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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Arbeitenvohnimgsfrcige

darum nicht, weil die Wohnungsnot und die Notwendigkeit, bessernde Hand
anzulegen, kaum noch in Zweifel gezogen werden dürfte. Aber es fragt sich,
wer helfend eintreten soll, wie und mit welchen Mitteln Abhilfe zu schaffen
möglich ist.

Zunächst ist unverkennbar, daß viele Arbeitgeber schon seit längerer oder
kürzerer Zeit bemüht gewesen sind und noch sind, Wandel zu schaffen. Unter
den Arbeitgebern steht der Staat oben an. Er beschäftigt in den fiskalischen
Gruben, Hütten und Salinen ein ganzes Heer von Arbeitern; ebenso in seinen
Werkstätten für den Bedarf von Heer und Marine, und seit der Verstaat¬
lichung der Eisenbahnen hat die Zahl seiner Arbeiter noch eine außerordent¬
liche Steigerung erfahren. Erfreulicherweise tritt der Staat auch in seiner
Fürsorge für die Wohlfahrt seiner Arbeiter, namentlich bei der Wohnungs¬
frage, in die erste Stelle. Um einen Staunn tüchtiger seßhafter Arbeiter zu
gewinnen, hat er in den Kohlenrevieren Oberschlesiens und der Saarbrücker
Gegend Millionen an Bauprämien und unverzinslichen Baudarlehen aus¬
gegeben, um die Arbeiter zum Bau eines eignen Hauses zu veranlassen.
Ein solches Wohnhäuschen, in der Mitte eines wohlgepflegten Gärtchens
stehend, ist ein köstlich Ding und gilt mit Recht für das Ideal einer Arbeiter-
wohnung. Ein solches eignes Heim haben sich mit Hilfe des Staates über
5000 Bergleute verschaffen können. Es besagt dasselbe, wenn der Staat
Häuser baut und dem Arbeiter erleichtert, ein solches von ihm gebautes Haus
käuflich zu erwerben. Hier könnte nur die Erwägung entscheiden, auf welchem
Wege billiger gebaut werden kann.

Aber es hat sich als unmöglich herausgestellt, daß auf diese Weise für
alle gesorgt wird. Denn in den genannten Bezirken steigert sich der Wert
von Grund und Boden so, daß der Bau eines eignen Hauses für den Ar¬
beiter eine unerschwingliche Ausgabe bedeutet. Mau muß also von dem Fci-
milienhansc absehen und nähert sich dann dem Gedanken, der sich mehr und
mehr verbreitet, Mietwohnungen für die Arbeiter zu bauen. Auch hier hat
mau es anfangs mit dem Bau von Einfamilienhäusern versucht, denen aus
Rücksicht auf den Kostenpunkt, wenn man nicht vou vornherein auf jede Ver¬
zinsung des aufgewandten Kapitals verzichten wollte, zunächst Zwei- und Vier¬
familienhäuser folgten. Bei diesem Übergange vom Kauf- zum Miethause
wurde man mit bestimmt durch die schlimme Erfahrung, die manche Arbeiter
als Hausbesitzer gemacht haben. Ihnen gereichte der eigne Besitz zum Un-
segen, zum Ruin. So sehr daher das Einfamilienhaus vom sittlichen, so¬
zialen und gesundheitlichen Standpunkte aus deu Preis verdient, Gründe trif¬
tigster Art zwangen dazu, mit dem Bau größerer Häuser auch zu Mietzweckcu
vorzugehen. Mau muß dies recht bedauern, auch wenn man von der Not¬
wendigkeit überzeugt ist. Denn die schmucken Zwei- und Viersamilienhnuser,
die der Staat den Arbeitern der Eisenbahnhauptwerkstatt Lemhausen bei


Der gegenwärtige Stand der Arbeitenvohnimgsfrcige

darum nicht, weil die Wohnungsnot und die Notwendigkeit, bessernde Hand
anzulegen, kaum noch in Zweifel gezogen werden dürfte. Aber es fragt sich,
wer helfend eintreten soll, wie und mit welchen Mitteln Abhilfe zu schaffen
möglich ist.

Zunächst ist unverkennbar, daß viele Arbeitgeber schon seit längerer oder
kürzerer Zeit bemüht gewesen sind und noch sind, Wandel zu schaffen. Unter
den Arbeitgebern steht der Staat oben an. Er beschäftigt in den fiskalischen
Gruben, Hütten und Salinen ein ganzes Heer von Arbeitern; ebenso in seinen
Werkstätten für den Bedarf von Heer und Marine, und seit der Verstaat¬
lichung der Eisenbahnen hat die Zahl seiner Arbeiter noch eine außerordent¬
liche Steigerung erfahren. Erfreulicherweise tritt der Staat auch in seiner
Fürsorge für die Wohlfahrt seiner Arbeiter, namentlich bei der Wohnungs¬
frage, in die erste Stelle. Um einen Staunn tüchtiger seßhafter Arbeiter zu
gewinnen, hat er in den Kohlenrevieren Oberschlesiens und der Saarbrücker
Gegend Millionen an Bauprämien und unverzinslichen Baudarlehen aus¬
gegeben, um die Arbeiter zum Bau eines eignen Hauses zu veranlassen.
Ein solches Wohnhäuschen, in der Mitte eines wohlgepflegten Gärtchens
stehend, ist ein köstlich Ding und gilt mit Recht für das Ideal einer Arbeiter-
wohnung. Ein solches eignes Heim haben sich mit Hilfe des Staates über
5000 Bergleute verschaffen können. Es besagt dasselbe, wenn der Staat
Häuser baut und dem Arbeiter erleichtert, ein solches von ihm gebautes Haus
käuflich zu erwerben. Hier könnte nur die Erwägung entscheiden, auf welchem
Wege billiger gebaut werden kann.

Aber es hat sich als unmöglich herausgestellt, daß auf diese Weise für
alle gesorgt wird. Denn in den genannten Bezirken steigert sich der Wert
von Grund und Boden so, daß der Bau eines eignen Hauses für den Ar¬
beiter eine unerschwingliche Ausgabe bedeutet. Mau muß also von dem Fci-
milienhansc absehen und nähert sich dann dem Gedanken, der sich mehr und
mehr verbreitet, Mietwohnungen für die Arbeiter zu bauen. Auch hier hat
mau es anfangs mit dem Bau von Einfamilienhäusern versucht, denen aus
Rücksicht auf den Kostenpunkt, wenn man nicht vou vornherein auf jede Ver¬
zinsung des aufgewandten Kapitals verzichten wollte, zunächst Zwei- und Vier¬
familienhäuser folgten. Bei diesem Übergange vom Kauf- zum Miethause
wurde man mit bestimmt durch die schlimme Erfahrung, die manche Arbeiter
als Hausbesitzer gemacht haben. Ihnen gereichte der eigne Besitz zum Un-
segen, zum Ruin. So sehr daher das Einfamilienhaus vom sittlichen, so¬
zialen und gesundheitlichen Standpunkte aus deu Preis verdient, Gründe trif¬
tigster Art zwangen dazu, mit dem Bau größerer Häuser auch zu Mietzweckcu
vorzugehen. Mau muß dies recht bedauern, auch wenn man von der Not¬
wendigkeit überzeugt ist. Denn die schmucken Zwei- und Viersamilienhnuser,
die der Staat den Arbeitern der Eisenbahnhauptwerkstatt Lemhausen bei


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[0122] Der gegenwärtige Stand der Arbeitenvohnimgsfrcige darum nicht, weil die Wohnungsnot und die Notwendigkeit, bessernde Hand anzulegen, kaum noch in Zweifel gezogen werden dürfte. Aber es fragt sich, wer helfend eintreten soll, wie und mit welchen Mitteln Abhilfe zu schaffen möglich ist. Zunächst ist unverkennbar, daß viele Arbeitgeber schon seit längerer oder kürzerer Zeit bemüht gewesen sind und noch sind, Wandel zu schaffen. Unter den Arbeitgebern steht der Staat oben an. Er beschäftigt in den fiskalischen Gruben, Hütten und Salinen ein ganzes Heer von Arbeitern; ebenso in seinen Werkstätten für den Bedarf von Heer und Marine, und seit der Verstaat¬ lichung der Eisenbahnen hat die Zahl seiner Arbeiter noch eine außerordent¬ liche Steigerung erfahren. Erfreulicherweise tritt der Staat auch in seiner Fürsorge für die Wohlfahrt seiner Arbeiter, namentlich bei der Wohnungs¬ frage, in die erste Stelle. Um einen Staunn tüchtiger seßhafter Arbeiter zu gewinnen, hat er in den Kohlenrevieren Oberschlesiens und der Saarbrücker Gegend Millionen an Bauprämien und unverzinslichen Baudarlehen aus¬ gegeben, um die Arbeiter zum Bau eines eignen Hauses zu veranlassen. Ein solches Wohnhäuschen, in der Mitte eines wohlgepflegten Gärtchens stehend, ist ein köstlich Ding und gilt mit Recht für das Ideal einer Arbeiter- wohnung. Ein solches eignes Heim haben sich mit Hilfe des Staates über 5000 Bergleute verschaffen können. Es besagt dasselbe, wenn der Staat Häuser baut und dem Arbeiter erleichtert, ein solches von ihm gebautes Haus käuflich zu erwerben. Hier könnte nur die Erwägung entscheiden, auf welchem Wege billiger gebaut werden kann. Aber es hat sich als unmöglich herausgestellt, daß auf diese Weise für alle gesorgt wird. Denn in den genannten Bezirken steigert sich der Wert von Grund und Boden so, daß der Bau eines eignen Hauses für den Ar¬ beiter eine unerschwingliche Ausgabe bedeutet. Mau muß also von dem Fci- milienhansc absehen und nähert sich dann dem Gedanken, der sich mehr und mehr verbreitet, Mietwohnungen für die Arbeiter zu bauen. Auch hier hat mau es anfangs mit dem Bau von Einfamilienhäusern versucht, denen aus Rücksicht auf den Kostenpunkt, wenn man nicht vou vornherein auf jede Ver¬ zinsung des aufgewandten Kapitals verzichten wollte, zunächst Zwei- und Vier¬ familienhäuser folgten. Bei diesem Übergange vom Kauf- zum Miethause wurde man mit bestimmt durch die schlimme Erfahrung, die manche Arbeiter als Hausbesitzer gemacht haben. Ihnen gereichte der eigne Besitz zum Un- segen, zum Ruin. So sehr daher das Einfamilienhaus vom sittlichen, so¬ zialen und gesundheitlichen Standpunkte aus deu Preis verdient, Gründe trif¬ tigster Art zwangen dazu, mit dem Bau größerer Häuser auch zu Mietzweckcu vorzugehen. Mau muß dies recht bedauern, auch wenn man von der Not¬ wendigkeit überzeugt ist. Denn die schmucken Zwei- und Viersamilienhnuser, die der Staat den Arbeitern der Eisenbahnhauptwerkstatt Lemhausen bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/122>, abgerufen am 01.09.2024.