur persönlichen Teilnahme an unserm Feste einzu¬
laden. Ich zweifle nichr, daß die hohe Frau ihrem erklärten Liebling Blumen¬
stock zuliebe unsrer Bitte Willsahren und dem Feste durch ihre Anwesenheit
die höchste Weihe geben wird.

Nach diesen Worten herrschte einen Augenblick tiefe Stille. Alles war
verblüfft. Dann aber brach lauter Beifallsjubel los. Der "Antrag Windmantel"
wurde einstimmig angenommen. Mit der Ausführung wurden anßer dein An¬
tragsteller selbst noch betraut: der berühmte Kenner Goethes ^richtiger der
Litteratur über Goethe) Professor Dr. Zwiruspinuer und der Bankier David
Friedländer, der sich als Kunstmäceu eines großen Rufes in Jxinge" erfreute.

Schon mit dem nächsten Schnellzuge führen die drei Genannten nach
Süden, um der Muse in ihrem Lustschlosse auf dem Parnaß die Einladung
des Jxinger Festausschusses zu überbringen.

Die Reise ging mit Schnellzügen, Schnelldampfer und Extrapost ohne
Unfall von statten.

Mit tadellosen schwarzen Anzüge" und wvhleinstudierten Reden ausgerüstet,
betraten die drei Herren das herrlich gelegene Schloß der Göttin der Dicht¬
kunst. Der Portier, ein ehemaliger naturalistischer Dichter, der diese Stelle
gegen das Versprechen, nie wieder eine Zeile zu schreibe", erhalte" hatte,
nahm ihre Karten in Empfang und wies sie ins Empfangszimmer.

Nachdem sie dort eine kleine Weile gewartet hatten, trat eine anmutige
Mädchengestalt ins Zimmer. Obwohl ihre edel geformten Züge sich zu knebeln
bemühten, sah man es ihren dunkeln, seelenvollen Angen doch ein, daß sie eben
geweint hatten.

Unter tiefen Verbeugungen stellten sich die Herren der Eintretenden vor
und fragten, ob sie die Ehre hätten, mit der Frau Muse selbst zu sprechen.

Nein, entgegnete ihr schönes Gegenüber, ich bin nur ihre Gesell¬
schafterin. Meine Name ist Psyche. Meine Herrin ist leider eines ihr sehr
nahegehenden Todesfalles wegen nicht in der Stimmung, heute jemand zu em¬
pfangen. Vielleicht haben die Herren die Freundlichkeit, ihre Wünsche mir
mitzuteilen.

Wir gebe" uns hiermit die Ehre, erwiderte Dr. Windmantel, im
Namen des Blnmenstvckjubiläumsfestausschlisses zu Jxingen Ihre erhabne
Herrin zur persönlichen Teilnahme an dein sünfnndzwanzigjührigen Dichter-


Zwei Dichter

man das Fest noch festlicher gestalten könnte. Soeben fand wieder im Rat¬
haussaale eine Sitzung des großen Festausschusses statt. Mehrere neue Vor¬
schläge waren bereits gemacht und teils angenommen, teils verworfen worden.

Da ergriff der Chefredakteur des „Jxinger Tageblattes," Dr. Windmantel,
das Wort und sprach: Meine Herren! Was wir noch brauchen, das ist etwas
neues, etwas außerordentliches, etwas »och nie dagewesenes. Ich glaube es
gefunden zu haben. Meine Herren! Ich stelle den Antrag, die Muse der Dicht¬
kunst durch Abgeordnete zur persönlichen Teilnahme an unserm Feste einzu¬
laden. Ich zweifle nichr, daß die hohe Frau ihrem erklärten Liebling Blumen¬
stock zuliebe unsrer Bitte Willsahren und dem Feste durch ihre Anwesenheit
die höchste Weihe geben wird.

Nach diesen Worten herrschte einen Augenblick tiefe Stille. Alles war
verblüfft. Dann aber brach lauter Beifallsjubel los. Der „Antrag Windmantel"
wurde einstimmig angenommen. Mit der Ausführung wurden anßer dein An¬
tragsteller selbst noch betraut: der berühmte Kenner Goethes ^richtiger der
Litteratur über Goethe) Professor Dr. Zwiruspinuer und der Bankier David
Friedländer, der sich als Kunstmäceu eines großen Rufes in Jxinge» erfreute.

Schon mit dem nächsten Schnellzuge führen die drei Genannten nach
Süden, um der Muse in ihrem Lustschlosse auf dem Parnaß die Einladung
des Jxinger Festausschusses zu überbringen.

Die Reise ging mit Schnellzügen, Schnelldampfer und Extrapost ohne
Unfall von statten.

Mit tadellosen schwarzen Anzüge» und wvhleinstudierten Reden ausgerüstet,
betraten die drei Herren das herrlich gelegene Schloß der Göttin der Dicht¬
kunst. Der Portier, ein ehemaliger naturalistischer Dichter, der diese Stelle
gegen das Versprechen, nie wieder eine Zeile zu schreibe», erhalte» hatte,
nahm ihre Karten in Empfang und wies sie ins Empfangszimmer.

Nachdem sie dort eine kleine Weile gewartet hatten, trat eine anmutige
Mädchengestalt ins Zimmer. Obwohl ihre edel geformten Züge sich zu knebeln
bemühten, sah man es ihren dunkeln, seelenvollen Angen doch ein, daß sie eben
geweint hatten.

Unter tiefen Verbeugungen stellten sich die Herren der Eintretenden vor
und fragten, ob sie die Ehre hätten, mit der Frau Muse selbst zu sprechen.

Nein, entgegnete ihr schönes Gegenüber, ich bin nur ihre Gesell¬
schafterin. Meine Name ist Psyche. Meine Herrin ist leider eines ihr sehr
nahegehenden Todesfalles wegen nicht in der Stimmung, heute jemand zu em¬
pfangen. Vielleicht haben die Herren die Freundlichkeit, ihre Wünsche mir
mitzuteilen.

Wir gebe» uns hiermit die Ehre, erwiderte Dr. Windmantel, im
Namen des Blnmenstvckjubiläumsfestausschlisses zu Jxingen Ihre erhabne
Herrin zur persönlichen Teilnahme an dein sünfnndzwanzigjührigen Dichter-


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[0194] Zwei Dichter man das Fest noch festlicher gestalten könnte. Soeben fand wieder im Rat¬ haussaale eine Sitzung des großen Festausschusses statt. Mehrere neue Vor¬ schläge waren bereits gemacht und teils angenommen, teils verworfen worden. Da ergriff der Chefredakteur des „Jxinger Tageblattes," Dr. Windmantel, das Wort und sprach: Meine Herren! Was wir noch brauchen, das ist etwas neues, etwas außerordentliches, etwas »och nie dagewesenes. Ich glaube es gefunden zu haben. Meine Herren! Ich stelle den Antrag, die Muse der Dicht¬ kunst durch Abgeordnete zur persönlichen Teilnahme an unserm Feste einzu¬ laden. Ich zweifle nichr, daß die hohe Frau ihrem erklärten Liebling Blumen¬ stock zuliebe unsrer Bitte Willsahren und dem Feste durch ihre Anwesenheit die höchste Weihe geben wird. Nach diesen Worten herrschte einen Augenblick tiefe Stille. Alles war verblüfft. Dann aber brach lauter Beifallsjubel los. Der „Antrag Windmantel" wurde einstimmig angenommen. Mit der Ausführung wurden anßer dein An¬ tragsteller selbst noch betraut: der berühmte Kenner Goethes ^richtiger der Litteratur über Goethe) Professor Dr. Zwiruspinuer und der Bankier David Friedländer, der sich als Kunstmäceu eines großen Rufes in Jxinge» erfreute. Schon mit dem nächsten Schnellzuge führen die drei Genannten nach Süden, um der Muse in ihrem Lustschlosse auf dem Parnaß die Einladung des Jxinger Festausschusses zu überbringen. Die Reise ging mit Schnellzügen, Schnelldampfer und Extrapost ohne Unfall von statten. Mit tadellosen schwarzen Anzüge» und wvhleinstudierten Reden ausgerüstet, betraten die drei Herren das herrlich gelegene Schloß der Göttin der Dicht¬ kunst. Der Portier, ein ehemaliger naturalistischer Dichter, der diese Stelle gegen das Versprechen, nie wieder eine Zeile zu schreibe», erhalte» hatte, nahm ihre Karten in Empfang und wies sie ins Empfangszimmer. Nachdem sie dort eine kleine Weile gewartet hatten, trat eine anmutige Mädchengestalt ins Zimmer. Obwohl ihre edel geformten Züge sich zu knebeln bemühten, sah man es ihren dunkeln, seelenvollen Angen doch ein, daß sie eben geweint hatten. Unter tiefen Verbeugungen stellten sich die Herren der Eintretenden vor und fragten, ob sie die Ehre hätten, mit der Frau Muse selbst zu sprechen. Nein, entgegnete ihr schönes Gegenüber, ich bin nur ihre Gesell¬ schafterin. Meine Name ist Psyche. Meine Herrin ist leider eines ihr sehr nahegehenden Todesfalles wegen nicht in der Stimmung, heute jemand zu em¬ pfangen. Vielleicht haben die Herren die Freundlichkeit, ihre Wünsche mir mitzuteilen. Wir gebe» uns hiermit die Ehre, erwiderte Dr. Windmantel, im Namen des Blnmenstvckjubiläumsfestausschlisses zu Jxingen Ihre erhabne Herrin zur persönlichen Teilnahme an dein sünfnndzwanzigjührigen Dichter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/194>, abgerufen am 26.06.2024.