Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Und doch giebt es ein unscheinbares Büchlein, voll der großartigsten
Pläne für die Zukunft des Deutschtums, für die unumschränkte Weiterentwick¬
lung der Menschheitsidee auf breitester Grundlage, ein Büchlein, das voll ist
von der großen Aufgabe des Deutschtums für die neue Welt: Ferdinand Kürn-
bergers Buch "Der Amerikamüde"; und dieses Buch (auch in der Reklam-
schen Sammlung mit einer kritischen Einleitung von V. K. Schembera er¬
schienen), führt uns mit Lenau Schritt für Schritt vom Dampfer uach Newyork,
in sein Boardinghouse bei Stauntons, von da in alle dort zu jener Zeit
(1832) vorhandnen Mittelpunkte des Deutschtums und des Uankeetums, dann
zum Ohio, nach dem Urwald, zur Landauktion, zur Blockhütte, zum Metho¬
disten-Camp-Meeting und zu den benachbarten Farmern. Wir kampiren mit
dem Dichter (der hier den Namen Moorfeld führt) am Eriesee, wir gelangen
auf dem Rückwege von seinem einsamen Ritt in die Wildnis weiter mit ihm
in seine Blockhütte, die er von betrügerischen Nowdies widerrechtlich besetzt
findet. Er wird um seinen eben gekauften und baar bezahlten Besitz betrogen
und kehrt nach Newyork zurück, wo er seinen Freund, mit dem er eine deutsche
Urwaldkolonie anlegen wollte, gänzlich verändert -- halb amerikanisirt --
wiederfindet. Dieser sein Freund will lieber ein "Cäsar in Wallstreet" als ein
Millionenbauer in Missouri sein; nur so könne von Verwirklichung des deutschen
Zukunftsideals für Amerika die Rede sein. Denn drei bis vier Geschlechter
würde diese Übergangszeit bis zur Anerkennung des Deutschtums in der neuen
Welt wohl noch dauern. Moorfeld aber hält trotz aller Enttäuschungen Asien
für die Wurzel, Europa für den Stamm, Amerika für die Krone des Mensch¬
heitsbaumes, und das Deutschtum bleibt ihm trotz der bedrängten Lage, in
der er bei seiner Rückkunft nach Newyork Kleindeutschland antrifft und dann
verläßt, der Hort der Weiterentwicklung der Menschheitsidee für die Zukunft
der Welt.

"Amerika ist die Baumschule, in welcher die Freiheitsbäume Europas ge¬
zogen werden; Amerika ist die große Cisterne, welche die Erde grün erhält
in den Hundstagen des Absolutismus .... Von Amerikas Gegenwart kann
ich nicht groß genug denken. Seh ich aber dunkler in Amerikas Zukunft, so
erblicke ich wieder eine andre Größe -- unsre, die deutsche Größe. Das nämlich
ist meine Überzeugung und mein Wissen, wie ich von den Fingern meiner
Hand, wie ich von den Haaren meines Hauptes weiß; dieses Amerika geht
nicht zu Grunde, bis Deutschland seine Stuartperiode durchgekämpft, bis es
seine Revolutionen, hinter welchen seine Einheit und Freiheit liegt, vollendet
hat. Wie England, so kämpft Deutschland dieselbe Geschichtsperiode heute
durch, so werden deutsche Auswanderer jetzt Amerika erfüllen und sich über
die angelsächsischen herlagern als eine sekundäre oder primäre Schicht. Unser
neunzehntes Jahrhundert ist das siebzehnte der Engländer. Die erste, vielleicht
auch die zweite Generation wird unterliegen, aber die dritte, längstens die


Und doch giebt es ein unscheinbares Büchlein, voll der großartigsten
Pläne für die Zukunft des Deutschtums, für die unumschränkte Weiterentwick¬
lung der Menschheitsidee auf breitester Grundlage, ein Büchlein, das voll ist
von der großen Aufgabe des Deutschtums für die neue Welt: Ferdinand Kürn-
bergers Buch „Der Amerikamüde"; und dieses Buch (auch in der Reklam-
schen Sammlung mit einer kritischen Einleitung von V. K. Schembera er¬
schienen), führt uns mit Lenau Schritt für Schritt vom Dampfer uach Newyork,
in sein Boardinghouse bei Stauntons, von da in alle dort zu jener Zeit
(1832) vorhandnen Mittelpunkte des Deutschtums und des Uankeetums, dann
zum Ohio, nach dem Urwald, zur Landauktion, zur Blockhütte, zum Metho¬
disten-Camp-Meeting und zu den benachbarten Farmern. Wir kampiren mit
dem Dichter (der hier den Namen Moorfeld führt) am Eriesee, wir gelangen
auf dem Rückwege von seinem einsamen Ritt in die Wildnis weiter mit ihm
in seine Blockhütte, die er von betrügerischen Nowdies widerrechtlich besetzt
findet. Er wird um seinen eben gekauften und baar bezahlten Besitz betrogen
und kehrt nach Newyork zurück, wo er seinen Freund, mit dem er eine deutsche
Urwaldkolonie anlegen wollte, gänzlich verändert — halb amerikanisirt —
wiederfindet. Dieser sein Freund will lieber ein „Cäsar in Wallstreet" als ein
Millionenbauer in Missouri sein; nur so könne von Verwirklichung des deutschen
Zukunftsideals für Amerika die Rede sein. Denn drei bis vier Geschlechter
würde diese Übergangszeit bis zur Anerkennung des Deutschtums in der neuen
Welt wohl noch dauern. Moorfeld aber hält trotz aller Enttäuschungen Asien
für die Wurzel, Europa für den Stamm, Amerika für die Krone des Mensch¬
heitsbaumes, und das Deutschtum bleibt ihm trotz der bedrängten Lage, in
der er bei seiner Rückkunft nach Newyork Kleindeutschland antrifft und dann
verläßt, der Hort der Weiterentwicklung der Menschheitsidee für die Zukunft
der Welt.

„Amerika ist die Baumschule, in welcher die Freiheitsbäume Europas ge¬
zogen werden; Amerika ist die große Cisterne, welche die Erde grün erhält
in den Hundstagen des Absolutismus .... Von Amerikas Gegenwart kann
ich nicht groß genug denken. Seh ich aber dunkler in Amerikas Zukunft, so
erblicke ich wieder eine andre Größe — unsre, die deutsche Größe. Das nämlich
ist meine Überzeugung und mein Wissen, wie ich von den Fingern meiner
Hand, wie ich von den Haaren meines Hauptes weiß; dieses Amerika geht
nicht zu Grunde, bis Deutschland seine Stuartperiode durchgekämpft, bis es
seine Revolutionen, hinter welchen seine Einheit und Freiheit liegt, vollendet
hat. Wie England, so kämpft Deutschland dieselbe Geschichtsperiode heute
durch, so werden deutsche Auswanderer jetzt Amerika erfüllen und sich über
die angelsächsischen herlagern als eine sekundäre oder primäre Schicht. Unser
neunzehntes Jahrhundert ist das siebzehnte der Engländer. Die erste, vielleicht
auch die zweite Generation wird unterliegen, aber die dritte, längstens die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213942"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_463"> Und doch giebt es ein unscheinbares Büchlein, voll der großartigsten<lb/>
Pläne für die Zukunft des Deutschtums, für die unumschränkte Weiterentwick¬<lb/>
lung der Menschheitsidee auf breitester Grundlage, ein Büchlein, das voll ist<lb/>
von der großen Aufgabe des Deutschtums für die neue Welt: Ferdinand Kürn-<lb/>
bergers Buch &#x201E;Der Amerikamüde"; und dieses Buch (auch in der Reklam-<lb/>
schen Sammlung mit einer kritischen Einleitung von V. K. Schembera er¬<lb/>
schienen), führt uns mit Lenau Schritt für Schritt vom Dampfer uach Newyork,<lb/>
in sein Boardinghouse bei Stauntons, von da in alle dort zu jener Zeit<lb/>
(1832) vorhandnen Mittelpunkte des Deutschtums und des Uankeetums, dann<lb/>
zum Ohio, nach dem Urwald, zur Landauktion, zur Blockhütte, zum Metho¬<lb/>
disten-Camp-Meeting und zu den benachbarten Farmern. Wir kampiren mit<lb/>
dem Dichter (der hier den Namen Moorfeld führt) am Eriesee, wir gelangen<lb/>
auf dem Rückwege von seinem einsamen Ritt in die Wildnis weiter mit ihm<lb/>
in seine Blockhütte, die er von betrügerischen Nowdies widerrechtlich besetzt<lb/>
findet. Er wird um seinen eben gekauften und baar bezahlten Besitz betrogen<lb/>
und kehrt nach Newyork zurück, wo er seinen Freund, mit dem er eine deutsche<lb/>
Urwaldkolonie anlegen wollte, gänzlich verändert &#x2014; halb amerikanisirt &#x2014;<lb/>
wiederfindet. Dieser sein Freund will lieber ein &#x201E;Cäsar in Wallstreet" als ein<lb/>
Millionenbauer in Missouri sein; nur so könne von Verwirklichung des deutschen<lb/>
Zukunftsideals für Amerika die Rede sein. Denn drei bis vier Geschlechter<lb/>
würde diese Übergangszeit bis zur Anerkennung des Deutschtums in der neuen<lb/>
Welt wohl noch dauern. Moorfeld aber hält trotz aller Enttäuschungen Asien<lb/>
für die Wurzel, Europa für den Stamm, Amerika für die Krone des Mensch¬<lb/>
heitsbaumes, und das Deutschtum bleibt ihm trotz der bedrängten Lage, in<lb/>
der er bei seiner Rückkunft nach Newyork Kleindeutschland antrifft und dann<lb/>
verläßt, der Hort der Weiterentwicklung der Menschheitsidee für die Zukunft<lb/>
der Welt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_464" next="#ID_465"> &#x201E;Amerika ist die Baumschule, in welcher die Freiheitsbäume Europas ge¬<lb/>
zogen werden; Amerika ist die große Cisterne, welche die Erde grün erhält<lb/>
in den Hundstagen des Absolutismus .... Von Amerikas Gegenwart kann<lb/>
ich nicht groß genug denken. Seh ich aber dunkler in Amerikas Zukunft, so<lb/>
erblicke ich wieder eine andre Größe &#x2014; unsre, die deutsche Größe. Das nämlich<lb/>
ist meine Überzeugung und mein Wissen, wie ich von den Fingern meiner<lb/>
Hand, wie ich von den Haaren meines Hauptes weiß; dieses Amerika geht<lb/>
nicht zu Grunde, bis Deutschland seine Stuartperiode durchgekämpft, bis es<lb/>
seine Revolutionen, hinter welchen seine Einheit und Freiheit liegt, vollendet<lb/>
hat. Wie England, so kämpft Deutschland dieselbe Geschichtsperiode heute<lb/>
durch, so werden deutsche Auswanderer jetzt Amerika erfüllen und sich über<lb/>
die angelsächsischen herlagern als eine sekundäre oder primäre Schicht. Unser<lb/>
neunzehntes Jahrhundert ist das siebzehnte der Engländer. Die erste, vielleicht<lb/>
auch die zweite Generation wird unterliegen, aber die dritte, längstens die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Und doch giebt es ein unscheinbares Büchlein, voll der großartigsten Pläne für die Zukunft des Deutschtums, für die unumschränkte Weiterentwick¬ lung der Menschheitsidee auf breitester Grundlage, ein Büchlein, das voll ist von der großen Aufgabe des Deutschtums für die neue Welt: Ferdinand Kürn- bergers Buch „Der Amerikamüde"; und dieses Buch (auch in der Reklam- schen Sammlung mit einer kritischen Einleitung von V. K. Schembera er¬ schienen), führt uns mit Lenau Schritt für Schritt vom Dampfer uach Newyork, in sein Boardinghouse bei Stauntons, von da in alle dort zu jener Zeit (1832) vorhandnen Mittelpunkte des Deutschtums und des Uankeetums, dann zum Ohio, nach dem Urwald, zur Landauktion, zur Blockhütte, zum Metho¬ disten-Camp-Meeting und zu den benachbarten Farmern. Wir kampiren mit dem Dichter (der hier den Namen Moorfeld führt) am Eriesee, wir gelangen auf dem Rückwege von seinem einsamen Ritt in die Wildnis weiter mit ihm in seine Blockhütte, die er von betrügerischen Nowdies widerrechtlich besetzt findet. Er wird um seinen eben gekauften und baar bezahlten Besitz betrogen und kehrt nach Newyork zurück, wo er seinen Freund, mit dem er eine deutsche Urwaldkolonie anlegen wollte, gänzlich verändert — halb amerikanisirt — wiederfindet. Dieser sein Freund will lieber ein „Cäsar in Wallstreet" als ein Millionenbauer in Missouri sein; nur so könne von Verwirklichung des deutschen Zukunftsideals für Amerika die Rede sein. Denn drei bis vier Geschlechter würde diese Übergangszeit bis zur Anerkennung des Deutschtums in der neuen Welt wohl noch dauern. Moorfeld aber hält trotz aller Enttäuschungen Asien für die Wurzel, Europa für den Stamm, Amerika für die Krone des Mensch¬ heitsbaumes, und das Deutschtum bleibt ihm trotz der bedrängten Lage, in der er bei seiner Rückkunft nach Newyork Kleindeutschland antrifft und dann verläßt, der Hort der Weiterentwicklung der Menschheitsidee für die Zukunft der Welt. „Amerika ist die Baumschule, in welcher die Freiheitsbäume Europas ge¬ zogen werden; Amerika ist die große Cisterne, welche die Erde grün erhält in den Hundstagen des Absolutismus .... Von Amerikas Gegenwart kann ich nicht groß genug denken. Seh ich aber dunkler in Amerikas Zukunft, so erblicke ich wieder eine andre Größe — unsre, die deutsche Größe. Das nämlich ist meine Überzeugung und mein Wissen, wie ich von den Fingern meiner Hand, wie ich von den Haaren meines Hauptes weiß; dieses Amerika geht nicht zu Grunde, bis Deutschland seine Stuartperiode durchgekämpft, bis es seine Revolutionen, hinter welchen seine Einheit und Freiheit liegt, vollendet hat. Wie England, so kämpft Deutschland dieselbe Geschichtsperiode heute durch, so werden deutsche Auswanderer jetzt Amerika erfüllen und sich über die angelsächsischen herlagern als eine sekundäre oder primäre Schicht. Unser neunzehntes Jahrhundert ist das siebzehnte der Engländer. Die erste, vielleicht auch die zweite Generation wird unterliegen, aber die dritte, längstens die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/150>, abgerufen am 01.09.2024.