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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Wer das schönste Weihnachtsfest feierte

Damit nahm sie ihn in ihre Arme, er lehnte seinen Kopf an ihre Brust,
weinte all seinen Kummer ans und schloß seine Augen in stiller Glückseligkeit.

Lange ruhte er so. Dann stand er ans und nahm die Großmutter bei
der Hand, um mit ihr nach Hause zu gehen. Aber da war er ja schon zu
Hause! Sie standen zusammen in der ärmlichen Stube, und da wurde wieder
Licht angezündet, es blitzte und strahlte auf allen Seiten. Als er sich aber
umsah, war er wieder nicht zu Hanse. Die Großmutter war verschwunden,
und vor ihm stand die Pfnrrerin. Kommst du endlich, Jnkob? sagte sie und
streichelte ihm die Wange. Ich habe schon so lange ans dich gewartet! Der
Tannenbaum brennt, und alles, was du dir gewünscht hast, hängt dran.
Sieh nur einmal auf, kleiner Jakob!

Und nun kam auch der Pfarrer und legte die Hand ans seinen Kopf und
wünschte ihm guten Abend und Gottes Frieden, und alle Kinder des Pfarrers
kamen zu ihm gelaufen und riefen: Willkommen, Jakob! Fröhliches Weihnachts¬
fest! Und als er hinausschaute, stand der Tannenbaum in seiner ganzen strah¬
lenden Herrlichkeit vor ihm. Da schimmerten Lichter in allen Farben, und all
sein Sehnen und Träumen hatte Gestalt und Leben gewonnen und lächelte
und winkte ihm aus allen Zweigen. Kennst du mich nicht? nickten sie
ihm einer nach dem andern zu. Entsinnst du dich noch, wie du dich nach mir
gesehnt hast? Sieh, da bin ich -- nun gehöre ich dir! Dann sprangen sie
vom Baume herab und flogen ihm von selber in die Hände, und außerdem
Kuchen und Zuckerwerk, bunte Bilder, schmetternde Trompeten, glänzende
Säbel, knatterte Peitschen und funkelnagelneue schöne Kleider. Da stand er
nun, den ganzen Arm voller Weihnachtsgeschenke, und immer kamen noch mehr,
es wurde ihm fast zu viel zu tragen. Auch der Glanz wurde immer stärker,
sodaß es ihn fast blendete. Er mußte endlich die Augen schließen und blieb
in stiller Glückseligkeit stehen. So, nun bist du mit bei der Bescherung ge¬
wesen, sagte die Stimme der Pfarrerin. Nun gebe ich dir noch das Beste,
was ich habe, mein Junge! Und dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre
beiden Hände und küßte ihn auf den Mund.

Da durchrieselte es ihn, er öffnete seine Angen und sah auf, und da war
die Pfarrerin nicht mehr da, und auch der Pfarrer und alle Kinder waren
verschwunden. Er aber lag in der stillen Nacht, mitten auf dem offnen Felde
in dem kalten Schneebett. Ein Frostschauer schüttelte seine Glieder, aber es
währte nnr eine Sekunde, da schwebte ein Lichtmeer auf ihn herab, reich und
wunderbar, tausendmal Heller als der Glanz des Tannenbaums, und doch
blendete er ihn nicht, tausendmal wärmer als die Hitze des Sommertages,
und doch sengte es ihn nicht. Das ist die Klarheit des Himmels, die um mich
scheint! Jetzt kommen die Engel mit Jesus! Und plötzlich wurde es ganz
groß und feierlich um ihn her, und in dem hellen, klaren Licht kam die
Menge der himmlischen Heerscharen zu ihm herabgeflattert mit goldnen Locken
und schimmernd weißen Flügeln, Hand in Hand, Kopf an Kopf. Und sie
sangen: Ehre sei Gott in der Höhe! wie es der Lehrer gesagt hatte, und
durch die ganze Luft saug und klang es in süßen, seligen Tönen. Und dann
stieg über der Engelschar ein Antlitz aus, uur einen Augenblick, aber in dem
einen Augenblick flog ein Schimmer himmlischer Freude vou dem Antlitz in
die Seele des kleinen Jungen hinein. Ich habe sein Antlitz gesehen! klang es
in ihm, ohne daß er wußte, woher es kam.

Aber bald war alles wieder verschwunden, und Jakob schlief in der stille"


Wer das schönste Weihnachtsfest feierte

Damit nahm sie ihn in ihre Arme, er lehnte seinen Kopf an ihre Brust,
weinte all seinen Kummer ans und schloß seine Augen in stiller Glückseligkeit.

Lange ruhte er so. Dann stand er ans und nahm die Großmutter bei
der Hand, um mit ihr nach Hause zu gehen. Aber da war er ja schon zu
Hause! Sie standen zusammen in der ärmlichen Stube, und da wurde wieder
Licht angezündet, es blitzte und strahlte auf allen Seiten. Als er sich aber
umsah, war er wieder nicht zu Hanse. Die Großmutter war verschwunden,
und vor ihm stand die Pfnrrerin. Kommst du endlich, Jnkob? sagte sie und
streichelte ihm die Wange. Ich habe schon so lange ans dich gewartet! Der
Tannenbaum brennt, und alles, was du dir gewünscht hast, hängt dran.
Sieh nur einmal auf, kleiner Jakob!

Und nun kam auch der Pfarrer und legte die Hand ans seinen Kopf und
wünschte ihm guten Abend und Gottes Frieden, und alle Kinder des Pfarrers
kamen zu ihm gelaufen und riefen: Willkommen, Jakob! Fröhliches Weihnachts¬
fest! Und als er hinausschaute, stand der Tannenbaum in seiner ganzen strah¬
lenden Herrlichkeit vor ihm. Da schimmerten Lichter in allen Farben, und all
sein Sehnen und Träumen hatte Gestalt und Leben gewonnen und lächelte
und winkte ihm aus allen Zweigen. Kennst du mich nicht? nickten sie
ihm einer nach dem andern zu. Entsinnst du dich noch, wie du dich nach mir
gesehnt hast? Sieh, da bin ich — nun gehöre ich dir! Dann sprangen sie
vom Baume herab und flogen ihm von selber in die Hände, und außerdem
Kuchen und Zuckerwerk, bunte Bilder, schmetternde Trompeten, glänzende
Säbel, knatterte Peitschen und funkelnagelneue schöne Kleider. Da stand er
nun, den ganzen Arm voller Weihnachtsgeschenke, und immer kamen noch mehr,
es wurde ihm fast zu viel zu tragen. Auch der Glanz wurde immer stärker,
sodaß es ihn fast blendete. Er mußte endlich die Augen schließen und blieb
in stiller Glückseligkeit stehen. So, nun bist du mit bei der Bescherung ge¬
wesen, sagte die Stimme der Pfarrerin. Nun gebe ich dir noch das Beste,
was ich habe, mein Junge! Und dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre
beiden Hände und küßte ihn auf den Mund.

Da durchrieselte es ihn, er öffnete seine Angen und sah auf, und da war
die Pfarrerin nicht mehr da, und auch der Pfarrer und alle Kinder waren
verschwunden. Er aber lag in der stillen Nacht, mitten auf dem offnen Felde
in dem kalten Schneebett. Ein Frostschauer schüttelte seine Glieder, aber es
währte nnr eine Sekunde, da schwebte ein Lichtmeer auf ihn herab, reich und
wunderbar, tausendmal Heller als der Glanz des Tannenbaums, und doch
blendete er ihn nicht, tausendmal wärmer als die Hitze des Sommertages,
und doch sengte es ihn nicht. Das ist die Klarheit des Himmels, die um mich
scheint! Jetzt kommen die Engel mit Jesus! Und plötzlich wurde es ganz
groß und feierlich um ihn her, und in dem hellen, klaren Licht kam die
Menge der himmlischen Heerscharen zu ihm herabgeflattert mit goldnen Locken
und schimmernd weißen Flügeln, Hand in Hand, Kopf an Kopf. Und sie
sangen: Ehre sei Gott in der Höhe! wie es der Lehrer gesagt hatte, und
durch die ganze Luft saug und klang es in süßen, seligen Tönen. Und dann
stieg über der Engelschar ein Antlitz aus, uur einen Augenblick, aber in dem
einen Augenblick flog ein Schimmer himmlischer Freude vou dem Antlitz in
die Seele des kleinen Jungen hinein. Ich habe sein Antlitz gesehen! klang es
in ihm, ohne daß er wußte, woher es kam.

Aber bald war alles wieder verschwunden, und Jakob schlief in der stille»


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[0663] Wer das schönste Weihnachtsfest feierte Damit nahm sie ihn in ihre Arme, er lehnte seinen Kopf an ihre Brust, weinte all seinen Kummer ans und schloß seine Augen in stiller Glückseligkeit. Lange ruhte er so. Dann stand er ans und nahm die Großmutter bei der Hand, um mit ihr nach Hause zu gehen. Aber da war er ja schon zu Hause! Sie standen zusammen in der ärmlichen Stube, und da wurde wieder Licht angezündet, es blitzte und strahlte auf allen Seiten. Als er sich aber umsah, war er wieder nicht zu Hanse. Die Großmutter war verschwunden, und vor ihm stand die Pfnrrerin. Kommst du endlich, Jnkob? sagte sie und streichelte ihm die Wange. Ich habe schon so lange ans dich gewartet! Der Tannenbaum brennt, und alles, was du dir gewünscht hast, hängt dran. Sieh nur einmal auf, kleiner Jakob! Und nun kam auch der Pfarrer und legte die Hand ans seinen Kopf und wünschte ihm guten Abend und Gottes Frieden, und alle Kinder des Pfarrers kamen zu ihm gelaufen und riefen: Willkommen, Jakob! Fröhliches Weihnachts¬ fest! Und als er hinausschaute, stand der Tannenbaum in seiner ganzen strah¬ lenden Herrlichkeit vor ihm. Da schimmerten Lichter in allen Farben, und all sein Sehnen und Träumen hatte Gestalt und Leben gewonnen und lächelte und winkte ihm aus allen Zweigen. Kennst du mich nicht? nickten sie ihm einer nach dem andern zu. Entsinnst du dich noch, wie du dich nach mir gesehnt hast? Sieh, da bin ich — nun gehöre ich dir! Dann sprangen sie vom Baume herab und flogen ihm von selber in die Hände, und außerdem Kuchen und Zuckerwerk, bunte Bilder, schmetternde Trompeten, glänzende Säbel, knatterte Peitschen und funkelnagelneue schöne Kleider. Da stand er nun, den ganzen Arm voller Weihnachtsgeschenke, und immer kamen noch mehr, es wurde ihm fast zu viel zu tragen. Auch der Glanz wurde immer stärker, sodaß es ihn fast blendete. Er mußte endlich die Augen schließen und blieb in stiller Glückseligkeit stehen. So, nun bist du mit bei der Bescherung ge¬ wesen, sagte die Stimme der Pfarrerin. Nun gebe ich dir noch das Beste, was ich habe, mein Junge! Und dann nahm sie seinen Kopf zwischen ihre beiden Hände und küßte ihn auf den Mund. Da durchrieselte es ihn, er öffnete seine Angen und sah auf, und da war die Pfarrerin nicht mehr da, und auch der Pfarrer und alle Kinder waren verschwunden. Er aber lag in der stillen Nacht, mitten auf dem offnen Felde in dem kalten Schneebett. Ein Frostschauer schüttelte seine Glieder, aber es währte nnr eine Sekunde, da schwebte ein Lichtmeer auf ihn herab, reich und wunderbar, tausendmal Heller als der Glanz des Tannenbaums, und doch blendete er ihn nicht, tausendmal wärmer als die Hitze des Sommertages, und doch sengte es ihn nicht. Das ist die Klarheit des Himmels, die um mich scheint! Jetzt kommen die Engel mit Jesus! Und plötzlich wurde es ganz groß und feierlich um ihn her, und in dem hellen, klaren Licht kam die Menge der himmlischen Heerscharen zu ihm herabgeflattert mit goldnen Locken und schimmernd weißen Flügeln, Hand in Hand, Kopf an Kopf. Und sie sangen: Ehre sei Gott in der Höhe! wie es der Lehrer gesagt hatte, und durch die ganze Luft saug und klang es in süßen, seligen Tönen. Und dann stieg über der Engelschar ein Antlitz aus, uur einen Augenblick, aber in dem einen Augenblick flog ein Schimmer himmlischer Freude vou dem Antlitz in die Seele des kleinen Jungen hinein. Ich habe sein Antlitz gesehen! klang es in ihm, ohne daß er wußte, woher es kam. Aber bald war alles wieder verschwunden, und Jakob schlief in der stille»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/663>, abgerufen am 22.12.2024.