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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sozialdonwkratie und die Militärvorlage

Gesetzt, daß sich nun die deutsche Regierung, die sich trotz der glorreichen
Vorbilder eines Gambetta und andrer, die man ihr vor Augen hält, hart¬
näckig gegen die Einführung des sozialdemokratischen Ideals ablehnend verhält,
den Sozialdemokraten mit einemmale gefällig erwiese und die Miliz organi-
sirte, wie würde denn diese deutsche "Miliz" aussehn? So lauge nicht die
lieben Nachbarstaaten den deutschen Sozialdemokrnten ebenfalls den Gefallen
thäten, müßten wir soviel Soldaten wie heute auf den Beinen haben, und
wenn sie auch "Miliz" hießen. Diese Miliz wäre dasselbe wie das stehende
Heer, und nur die Kürze der Dienstzeit, wenn man sie auf Wochen oder Mo¬
nate beschränkte, würde einen Unterschied machen. Aber was für einen! Um
die Reihen immer vollzählig zu haben, würde ein beständiger Wechsel, ein
ewiger Ab- und Zugang der Soldaten stattfinden, aus den Jahrgängen würden
Wochen- und Mouatsgcinge werden, die sich entsprechend schneller ablösten, eine
unaufhörliche Wanderbewegung von Zivil zu Militär und umgekehrt würde
die Folge sein. Eine sehr ärgerliche Folge; die einzelnen werden durch öftere
Einziehung mehr geschädigt, als durch eine längere Dienstzeit.

Etwas andres ist es, wenn ein Volk, wie zu Scharnhorsts Zeiten, einen
Verzweiflungskampf gegen einen fremden Unterdrücker führen muß. Da ist
jeder willkommen, der eine Muskete tragen und den Säbel schwingen kann,
ohne daß er den Nachweis einer mehr oder weniger langen Vorbereitungszeit
zu liefern hat.

Die Frage der Abschaffung des stehenden Heeres ist bis auf weiteres eine
rein theoretische, da ein einzelner Großstaat, der die Abschaffung unternähme,
damit den Willen zur Selbstvernichtung bekunden würde, er würde seinen
Nachbarn verraten, daß er vor Erschöpfung seine Rüstung nicht länger tragen
könnte, und sie einladen, über ihn herzufallen. Wenn die Sozinldemokratie
demnach die "Miliz" empfiehlt, so hat das nur den Erfolg, das Urteil
zu verwirren. Nicht einmal die Kostenersparnis, die der Vorwärts für die
Miliz, für eine Achtmillioneumiliz herausrechnet, ist von Bedeutung, sie
beträgt nach ihm jährlich 160 Millionen Mark, aber vorausgesetzt, daß
der "Caprivische Plan" schon verwirklicht ist, sonst nur 87 Millionen
Mark, und dabei multiplizirt der Vorwärts einfach die Zahl, um die
die Bevölkerung des deutscheu Reichs größer ist als die der Schweiz, mit
der Summe, die der Schweiz ihr Milizsystem kostet; Deutschland ist stebzehu-
mal so groß als die Schweiz, also, rechnet der Vorwärts, kostet die deutsche
Miliz auch siebzehnmnl soviel als die Schweizer. Noch nichtiger als diese Be¬
rechnung ist der Schluß, den der Vorwärts zieht, daß die Verwirklichung des
"Caprivischeu Plans," das heißt eine von einer Bevölkerung von 50 Millionen
aufzubringende Summe von "0 Millionen Mark der "reine Selbstmord" wäre.
So weit sind wir denn doch noch nicht.

Der Hauptfehler des stehenden Heeres mit seiner längern Dienstzeit ist


Die Sozialdonwkratie und die Militärvorlage

Gesetzt, daß sich nun die deutsche Regierung, die sich trotz der glorreichen
Vorbilder eines Gambetta und andrer, die man ihr vor Augen hält, hart¬
näckig gegen die Einführung des sozialdemokratischen Ideals ablehnend verhält,
den Sozialdemokraten mit einemmale gefällig erwiese und die Miliz organi-
sirte, wie würde denn diese deutsche „Miliz" aussehn? So lauge nicht die
lieben Nachbarstaaten den deutschen Sozialdemokrnten ebenfalls den Gefallen
thäten, müßten wir soviel Soldaten wie heute auf den Beinen haben, und
wenn sie auch „Miliz" hießen. Diese Miliz wäre dasselbe wie das stehende
Heer, und nur die Kürze der Dienstzeit, wenn man sie auf Wochen oder Mo¬
nate beschränkte, würde einen Unterschied machen. Aber was für einen! Um
die Reihen immer vollzählig zu haben, würde ein beständiger Wechsel, ein
ewiger Ab- und Zugang der Soldaten stattfinden, aus den Jahrgängen würden
Wochen- und Mouatsgcinge werden, die sich entsprechend schneller ablösten, eine
unaufhörliche Wanderbewegung von Zivil zu Militär und umgekehrt würde
die Folge sein. Eine sehr ärgerliche Folge; die einzelnen werden durch öftere
Einziehung mehr geschädigt, als durch eine längere Dienstzeit.

Etwas andres ist es, wenn ein Volk, wie zu Scharnhorsts Zeiten, einen
Verzweiflungskampf gegen einen fremden Unterdrücker führen muß. Da ist
jeder willkommen, der eine Muskete tragen und den Säbel schwingen kann,
ohne daß er den Nachweis einer mehr oder weniger langen Vorbereitungszeit
zu liefern hat.

Die Frage der Abschaffung des stehenden Heeres ist bis auf weiteres eine
rein theoretische, da ein einzelner Großstaat, der die Abschaffung unternähme,
damit den Willen zur Selbstvernichtung bekunden würde, er würde seinen
Nachbarn verraten, daß er vor Erschöpfung seine Rüstung nicht länger tragen
könnte, und sie einladen, über ihn herzufallen. Wenn die Sozinldemokratie
demnach die „Miliz" empfiehlt, so hat das nur den Erfolg, das Urteil
zu verwirren. Nicht einmal die Kostenersparnis, die der Vorwärts für die
Miliz, für eine Achtmillioneumiliz herausrechnet, ist von Bedeutung, sie
beträgt nach ihm jährlich 160 Millionen Mark, aber vorausgesetzt, daß
der „Caprivische Plan" schon verwirklicht ist, sonst nur 87 Millionen
Mark, und dabei multiplizirt der Vorwärts einfach die Zahl, um die
die Bevölkerung des deutscheu Reichs größer ist als die der Schweiz, mit
der Summe, die der Schweiz ihr Milizsystem kostet; Deutschland ist stebzehu-
mal so groß als die Schweiz, also, rechnet der Vorwärts, kostet die deutsche
Miliz auch siebzehnmnl soviel als die Schweizer. Noch nichtiger als diese Be¬
rechnung ist der Schluß, den der Vorwärts zieht, daß die Verwirklichung des
„Caprivischeu Plans," das heißt eine von einer Bevölkerung von 50 Millionen
aufzubringende Summe von »0 Millionen Mark der „reine Selbstmord" wäre.
So weit sind wir denn doch noch nicht.

Der Hauptfehler des stehenden Heeres mit seiner längern Dienstzeit ist


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[0165] Die Sozialdonwkratie und die Militärvorlage Gesetzt, daß sich nun die deutsche Regierung, die sich trotz der glorreichen Vorbilder eines Gambetta und andrer, die man ihr vor Augen hält, hart¬ näckig gegen die Einführung des sozialdemokratischen Ideals ablehnend verhält, den Sozialdemokraten mit einemmale gefällig erwiese und die Miliz organi- sirte, wie würde denn diese deutsche „Miliz" aussehn? So lauge nicht die lieben Nachbarstaaten den deutschen Sozialdemokrnten ebenfalls den Gefallen thäten, müßten wir soviel Soldaten wie heute auf den Beinen haben, und wenn sie auch „Miliz" hießen. Diese Miliz wäre dasselbe wie das stehende Heer, und nur die Kürze der Dienstzeit, wenn man sie auf Wochen oder Mo¬ nate beschränkte, würde einen Unterschied machen. Aber was für einen! Um die Reihen immer vollzählig zu haben, würde ein beständiger Wechsel, ein ewiger Ab- und Zugang der Soldaten stattfinden, aus den Jahrgängen würden Wochen- und Mouatsgcinge werden, die sich entsprechend schneller ablösten, eine unaufhörliche Wanderbewegung von Zivil zu Militär und umgekehrt würde die Folge sein. Eine sehr ärgerliche Folge; die einzelnen werden durch öftere Einziehung mehr geschädigt, als durch eine längere Dienstzeit. Etwas andres ist es, wenn ein Volk, wie zu Scharnhorsts Zeiten, einen Verzweiflungskampf gegen einen fremden Unterdrücker führen muß. Da ist jeder willkommen, der eine Muskete tragen und den Säbel schwingen kann, ohne daß er den Nachweis einer mehr oder weniger langen Vorbereitungszeit zu liefern hat. Die Frage der Abschaffung des stehenden Heeres ist bis auf weiteres eine rein theoretische, da ein einzelner Großstaat, der die Abschaffung unternähme, damit den Willen zur Selbstvernichtung bekunden würde, er würde seinen Nachbarn verraten, daß er vor Erschöpfung seine Rüstung nicht länger tragen könnte, und sie einladen, über ihn herzufallen. Wenn die Sozinldemokratie demnach die „Miliz" empfiehlt, so hat das nur den Erfolg, das Urteil zu verwirren. Nicht einmal die Kostenersparnis, die der Vorwärts für die Miliz, für eine Achtmillioneumiliz herausrechnet, ist von Bedeutung, sie beträgt nach ihm jährlich 160 Millionen Mark, aber vorausgesetzt, daß der „Caprivische Plan" schon verwirklicht ist, sonst nur 87 Millionen Mark, und dabei multiplizirt der Vorwärts einfach die Zahl, um die die Bevölkerung des deutscheu Reichs größer ist als die der Schweiz, mit der Summe, die der Schweiz ihr Milizsystem kostet; Deutschland ist stebzehu- mal so groß als die Schweiz, also, rechnet der Vorwärts, kostet die deutsche Miliz auch siebzehnmnl soviel als die Schweizer. Noch nichtiger als diese Be¬ rechnung ist der Schluß, den der Vorwärts zieht, daß die Verwirklichung des „Caprivischeu Plans," das heißt eine von einer Bevölkerung von 50 Millionen aufzubringende Summe von »0 Millionen Mark der „reine Selbstmord" wäre. So weit sind wir denn doch noch nicht. Der Hauptfehler des stehenden Heeres mit seiner längern Dienstzeit ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/165>, abgerufen am 01.09.2024.