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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Schriftwerk zu gelten, der Ausfluß einer "individuellen geistigen Thätigkeit"
sein müsse, noch nicht genau, um was es sich dabei handelt. Denn in ge¬
wissem Sinne ist alles Geschrielme der Ausfluß einer individuellen geistigen
Thätigkeit. Es wird sich daher lohnen, die -- nicht ganz leicht zu findende --
Grenze aufzusuchen, durch die sich ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk
von Schriften andrer Art, für die nicht an diesen Schutz gedacht ist, unterscheidet.

Nun ist es unzweifelhaft, daß die Nachdriicksgesetzgebung bestimmt ist,
das Schriftstellertum als solches zu schützen. Zunächst soll dem Schriftsteller
dieser Schutz in der Richtung gewährt werden, daß er allein berechtigt sein
soll, seine Geisteserzeugnisse litterarisch zu verwerten und auszunutzen. Sodann
aber soll der Schriftsteller auch in der Richtung Schutz finden, daß nicht ein
Geisteserzeugnis von ihm wider seinen Willen an die Öffentlichkeit gebracht
werden soll. Immer aber ist der Grundgedanke der, daß es sich um den
Schutz einer Schrift handelt, in der sich der menschliche Geist frei schaffend
bethätigt hat. Hieraus ergiebt sich der Gegensatz zu den oben gedachten
Schriftstücken andrer Art. Sie sind nicht Erzeugnisse des schaffenden mensch¬
lichen Geistes, sondern sie enthalten Willensäußerungen oder Zeugnisse über
Geschehenes. Auch solche Schriftstücke können freilich nicht ohne menschliches
Denken entstehen. Aber das Denken spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Ihre eigentliche Bedeutung liegt in der in ihnen enthaltenen menschlichen That.
Und so weit es berechtigt ist, diese That öffentlich zu besprechen, muß es auch
berechtigt sein, dies unter wörtlicher Wiedergabe des Schriftstücks zu thun.

Es ist schwer, den hier besprochnen Gegensatz mit einem einzigen Worte
zu bezeichnen. Käme es aber darauf an, so würden wir sagen: ein Schrift¬
stück bildet ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk, wem, es eine littera¬
rische, nicht aber, wenn es bloß eine geschäftliche Bedeutung hat.

Welche Bedeutung hatte nun der vom Pater Aurelian verfaßte Bericht
über die vou ihm vollzogne Teufetsbeschwörung? Daß dieser Bericht nicht für
litterarische Zwecke angefertigt war, ergiebt sich vou selbst. Er hatte aber
auch seiner innern Natur nach nicht die Bedeutung eines litterarischen Werkes.
Er war ein einfacher, allerdings höchst charakteristischer Geschäftsbericht. Hierfür
giebt Pater Aurelian selbst das beste Zeugnis ab. Bei der Verhandlung fragte
ihn der Vorsitzende: "War der Bericht so verfaßt, daß er für die Öffentlich¬
keit bestimmt war, wenn er in streng katholischen Zeitungen veröffentlicht
worden wäre?" Aurelian antwortete: "Auch nicht. Ich habe den Bericht
schlicht und einfach verfaßt und die Sache, wie sie sich verhielt, angegeben.
Sonst wäre der Bericht in einer andern Sprache verfaßt gewesen." Diese
Antwort giebt deutlich zu erkennen, daß der Bericht nichts als Thatsachen
geben wollte und auf die Bedeutung eines litterarischen Werkes keinen An¬
spruch machte. Auch wenn man annimmt, daß ein Teil der in dem Berichte
bezeugten Thatsachen (z. B. die Antworten, die der Teufel gab, als ihm mit


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Schriftwerk zu gelten, der Ausfluß einer „individuellen geistigen Thätigkeit"
sein müsse, noch nicht genau, um was es sich dabei handelt. Denn in ge¬
wissem Sinne ist alles Geschrielme der Ausfluß einer individuellen geistigen
Thätigkeit. Es wird sich daher lohnen, die — nicht ganz leicht zu findende —
Grenze aufzusuchen, durch die sich ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk
von Schriften andrer Art, für die nicht an diesen Schutz gedacht ist, unterscheidet.

Nun ist es unzweifelhaft, daß die Nachdriicksgesetzgebung bestimmt ist,
das Schriftstellertum als solches zu schützen. Zunächst soll dem Schriftsteller
dieser Schutz in der Richtung gewährt werden, daß er allein berechtigt sein
soll, seine Geisteserzeugnisse litterarisch zu verwerten und auszunutzen. Sodann
aber soll der Schriftsteller auch in der Richtung Schutz finden, daß nicht ein
Geisteserzeugnis von ihm wider seinen Willen an die Öffentlichkeit gebracht
werden soll. Immer aber ist der Grundgedanke der, daß es sich um den
Schutz einer Schrift handelt, in der sich der menschliche Geist frei schaffend
bethätigt hat. Hieraus ergiebt sich der Gegensatz zu den oben gedachten
Schriftstücken andrer Art. Sie sind nicht Erzeugnisse des schaffenden mensch¬
lichen Geistes, sondern sie enthalten Willensäußerungen oder Zeugnisse über
Geschehenes. Auch solche Schriftstücke können freilich nicht ohne menschliches
Denken entstehen. Aber das Denken spielt dabei eine untergeordnete Rolle.
Ihre eigentliche Bedeutung liegt in der in ihnen enthaltenen menschlichen That.
Und so weit es berechtigt ist, diese That öffentlich zu besprechen, muß es auch
berechtigt sein, dies unter wörtlicher Wiedergabe des Schriftstücks zu thun.

Es ist schwer, den hier besprochnen Gegensatz mit einem einzigen Worte
zu bezeichnen. Käme es aber darauf an, so würden wir sagen: ein Schrift¬
stück bildet ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk, wem, es eine littera¬
rische, nicht aber, wenn es bloß eine geschäftliche Bedeutung hat.

Welche Bedeutung hatte nun der vom Pater Aurelian verfaßte Bericht
über die vou ihm vollzogne Teufetsbeschwörung? Daß dieser Bericht nicht für
litterarische Zwecke angefertigt war, ergiebt sich vou selbst. Er hatte aber
auch seiner innern Natur nach nicht die Bedeutung eines litterarischen Werkes.
Er war ein einfacher, allerdings höchst charakteristischer Geschäftsbericht. Hierfür
giebt Pater Aurelian selbst das beste Zeugnis ab. Bei der Verhandlung fragte
ihn der Vorsitzende: „War der Bericht so verfaßt, daß er für die Öffentlich¬
keit bestimmt war, wenn er in streng katholischen Zeitungen veröffentlicht
worden wäre?" Aurelian antwortete: „Auch nicht. Ich habe den Bericht
schlicht und einfach verfaßt und die Sache, wie sie sich verhielt, angegeben.
Sonst wäre der Bericht in einer andern Sprache verfaßt gewesen." Diese
Antwort giebt deutlich zu erkennen, daß der Bericht nichts als Thatsachen
geben wollte und auf die Bedeutung eines litterarischen Werkes keinen An¬
spruch machte. Auch wenn man annimmt, daß ein Teil der in dem Berichte
bezeugten Thatsachen (z. B. die Antworten, die der Teufel gab, als ihm mit


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[0102] Litt üachdrucksprozesz Schriftwerk zu gelten, der Ausfluß einer „individuellen geistigen Thätigkeit" sein müsse, noch nicht genau, um was es sich dabei handelt. Denn in ge¬ wissem Sinne ist alles Geschrielme der Ausfluß einer individuellen geistigen Thätigkeit. Es wird sich daher lohnen, die — nicht ganz leicht zu findende — Grenze aufzusuchen, durch die sich ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk von Schriften andrer Art, für die nicht an diesen Schutz gedacht ist, unterscheidet. Nun ist es unzweifelhaft, daß die Nachdriicksgesetzgebung bestimmt ist, das Schriftstellertum als solches zu schützen. Zunächst soll dem Schriftsteller dieser Schutz in der Richtung gewährt werden, daß er allein berechtigt sein soll, seine Geisteserzeugnisse litterarisch zu verwerten und auszunutzen. Sodann aber soll der Schriftsteller auch in der Richtung Schutz finden, daß nicht ein Geisteserzeugnis von ihm wider seinen Willen an die Öffentlichkeit gebracht werden soll. Immer aber ist der Grundgedanke der, daß es sich um den Schutz einer Schrift handelt, in der sich der menschliche Geist frei schaffend bethätigt hat. Hieraus ergiebt sich der Gegensatz zu den oben gedachten Schriftstücken andrer Art. Sie sind nicht Erzeugnisse des schaffenden mensch¬ lichen Geistes, sondern sie enthalten Willensäußerungen oder Zeugnisse über Geschehenes. Auch solche Schriftstücke können freilich nicht ohne menschliches Denken entstehen. Aber das Denken spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Ihre eigentliche Bedeutung liegt in der in ihnen enthaltenen menschlichen That. Und so weit es berechtigt ist, diese That öffentlich zu besprechen, muß es auch berechtigt sein, dies unter wörtlicher Wiedergabe des Schriftstücks zu thun. Es ist schwer, den hier besprochnen Gegensatz mit einem einzigen Worte zu bezeichnen. Käme es aber darauf an, so würden wir sagen: ein Schrift¬ stück bildet ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk, wem, es eine littera¬ rische, nicht aber, wenn es bloß eine geschäftliche Bedeutung hat. Welche Bedeutung hatte nun der vom Pater Aurelian verfaßte Bericht über die vou ihm vollzogne Teufetsbeschwörung? Daß dieser Bericht nicht für litterarische Zwecke angefertigt war, ergiebt sich vou selbst. Er hatte aber auch seiner innern Natur nach nicht die Bedeutung eines litterarischen Werkes. Er war ein einfacher, allerdings höchst charakteristischer Geschäftsbericht. Hierfür giebt Pater Aurelian selbst das beste Zeugnis ab. Bei der Verhandlung fragte ihn der Vorsitzende: „War der Bericht so verfaßt, daß er für die Öffentlich¬ keit bestimmt war, wenn er in streng katholischen Zeitungen veröffentlicht worden wäre?" Aurelian antwortete: „Auch nicht. Ich habe den Bericht schlicht und einfach verfaßt und die Sache, wie sie sich verhielt, angegeben. Sonst wäre der Bericht in einer andern Sprache verfaßt gewesen." Diese Antwort giebt deutlich zu erkennen, daß der Bericht nichts als Thatsachen geben wollte und auf die Bedeutung eines litterarischen Werkes keinen An¬ spruch machte. Auch wenn man annimmt, daß ein Teil der in dem Berichte bezeugten Thatsachen (z. B. die Antworten, die der Teufel gab, als ihm mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/102>, abgerufen am 01.09.2024.