Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Glück und Glas wo alles darauf berechnet war, durch den Schein zu blenden und die Dämonen Die Handlung des Romans ist reicher, als es nach diesem kurzen Bericht Glück und Glas wo alles darauf berechnet war, durch den Schein zu blenden und die Dämonen Die Handlung des Romans ist reicher, als es nach diesem kurzen Bericht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0651" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213765"/> <fw type="header" place="top"> Glück und Glas</fw><lb/> <p xml:id="ID_2054" prev="#ID_2053"> wo alles darauf berechnet war, durch den Schein zu blenden und die Dämonen<lb/> durch wilde Beschwörungsformeln aus der Tiefe zu rufen; aber ein freudiger<lb/> Glaube, wie ihn Felix mitbrachte, ein Glaube, der sich beredt zu äußern<lb/> wußte und die Lücken des Wissens kühn übersprang — das imponirte"), er<lb/> kommt in der Einsamkeit des Gefängnisses noch einmal zu sich selbst und<lb/> zum Bruch mit der Umsturzpartei und kehrt endlich, ein Sterbender, der<lb/> weder Glück noch Stern gehabt hat, auf schwäbische Erde zurück, wo ihm die<lb/> Treue einiger Freunde ein leidliches Ende bereitet. Das Wort Martins<lb/> „Nur die Bildung hat Wert, die sich in Kraft umsetzt, die den eignen Cha¬<lb/> rakter sittlich stählt und gegen die Welt festigt, und die sich als That für<lb/> das Wohl der Menschheit wieder verausgaben läßt. Die rein ästhetische<lb/> Bildung und alle Bildung, welche dies Ziel nicht im Auge hat, wird immer<lb/> nur taube Blüten treiben," erscheint ihm als Endurteil über sein verfehltes<lb/> Leben. An seinem Grabe reklamirt ihn die sozialdemokratische Partei als<lb/> einen der ihrigen, und Martin Gugelhopf, der neue Professor am Roßthaler<lb/> Polytechnikum, erhebt energischen Protest dagegen. Lotte Krauß aber wird<lb/> ein Jahr nach Lubrechts Tode die Braut des Professors.</p><lb/> <p xml:id="ID_2055" next="#ID_2056"> Die Handlung des Romans ist reicher, als es nach diesem kurzen Bericht<lb/> scheinen wird. Der Verfasser hat eine Reihe von Episode« eingeflochten, unter<lb/> denen namentlich die Werbung des alternden Berliner Lebemanns Dr. Groch<lb/> um die schone Rosalie Autenrieth, die kaltherzig und bösartig wie eine Märchen¬<lb/> königin ist, und die Szenen im Hause der Kautorin zu Sauerbrunn, sowie<lb/> die im Pfarrhaus von Burgwangeu einen Hauch warmen, wirklichen Lebens<lb/> haben. Bertz hat im allgemeinen die Neigung, den Fluß und die Unmittel-<lb/> barkeit der Darstellung nicht sowohl durch Reflexion als durch einen nüch¬<lb/> ternen Referirton zu unterbrechen, und diese Neigung macht sich in der zweiten<lb/> Hälfte stärker als in der ersten geltend. Ist der Verfasser, wie man wohl<lb/> annehmen darf, noch jung, so wird seinen spätern Erzählungen die Vertiefung<lb/> und künstlerische Läuterung nicht fehlen. Einstweilen muß mau sich an der<lb/> Fülle frischer Beobachtung, gesunder Empfindung und sittlichen Ernstes, die<lb/> in dem Buche vorhanden sind, erfreuen. Auch einige Unwahrscheinlichkeiten<lb/> gehen drein, wo so viel Wahres und lebendig Ergreifendes vorhanden ist. Ein<lb/> paar Kritiker haben Bertz mit dem' jugendlichen Charles Dickens verglichen,<lb/> und wenn man dabei nicht an „Pickwick" und „Nicholas Nicklebh," sondern<lb/> etwa nur an die Skizzen aus dem Londoner Leben denkt, und damit vergleicht,<lb/> was der Verfasser von „Glück und Glas" in kleinen Episodensiguren, wie<lb/> Traubenwirts Friederle, wie der Putzer Nurich, in humoristischen Szenen wie<lb/> das Feuerwerk im Sauerbrunner Kurgarten, wie der erste Besuch Dr. Grochs<lb/> in der Villa Autenrieth, wie der Römerzug am Polterabend Grochs und Ro¬<lb/> salies und die betrunkne Trauung des alten Satyrs giebt, so wird man gern<lb/> einräumen, daß der Vergleich nicht so hinkt, wie mancher andre. Bei alledem.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0651]
Glück und Glas
wo alles darauf berechnet war, durch den Schein zu blenden und die Dämonen
durch wilde Beschwörungsformeln aus der Tiefe zu rufen; aber ein freudiger
Glaube, wie ihn Felix mitbrachte, ein Glaube, der sich beredt zu äußern
wußte und die Lücken des Wissens kühn übersprang — das imponirte"), er
kommt in der Einsamkeit des Gefängnisses noch einmal zu sich selbst und
zum Bruch mit der Umsturzpartei und kehrt endlich, ein Sterbender, der
weder Glück noch Stern gehabt hat, auf schwäbische Erde zurück, wo ihm die
Treue einiger Freunde ein leidliches Ende bereitet. Das Wort Martins
„Nur die Bildung hat Wert, die sich in Kraft umsetzt, die den eignen Cha¬
rakter sittlich stählt und gegen die Welt festigt, und die sich als That für
das Wohl der Menschheit wieder verausgaben läßt. Die rein ästhetische
Bildung und alle Bildung, welche dies Ziel nicht im Auge hat, wird immer
nur taube Blüten treiben," erscheint ihm als Endurteil über sein verfehltes
Leben. An seinem Grabe reklamirt ihn die sozialdemokratische Partei als
einen der ihrigen, und Martin Gugelhopf, der neue Professor am Roßthaler
Polytechnikum, erhebt energischen Protest dagegen. Lotte Krauß aber wird
ein Jahr nach Lubrechts Tode die Braut des Professors.
Die Handlung des Romans ist reicher, als es nach diesem kurzen Bericht
scheinen wird. Der Verfasser hat eine Reihe von Episode« eingeflochten, unter
denen namentlich die Werbung des alternden Berliner Lebemanns Dr. Groch
um die schone Rosalie Autenrieth, die kaltherzig und bösartig wie eine Märchen¬
königin ist, und die Szenen im Hause der Kautorin zu Sauerbrunn, sowie
die im Pfarrhaus von Burgwangeu einen Hauch warmen, wirklichen Lebens
haben. Bertz hat im allgemeinen die Neigung, den Fluß und die Unmittel-
barkeit der Darstellung nicht sowohl durch Reflexion als durch einen nüch¬
ternen Referirton zu unterbrechen, und diese Neigung macht sich in der zweiten
Hälfte stärker als in der ersten geltend. Ist der Verfasser, wie man wohl
annehmen darf, noch jung, so wird seinen spätern Erzählungen die Vertiefung
und künstlerische Läuterung nicht fehlen. Einstweilen muß mau sich an der
Fülle frischer Beobachtung, gesunder Empfindung und sittlichen Ernstes, die
in dem Buche vorhanden sind, erfreuen. Auch einige Unwahrscheinlichkeiten
gehen drein, wo so viel Wahres und lebendig Ergreifendes vorhanden ist. Ein
paar Kritiker haben Bertz mit dem' jugendlichen Charles Dickens verglichen,
und wenn man dabei nicht an „Pickwick" und „Nicholas Nicklebh," sondern
etwa nur an die Skizzen aus dem Londoner Leben denkt, und damit vergleicht,
was der Verfasser von „Glück und Glas" in kleinen Episodensiguren, wie
Traubenwirts Friederle, wie der Putzer Nurich, in humoristischen Szenen wie
das Feuerwerk im Sauerbrunner Kurgarten, wie der erste Besuch Dr. Grochs
in der Villa Autenrieth, wie der Römerzug am Polterabend Grochs und Ro¬
salies und die betrunkne Trauung des alten Satyrs giebt, so wird man gern
einräumen, daß der Vergleich nicht so hinkt, wie mancher andre. Bei alledem.
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