Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.wie der Studentenausdruck lautet, das wird hier unter dem Deckmantel der Zur Religion und zur Moral kommt aber nun als drittes die Wissen¬ Heben wir aus der Meuge des Vorhandnen ein einzelnes besonders be¬ Warum giebt sich nun der Kalendermacher soviel Mühe, gegen die selbst-- wie der Studentenausdruck lautet, das wird hier unter dem Deckmantel der Zur Religion und zur Moral kommt aber nun als drittes die Wissen¬ Heben wir aus der Meuge des Vorhandnen ein einzelnes besonders be¬ Warum giebt sich nun der Kalendermacher soviel Mühe, gegen die selbst-- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213937"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> wie der Studentenausdruck lautet, das wird hier unter dem Deckmantel der<lb/> Religion und der Moral in niajoroin rinn^utis voolssiaL g-Icirmin vor der Öffent¬<lb/> lichkeit ganz ungescheut betrieben. Ohne den bösen Alkohol geht es freilich auch<lb/> bei diesen katholischen Verbindungen nicht ab; ja man will sogar schon gehört<lb/> und gesehen haben, daß er anch bei dieser Jugend seine unwiderstehliche Kraft<lb/> beweise. Aber er ist geweiht und gefeit durch den höhern Segen, der alles<lb/> zu tilgen imstande ist. Was für schöne Grundsätze eines zum System aus¬<lb/> gebildeten Strebertums hier gepflegt und, wenn die Herren unter sich sind,<lb/> vertraulich gepredigt werden, darüber hat ein süddeutsches Tageblatt vor<lb/> kurzem aus der authentischen Quelle eines Vereinsvrgans, das den schönen<lb/> Rainen „Akademia" führt, erbauliche Enthüllungen gebracht, gegen die sich das<lb/> getrvffne System mit jämmerlicher Sophistik gewehrt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_449"> Zur Religion und zur Moral kommt aber nun als drittes die Wissen¬<lb/> schaft. Und da treffen wir denn ein entsetzliches Durcheinander; etliches<lb/> Richtige, manches Falsche, das meiste überflüssig, weil weltbekannt, oder un¬<lb/> passend, alles aber beherrscht von dem bekannten „kritischen" Geiste der so¬<lb/> genannten Geschichtslügen, der alles, was nicht in den eignen Kram paßt, für<lb/> falsch, alles Falsche für „Lüge" erklärt und so dem Vertreter abweichender<lb/> Ansichten ohne weiteres den Makel sittlicher Verworfenheit anheftet, ein Ver¬<lb/> fahren, das ja so gut zu dem überall zur Schau getragnen religiösen Geiste<lb/> des Christentums und zu der eigenmächtig angemaßten Aufgabe der Jugend¬<lb/> bildung Paßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_450"> Heben wir aus der Meuge des Vorhandnen ein einzelnes besonders be¬<lb/> zeichnendes Stück heraus. Daß Luther die neuhochdeutsche Sprache „erfunden"<lb/> habe — ob es einen Lehrer in Deutschland giebt, der mit der „studirenden<lb/> Jugend" zu thun hat und seinen Schülern eine solche sonderbare Weisheit<lb/> auftischte, einen Lehrer, der nicht so gut wie der Kalendermacher wüßte, daß<lb/> kein Mensch von Adam bis zum Pfarrer Schleyer herab eine wirkliche Sprache<lb/> „erfinden" kann — das möchten wir doch zur Ehre unsers Ghmnasiallehrer-<lb/> standes bezweifeln. Der Kalendermacher glaubt das Wohl selber nicht, und<lb/> wenn er den bestgehaßten Treitschke beschuldigt, er habe einmal den „ver¬<lb/> messenen Blödsinn so weit getrieben," zu sagen: Luther hat das Nenhochdeutsche<lb/> erfunden, und zwar an einem Tage, mit einem Schlage; er hat es erschaffen —<lb/> so stelle» wir dem einen ganz verstockten Unglauben entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_451" next="#ID_452"> Warum giebt sich nun der Kalendermacher soviel Mühe, gegen die selbst--<lb/> gebaute Windmühle zu kämpfen nud in eiuer kleinen Abhandlung das wieder¬<lb/> zukäuen, was jeder Lehrer des Deutschen seinen Sekundanern kürzer, klarer,<lb/> unbefangner, mit einem Worte viel besser zu sagen imstande ist? Deshalb,<lb/> weil all dieses Brimborium nur Maske ist, weil es dem Kalendermacher um<lb/> die edle deutsche Sprache, die er selber jämmerlich genug handhabt, gar nicht<lb/> zu thun ist. Denn was ist das Ergebnis der ganzen Spmchgelehrsamkeit?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0145]
wie der Studentenausdruck lautet, das wird hier unter dem Deckmantel der
Religion und der Moral in niajoroin rinn^utis voolssiaL g-Icirmin vor der Öffent¬
lichkeit ganz ungescheut betrieben. Ohne den bösen Alkohol geht es freilich auch
bei diesen katholischen Verbindungen nicht ab; ja man will sogar schon gehört
und gesehen haben, daß er anch bei dieser Jugend seine unwiderstehliche Kraft
beweise. Aber er ist geweiht und gefeit durch den höhern Segen, der alles
zu tilgen imstande ist. Was für schöne Grundsätze eines zum System aus¬
gebildeten Strebertums hier gepflegt und, wenn die Herren unter sich sind,
vertraulich gepredigt werden, darüber hat ein süddeutsches Tageblatt vor
kurzem aus der authentischen Quelle eines Vereinsvrgans, das den schönen
Rainen „Akademia" führt, erbauliche Enthüllungen gebracht, gegen die sich das
getrvffne System mit jämmerlicher Sophistik gewehrt hat.
Zur Religion und zur Moral kommt aber nun als drittes die Wissen¬
schaft. Und da treffen wir denn ein entsetzliches Durcheinander; etliches
Richtige, manches Falsche, das meiste überflüssig, weil weltbekannt, oder un¬
passend, alles aber beherrscht von dem bekannten „kritischen" Geiste der so¬
genannten Geschichtslügen, der alles, was nicht in den eignen Kram paßt, für
falsch, alles Falsche für „Lüge" erklärt und so dem Vertreter abweichender
Ansichten ohne weiteres den Makel sittlicher Verworfenheit anheftet, ein Ver¬
fahren, das ja so gut zu dem überall zur Schau getragnen religiösen Geiste
des Christentums und zu der eigenmächtig angemaßten Aufgabe der Jugend¬
bildung Paßt.
Heben wir aus der Meuge des Vorhandnen ein einzelnes besonders be¬
zeichnendes Stück heraus. Daß Luther die neuhochdeutsche Sprache „erfunden"
habe — ob es einen Lehrer in Deutschland giebt, der mit der „studirenden
Jugend" zu thun hat und seinen Schülern eine solche sonderbare Weisheit
auftischte, einen Lehrer, der nicht so gut wie der Kalendermacher wüßte, daß
kein Mensch von Adam bis zum Pfarrer Schleyer herab eine wirkliche Sprache
„erfinden" kann — das möchten wir doch zur Ehre unsers Ghmnasiallehrer-
standes bezweifeln. Der Kalendermacher glaubt das Wohl selber nicht, und
wenn er den bestgehaßten Treitschke beschuldigt, er habe einmal den „ver¬
messenen Blödsinn so weit getrieben," zu sagen: Luther hat das Nenhochdeutsche
erfunden, und zwar an einem Tage, mit einem Schlage; er hat es erschaffen —
so stelle» wir dem einen ganz verstockten Unglauben entgegen.
Warum giebt sich nun der Kalendermacher soviel Mühe, gegen die selbst--
gebaute Windmühle zu kämpfen nud in eiuer kleinen Abhandlung das wieder¬
zukäuen, was jeder Lehrer des Deutschen seinen Sekundanern kürzer, klarer,
unbefangner, mit einem Worte viel besser zu sagen imstande ist? Deshalb,
weil all dieses Brimborium nur Maske ist, weil es dem Kalendermacher um
die edle deutsche Sprache, die er selber jämmerlich genug handhabt, gar nicht
zu thun ist. Denn was ist das Ergebnis der ganzen Spmchgelehrsamkeit?
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