Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.nichts nachgemacht und -- lachte noch jeden Meister aus, der sich nicht Diese stolze Hoffnung ist ihm in der Nacht des Wahnsinns zu schänden nichts nachgemacht und — lachte noch jeden Meister aus, der sich nicht Diese stolze Hoffnung ist ihm in der Nacht des Wahnsinns zu schänden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213210"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> nichts nachgemacht und — lachte noch jeden Meister aus, der sich nicht<lb/> selber ausgelacht." Am Eingang der „Lieder des Prinzen Bügelfrei" steht die<lb/> Einladung: „Wagts mit meiner Kost, ihr Esser, morgen schmeckt sie euch schon<lb/> besser und schon übermorgen gut"; am Ende singt der Prinz: „Ja! ich weiß, woher<lb/> ich stamme! Ungesättigt, gleich der Flamme, glühe und verzehr ich mich. Licht<lb/> wird alles, was ich fasse, Kohle alles, was ich lasse: Flamme bin ich sicherlich."<lb/> Und in der Mitte „spricht der Weise": „Dem Volke fremd, und nützlich doch dem<lb/> Volke, zieh ich des Weges, Sonne bald, bald Wolke, und immer über diesem<lb/> Volke." „Ein Forscher ich? Oh, spart dies Wort! — Ich bin nur schwer —<lb/> so manche Pfund, ich falle, falle immerfort, und endlich auf den Grund!" Seit<lb/> 1887 aber verirrt er sich in unnahbare Höhen: „Ich habe den Deutschen die<lb/> tiefsten Bücher gegeben, die sie besitzen — Grund genug, daß die Deutschen<lb/> kein Wort davon verstehen." In der „Götzendämmerung" stellt er fest, daß<lb/> seine Auffassung des Hellenismus von der Goethes abweiche, und hat den<lb/> Mut hinzuzufügen: Folglich (!) verstand Goethe die Griechen nicht. Am<lb/> widerwärtigsten aber grinst uns der Größenwahn aus einer andern Stelle<lb/> seiner „Götzendämmerung" entgegen, die so lautet: „Mau fragt mich öfter,<lb/> wozu ich eigentlich Deutsch schriebe: nirgendwo würde ich schlechter gelesen als<lb/> im Vaterlande. Aber wer weiß zuletzt, ob ich auch nnr wünsche, heute ge¬<lb/> lesen zu werden? Dinge schaffen, an denen umsonst die Zeit ihre Zähne<lb/> versucht, der Form nach, der Substanz nach um eine kleine Unsterblichkeit<lb/> bemüht sein: ich war noch nie bescheiden genng, weniger von mir zu ver¬<lb/> langen. Der Aphorismus, die Sentenz, in denen ich als der Erste unter den<lb/> Deutschen Meister bin, sind die Formen der „Ewigkeit"; mein Ehrgeiz ist, in<lb/> zehn Sätzen zu sagen, was jeder andre in einem Buche sagt, was jeder andre<lb/> in einem Buche nicht sagt. Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben,<lb/> meine» Zarathustra: ich gebe ihr über kurzem das unabhängigste."</p><lb/> <p xml:id="ID_250"> Diese stolze Hoffnung ist ihm in der Nacht des Wahnsinns zu schänden<lb/> geworden. Mit schrillem Ton ist die Sturmglocke zersprungen, die eine wilde<lb/> Rebellion im Reiche der Geister, den „Aufstand in der Moral" einzuläuten<lb/> begann.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
nichts nachgemacht und — lachte noch jeden Meister aus, der sich nicht
selber ausgelacht." Am Eingang der „Lieder des Prinzen Bügelfrei" steht die
Einladung: „Wagts mit meiner Kost, ihr Esser, morgen schmeckt sie euch schon
besser und schon übermorgen gut"; am Ende singt der Prinz: „Ja! ich weiß, woher
ich stamme! Ungesättigt, gleich der Flamme, glühe und verzehr ich mich. Licht
wird alles, was ich fasse, Kohle alles, was ich lasse: Flamme bin ich sicherlich."
Und in der Mitte „spricht der Weise": „Dem Volke fremd, und nützlich doch dem
Volke, zieh ich des Weges, Sonne bald, bald Wolke, und immer über diesem
Volke." „Ein Forscher ich? Oh, spart dies Wort! — Ich bin nur schwer —
so manche Pfund, ich falle, falle immerfort, und endlich auf den Grund!" Seit
1887 aber verirrt er sich in unnahbare Höhen: „Ich habe den Deutschen die
tiefsten Bücher gegeben, die sie besitzen — Grund genug, daß die Deutschen
kein Wort davon verstehen." In der „Götzendämmerung" stellt er fest, daß
seine Auffassung des Hellenismus von der Goethes abweiche, und hat den
Mut hinzuzufügen: Folglich (!) verstand Goethe die Griechen nicht. Am
widerwärtigsten aber grinst uns der Größenwahn aus einer andern Stelle
seiner „Götzendämmerung" entgegen, die so lautet: „Mau fragt mich öfter,
wozu ich eigentlich Deutsch schriebe: nirgendwo würde ich schlechter gelesen als
im Vaterlande. Aber wer weiß zuletzt, ob ich auch nnr wünsche, heute ge¬
lesen zu werden? Dinge schaffen, an denen umsonst die Zeit ihre Zähne
versucht, der Form nach, der Substanz nach um eine kleine Unsterblichkeit
bemüht sein: ich war noch nie bescheiden genng, weniger von mir zu ver¬
langen. Der Aphorismus, die Sentenz, in denen ich als der Erste unter den
Deutschen Meister bin, sind die Formen der „Ewigkeit"; mein Ehrgeiz ist, in
zehn Sätzen zu sagen, was jeder andre in einem Buche sagt, was jeder andre
in einem Buche nicht sagt. Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben,
meine» Zarathustra: ich gebe ihr über kurzem das unabhängigste."
Diese stolze Hoffnung ist ihm in der Nacht des Wahnsinns zu schänden
geworden. Mit schrillem Ton ist die Sturmglocke zersprungen, die eine wilde
Rebellion im Reiche der Geister, den „Aufstand in der Moral" einzuläuten
begann.
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