Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Deutschland und Rußland Mitteln. Der Krieg kann trotz seiner Blutströme auch heute noch ein Kultur¬ Ohne Zweifel müssen wir uns unsre politischen Eroberungen sichern durch Nachschrift der Redaktion. Wir haben diesen uns von guter Hand Grenzboten I 1893 2
Deutschland und Rußland Mitteln. Der Krieg kann trotz seiner Blutströme auch heute noch ein Kultur¬ Ohne Zweifel müssen wir uns unsre politischen Eroberungen sichern durch Nachschrift der Redaktion. Wir haben diesen uns von guter Hand Grenzboten I 1893 2
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213811"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland und Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_23" prev="#ID_22"> Mitteln. Der Krieg kann trotz seiner Blutströme auch heute noch ein Kultur¬<lb/> mittel sein; das langsame Hinwiirgen fremden Volkstums nicht durch über¬<lb/> legne Kultur, sondern durch überlegne Staatsgewalt ist ruchlose Gewaltthat.</p><lb/> <p xml:id="ID_24"> Ohne Zweifel müssen wir uns unsre politischen Eroberungen sichern durch<lb/> Verdeutschung; das ist eine Lebensfrage für uns, die auch längst als solche<lb/> anerkannt worden ist durch die Schaffung der Ansiedlungskommission. Wenn<lb/> die Erfolge dieser Maßregel den Erwartungen bisher nicht entsprochen haben,<lb/> wenn die Polen diese Kommission gelegentlich die polnische Rettuugskommission<lb/> genannt haben, weil sie polnischen Gutsbesitzern, die dem Bankerott nahe<lb/> waren, durch Zahlung guter Preise für ihre Güter aus der Klemme half,<lb/> wenn die Überwindung der uns gefährlichen obern beiden Klaffen des Polen-<lb/> tums, des Adels und des Klerus, auf diesem Wege zu langsam fortschreitet,<lb/> nun so wende man größere, stärkere Mittel an. Man erhöhe die Prämie auf<lb/> den Übergang des Bodens in deutsche Hände, man ersetze das Polentum in<lb/> der Kirche möglichst durch deutschen Klerus, man ernenne keine Polen zu<lb/> Bischöfen, zum Erzbischof, man unterstütze den Deutschen im sozialen und wirt¬<lb/> schaftlichen Wettbewerb mit dem Polen; aber man vergewaltige ihn nicht in<lb/> Sprache, Religion, in privatem Recht, wie es drüben in Rußland in weitem<lb/> Maße geschieht. Wir dürfen unsrer Kulturkraft und dem eignen Interesse der<lb/> Polen im übrigen zutrauen, daß heute unsre polnischen Landesteile in Zu¬<lb/> kunft keine Gefahr für uns darbieten werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_25" next="#ID_26"> Nachschrift der Redaktion. Wir haben diesen uns von guter Hand<lb/> aus Rußland übersandten Artikel unverkürzt zum Abdruck gebracht, müssen<lb/> aber doch betonen, daß wir zwar den ersten Teil vortrefflich und überzeugend<lb/> finden, der zweiten Hälfte gegenüber aber einen wesentlich abweichenden Stand¬<lb/> punkt einnehmen. Gewiß hat auch in unumschränkten Monarchien die öffentliche<lb/> Meinung, ob und so weit es eine solche giebt, ihren nicht unbedeutenden Einfluß,<lb/> und sie kann den Herrscher unter Umständen in eine Richtung drängen, die er<lb/> ursprünglich uicht gewollt hat. Auch in Nußland ist das hervorgetreten. Ale¬<lb/> xander der Erste ist 1812 in dem Entschlüsse, den Krieg auch nach der Ein¬<lb/> nahme und Zerstörung Moskaus fortzusetzen, wesentlich dnrch die gewaltige<lb/> Erhebung des nationalen und religiösen Geistes in den Herzlanden seines Reichs<lb/> befestigt worden, und der friedliebende Alexander der Zweite hat den Türkenkrieg<lb/> 1877 gewiß uicht ans persönlicher Neigung begonnen. Aber andrerseits darf<lb/> doch auch nicht verkannt werden, daß in Nußland der Wille des Zaren stets<lb/> die ausschlaggebende, ja belebende Kraft des Reichs gewesen ist. Derselbe Ale¬<lb/> xander der Erste hat 1806 den Krieg für Preußen gegen die allerentschiedenste<lb/> Neigung schier Generale eröffnet, und der Abschluß des Bündnisses von Kalisch<lb/> im Februar 1813, das, vom russischen Standpunkte aus ohne jede dringende<lb/> Not, die Vertreibung der Franzosen aus Deutschland und die Wiederaufrich-<lb/> tung des preußischen Staats als Ziele hinstellte, war das persönliche Werk</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1893 2</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
Deutschland und Rußland
Mitteln. Der Krieg kann trotz seiner Blutströme auch heute noch ein Kultur¬
mittel sein; das langsame Hinwiirgen fremden Volkstums nicht durch über¬
legne Kultur, sondern durch überlegne Staatsgewalt ist ruchlose Gewaltthat.
Ohne Zweifel müssen wir uns unsre politischen Eroberungen sichern durch
Verdeutschung; das ist eine Lebensfrage für uns, die auch längst als solche
anerkannt worden ist durch die Schaffung der Ansiedlungskommission. Wenn
die Erfolge dieser Maßregel den Erwartungen bisher nicht entsprochen haben,
wenn die Polen diese Kommission gelegentlich die polnische Rettuugskommission
genannt haben, weil sie polnischen Gutsbesitzern, die dem Bankerott nahe
waren, durch Zahlung guter Preise für ihre Güter aus der Klemme half,
wenn die Überwindung der uns gefährlichen obern beiden Klaffen des Polen-
tums, des Adels und des Klerus, auf diesem Wege zu langsam fortschreitet,
nun so wende man größere, stärkere Mittel an. Man erhöhe die Prämie auf
den Übergang des Bodens in deutsche Hände, man ersetze das Polentum in
der Kirche möglichst durch deutschen Klerus, man ernenne keine Polen zu
Bischöfen, zum Erzbischof, man unterstütze den Deutschen im sozialen und wirt¬
schaftlichen Wettbewerb mit dem Polen; aber man vergewaltige ihn nicht in
Sprache, Religion, in privatem Recht, wie es drüben in Rußland in weitem
Maße geschieht. Wir dürfen unsrer Kulturkraft und dem eignen Interesse der
Polen im übrigen zutrauen, daß heute unsre polnischen Landesteile in Zu¬
kunft keine Gefahr für uns darbieten werden.
Nachschrift der Redaktion. Wir haben diesen uns von guter Hand
aus Rußland übersandten Artikel unverkürzt zum Abdruck gebracht, müssen
aber doch betonen, daß wir zwar den ersten Teil vortrefflich und überzeugend
finden, der zweiten Hälfte gegenüber aber einen wesentlich abweichenden Stand¬
punkt einnehmen. Gewiß hat auch in unumschränkten Monarchien die öffentliche
Meinung, ob und so weit es eine solche giebt, ihren nicht unbedeutenden Einfluß,
und sie kann den Herrscher unter Umständen in eine Richtung drängen, die er
ursprünglich uicht gewollt hat. Auch in Nußland ist das hervorgetreten. Ale¬
xander der Erste ist 1812 in dem Entschlüsse, den Krieg auch nach der Ein¬
nahme und Zerstörung Moskaus fortzusetzen, wesentlich dnrch die gewaltige
Erhebung des nationalen und religiösen Geistes in den Herzlanden seines Reichs
befestigt worden, und der friedliebende Alexander der Zweite hat den Türkenkrieg
1877 gewiß uicht ans persönlicher Neigung begonnen. Aber andrerseits darf
doch auch nicht verkannt werden, daß in Nußland der Wille des Zaren stets
die ausschlaggebende, ja belebende Kraft des Reichs gewesen ist. Derselbe Ale¬
xander der Erste hat 1806 den Krieg für Preußen gegen die allerentschiedenste
Neigung schier Generale eröffnet, und der Abschluß des Bündnisses von Kalisch
im Februar 1813, das, vom russischen Standpunkte aus ohne jede dringende
Not, die Vertreibung der Franzosen aus Deutschland und die Wiederaufrich-
tung des preußischen Staats als Ziele hinstellte, war das persönliche Werk
Grenzboten I 1893 2
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