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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ferdinand Grcgorovius

Gervinus (28. April 1867) über Rank fällte, Gervinus erklärte, daß er die
Bewunderung der Rankischen Geschichtschreibung nicht begreifen könne. "Ranke
keimt nur die Diplomatie in der Geschichte, das Volk kennt er nicht. Er hat
die feinste Kvmbiuatiousgabe und logische Schärfe, aber keine Gestaltungskraft.
Seine Menschen und Dinge zeigen ihr inneres Gefaser, aber nur wie auf
einem anatomischen Theater. Ranke geht durch die Geschichte wie durch eine
Bildergalerie, wozu er geistreiche Noten schreibt."

Einem aufmerksamen Leser wird es schwerlich entgehen, daß die Tage¬
bücher mit großer Vorsicht abgefaßt sind. Gregorovius war ein Mann von leb¬
hafter, ja leidenschaftlicher Neigung und Abneigung und Pflegte aus seiner
Neigung wie aus seiner Abneigung keineswegs ein Geheimnis zu machen. Um
so mehr nimmt es Wunder, in diesen intimsten Herzensergüssen eines einsam
lebenden, vielfach kränklichen und zur Melancholie geneigten, dabei sehr reiz¬
baren und leicht verstimmten Mannes nur änßerst selten ein scharfes Wort
zu finden, das dann mich noch in den meisten Fällen gegen Freunde gerichtet
ist. Wir übergehen, was er über C. von Schlözer sagt, von dein er selbst be¬
kennt, daß er als wahrer Freund gegen ihn gehandelt habe. Von Liszt, mit
dessen Wesen das seinige manche Ähnlichkeit hatte, schreibt er am 7. Mai 1865:
"Ich sah gestern Liszt als Abbate gekleidet; er stieg aus einem Mietwagen,
sein schwarzseidues Mäntelchen flatterte hinter ihm her: Mephistopheles als
Ablw verkleidet. So endet Lovelace."

Nicht zu seinen Freunden hat er offenbar Theodor Mommsen gerechnet.
Von ihm sagt er am 30. März 1873, er sei offenbar wie Richard Wagner
an Größenwahn krank. Zur Erläuterung fügt er hinzu: "Die Kathedervrvfes-
soreu lassen mich nicht gelten, weil ich in freier Thätigkeit schaffe, keine Be-
amtenstelle einnehme und sogar, lioriibils "liotu, einiges Dichtertalent besitze."

Sonst giebt er nnr seiner Abneigung gegen die Schweizer Ausdruck: "Sie
singen nicht, sie johlen oder brüllen; sie schmausen nicht, sie verschlingen,"
heißt es am 23, Juli 1863; in Amsteg sieht er am 14. Juli desselben Jahres
"eine Probe von der Erziehung des Schweizervolks: ein Passagier und der
Postillon Prügeln sich sitzend im Wagen mit furchtbarem Varbarengeschrei in
der schönen Landessprache." Ein andermal führt er einen Ausspruch des
Ästhetikers Bischer an (23. Nngnst 1862), wonach es in der Schweiz leine
Damen, fondern nnr Frauen giebt.") Die Bildung in der Schweiz, meint er,
sei importirt; nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur, der es an¬
gehört, losgerissen habe, besitze es nichts eignes mehr.

Es ist nicht wahrscheinlich, dnß Gregorovius erst mit dem Augenblicke
seines Eintritts in Rom angefangen und mit dem Tage seiner Abreise nach
München aufgehört hat, ein Tagebuch zu führen. Er hat offenbar nur den



*) D Anm. d. Red. as wäre doch sehr schön!
Ferdinand Grcgorovius

Gervinus (28. April 1867) über Rank fällte, Gervinus erklärte, daß er die
Bewunderung der Rankischen Geschichtschreibung nicht begreifen könne. „Ranke
keimt nur die Diplomatie in der Geschichte, das Volk kennt er nicht. Er hat
die feinste Kvmbiuatiousgabe und logische Schärfe, aber keine Gestaltungskraft.
Seine Menschen und Dinge zeigen ihr inneres Gefaser, aber nur wie auf
einem anatomischen Theater. Ranke geht durch die Geschichte wie durch eine
Bildergalerie, wozu er geistreiche Noten schreibt."

Einem aufmerksamen Leser wird es schwerlich entgehen, daß die Tage¬
bücher mit großer Vorsicht abgefaßt sind. Gregorovius war ein Mann von leb¬
hafter, ja leidenschaftlicher Neigung und Abneigung und Pflegte aus seiner
Neigung wie aus seiner Abneigung keineswegs ein Geheimnis zu machen. Um
so mehr nimmt es Wunder, in diesen intimsten Herzensergüssen eines einsam
lebenden, vielfach kränklichen und zur Melancholie geneigten, dabei sehr reiz¬
baren und leicht verstimmten Mannes nur änßerst selten ein scharfes Wort
zu finden, das dann mich noch in den meisten Fällen gegen Freunde gerichtet
ist. Wir übergehen, was er über C. von Schlözer sagt, von dein er selbst be¬
kennt, daß er als wahrer Freund gegen ihn gehandelt habe. Von Liszt, mit
dessen Wesen das seinige manche Ähnlichkeit hatte, schreibt er am 7. Mai 1865:
„Ich sah gestern Liszt als Abbate gekleidet; er stieg aus einem Mietwagen,
sein schwarzseidues Mäntelchen flatterte hinter ihm her: Mephistopheles als
Ablw verkleidet. So endet Lovelace."

Nicht zu seinen Freunden hat er offenbar Theodor Mommsen gerechnet.
Von ihm sagt er am 30. März 1873, er sei offenbar wie Richard Wagner
an Größenwahn krank. Zur Erläuterung fügt er hinzu: „Die Kathedervrvfes-
soreu lassen mich nicht gelten, weil ich in freier Thätigkeit schaffe, keine Be-
amtenstelle einnehme und sogar, lioriibils «liotu, einiges Dichtertalent besitze."

Sonst giebt er nnr seiner Abneigung gegen die Schweizer Ausdruck: „Sie
singen nicht, sie johlen oder brüllen; sie schmausen nicht, sie verschlingen,"
heißt es am 23, Juli 1863; in Amsteg sieht er am 14. Juli desselben Jahres
„eine Probe von der Erziehung des Schweizervolks: ein Passagier und der
Postillon Prügeln sich sitzend im Wagen mit furchtbarem Varbarengeschrei in
der schönen Landessprache." Ein andermal führt er einen Ausspruch des
Ästhetikers Bischer an (23. Nngnst 1862), wonach es in der Schweiz leine
Damen, fondern nnr Frauen giebt.") Die Bildung in der Schweiz, meint er,
sei importirt; nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur, der es an¬
gehört, losgerissen habe, besitze es nichts eignes mehr.

Es ist nicht wahrscheinlich, dnß Gregorovius erst mit dem Augenblicke
seines Eintritts in Rom angefangen und mit dem Tage seiner Abreise nach
München aufgehört hat, ein Tagebuch zu führen. Er hat offenbar nur den



*) D Anm. d. Red. as wäre doch sehr schön!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/99>, abgerufen am 22.12.2024.