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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zum 2i^. Januar

ausging und folgte, eine ernste Lehre, Auch bei uns hat es Zeiten gegeben,
wo der französische Gedanke der Volkssouveränität die politischen Kreise der
Nation mehr oder weniger beherrschte, und im Katechismus mancher der
heutigen Parteien wird er noch gehütet wie ein kostbares Kleinod, von dem
man freilich jetzt möglichst wenig spricht. Im ganzen zwar ist die Gefahr,
die darin lag, jetzt wohl überwunden, so weit sie nicht von der Sozialdemo¬
kratie her droht. Wir wissen, was wir an unsrer erblichen historisch ge-
wordnen Monarchie haben, und wir wollen daran nicht rütteln lassen, denn
sie vertritt die Macht und das gute Recht der Vergangenheit, der geschicht¬
lichen Überlieferung gegenüber den wechselnden Strömungen der Gegenwart,
und sie allein kann die Gegensätze beherrschen, die unser Leben zerklüften.
Aber wir wollen eben so wenig an den andern Grundgedanken unsers Stants-
lebens rühren lassen, daß eine starke Volksvertretung jene ebenfalls berechtigten
Bedürfnisse zum Ausdruck bringt und die Monarchie eben fo wohl stützt als
beschränkt. Denn der Absolutismus, an sich ein ganz urgermanischer Gedanke,
den erst das römische Recht unserm Staatsleben eingeimpft hat, ist für uns heute
ebenso unannehmbar wee die Volkssouverünitcit, weil er ebenso wenig imstande
wäre, das vielgestaltige moderne Leben zu beherrschen, wie eine ans jener Grund¬
lage beruhende Regierung. Eine so persönliche Verwaltung wie die Friedrich Wil¬
helms des Ersten und Friedrichs des Großen ist heutzutage ganz undenkbar;
selbst von dein Scharfblick und der unermüdlichen Arbeitskraft eines so genialen
Monarchen, wie es Friedrich der Zweite war, konnte sie zuletzt nur mit der
äußersten Anstrengung und nicht ohne die größten Härten festgehalten werden,
und daß sie zu lange festgehalten wurde, das hat den preußischen Staat
schließlich nach Jena geführt. Nicht durch eine injurm töluporuru ist diese
Machtvollkommenheit der preußischen Könige nach und nach eingeschränkt
worden, sondern durch die natürliche Entwicklung der Menschen und Dinge,
und Friedrich Wilhelms des Vierten Regierung ist wesentlich deshalb so un¬
fruchtbar an Erfolgen und so reich an schmerzlichen Enttäuschungen gewesen,
weil der König das, was die sortgcschrittne Reife eines treuen und monarchisch
gesinnten Volkes forderte, entweder gar nicht oder zu spät oder in Formen
gewährte, für die seine Zeit gar kein Verständnis mehr hatte, da sie überlebt
waren, und weil er alles, was seiner ganz doktrinären, dem wirklichen Leben
abgewandten Staatsauffassung widersprach, kurzweg als ,.Revolution" ver¬
dammte. Wie glanzvoll ist dagegen die Regierung seines Bruders Wilhelms
des Ersten verlaufen, der sich bei allem monarchischen Selbstgefühl doch voll¬
kommen ehrlich auf den Boden der gegebnen Verfassung stellte und selbstän¬
dige Männer in seiner Umgebung ertrug! Denn anch die Minister dürfen
heute nicht mehr willenlose Werkzeuge des Monarchen sein, wie im vorigen
Jahrhundert. Der Begriff des blinden militärischen Gehorsams ist auf dieses
Verhältnis nicht anwendbar, sondern es verlangt Männer von Selbständigkeit


Zum 2i^. Januar

ausging und folgte, eine ernste Lehre, Auch bei uns hat es Zeiten gegeben,
wo der französische Gedanke der Volkssouveränität die politischen Kreise der
Nation mehr oder weniger beherrschte, und im Katechismus mancher der
heutigen Parteien wird er noch gehütet wie ein kostbares Kleinod, von dem
man freilich jetzt möglichst wenig spricht. Im ganzen zwar ist die Gefahr,
die darin lag, jetzt wohl überwunden, so weit sie nicht von der Sozialdemo¬
kratie her droht. Wir wissen, was wir an unsrer erblichen historisch ge-
wordnen Monarchie haben, und wir wollen daran nicht rütteln lassen, denn
sie vertritt die Macht und das gute Recht der Vergangenheit, der geschicht¬
lichen Überlieferung gegenüber den wechselnden Strömungen der Gegenwart,
und sie allein kann die Gegensätze beherrschen, die unser Leben zerklüften.
Aber wir wollen eben so wenig an den andern Grundgedanken unsers Stants-
lebens rühren lassen, daß eine starke Volksvertretung jene ebenfalls berechtigten
Bedürfnisse zum Ausdruck bringt und die Monarchie eben fo wohl stützt als
beschränkt. Denn der Absolutismus, an sich ein ganz urgermanischer Gedanke,
den erst das römische Recht unserm Staatsleben eingeimpft hat, ist für uns heute
ebenso unannehmbar wee die Volkssouverünitcit, weil er ebenso wenig imstande
wäre, das vielgestaltige moderne Leben zu beherrschen, wie eine ans jener Grund¬
lage beruhende Regierung. Eine so persönliche Verwaltung wie die Friedrich Wil¬
helms des Ersten und Friedrichs des Großen ist heutzutage ganz undenkbar;
selbst von dein Scharfblick und der unermüdlichen Arbeitskraft eines so genialen
Monarchen, wie es Friedrich der Zweite war, konnte sie zuletzt nur mit der
äußersten Anstrengung und nicht ohne die größten Härten festgehalten werden,
und daß sie zu lange festgehalten wurde, das hat den preußischen Staat
schließlich nach Jena geführt. Nicht durch eine injurm töluporuru ist diese
Machtvollkommenheit der preußischen Könige nach und nach eingeschränkt
worden, sondern durch die natürliche Entwicklung der Menschen und Dinge,
und Friedrich Wilhelms des Vierten Regierung ist wesentlich deshalb so un¬
fruchtbar an Erfolgen und so reich an schmerzlichen Enttäuschungen gewesen,
weil der König das, was die sortgcschrittne Reife eines treuen und monarchisch
gesinnten Volkes forderte, entweder gar nicht oder zu spät oder in Formen
gewährte, für die seine Zeit gar kein Verständnis mehr hatte, da sie überlebt
waren, und weil er alles, was seiner ganz doktrinären, dem wirklichen Leben
abgewandten Staatsauffassung widersprach, kurzweg als ,.Revolution" ver¬
dammte. Wie glanzvoll ist dagegen die Regierung seines Bruders Wilhelms
des Ersten verlaufen, der sich bei allem monarchischen Selbstgefühl doch voll¬
kommen ehrlich auf den Boden der gegebnen Verfassung stellte und selbstän¬
dige Männer in seiner Umgebung ertrug! Denn anch die Minister dürfen
heute nicht mehr willenlose Werkzeuge des Monarchen sein, wie im vorigen
Jahrhundert. Der Begriff des blinden militärischen Gehorsams ist auf dieses
Verhältnis nicht anwendbar, sondern es verlangt Männer von Selbständigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/185>, abgerufen am 26.06.2024.