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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die alte Geschichte von der alten Geschichte

zurückweisen, sind wir Barbaren, sondern wenn wir vor der geschichtlichen
Entwicklung unsers eiguen Volks keine Achtung haben. Dabei haben wir ja
den Griechen und den Römer selbst zu Gesinnungsgenossen! Seiner Seele
würde es im höchsten Grade verächtlich erschienen sein, die Erkenntnis des
eignen Volkstums hinter die fremder Völker zu stellen, selbst wenn diese einen
Kultureiuflnß ans ihn gewonnen hätten, wie beispielsweise das Ägyptertum.
Ein treffendes Wort des größten deutschen Geschichtschreibers mag den pä¬
dagogischen Wert der Antike beleuchten, "Ich habe bemerkt -- schreibt Ranke,
der selbst Ghnmasiallehrer gewesen ist --, daß die stete Beschäftigung mit den
Alten zwar geeignet ist, bei guter Gesinnung zu erhalten, allein daß sie doch
den Blick beschränkt -- wie er denn thier ist ein berühmter Philologe gemeint)
in Hinsicht der Historie die gröbsten Vorurteile hegt - und etwas geneigt
zum Sophisina macht."

Das Nationalgeftthl, das durch die Geschichte am gesündesten und kräf¬
tigsten genährt wird, sollte im Geschichtsunterricht viel mehr Berücksichtigung
finden, als es bisher geschieht, liebevolle Erkenntnis der vaterländischen Ge¬
schichte würde das beste Gegenmittel gegen den in Deutschland mehr als an¬
derswo stark verbreiteten NiuMu8 vosmoxolitivuu sein. Kein Volk der Welt
widmet sich den Angelegenheiten des Auslandes mit solcher Vorliebe wie das
deutsche. Die entlegensten Völker und Kulturen haben für den Deutschen mehr
Interesse als alles Heimatliche, obwohl auch dies der Erforschung noch auf
unzähligen Gebieten bedarf. Die Reichshauptstadt bietet dafür ein schlagendes
Beispiel. Wenn man den Prachtbau des vom Staat errichteten Museums für
Völkerkunde, worin die Geräte der entlegensten Völker aufs liebevollste auf¬
bewahrt werden, mit dem durch private Bemühung errichteten, in ermieteten
jämmerlichen Räumen befindlichen Museum für deutsche Volkskunde vergleicht,
so wird man verstehen, was wir meinen. Das alte Erbübel der Deutschen,
das Eigne zu Gunsten eines Fremden gering zu achten, tritt hier deutlich hervor.
Ein Einblick in die Entwicklung des deutschen Bauernbursch ist ja lange nicht
so "wissenschaftlich interessant," wie der Bogen eines Fidschi-Insulaners oder
der Fetisch eines Aschanti!

Die in diesen Ausführungen hervvrgehobnen Mißstände im Geschichts¬
unterricht können in erster Linie nur durch den redlichen Willen der Lehrer
selbst beseitigt werden, unter denen es ja gottlob an Männern, die für die
wahren Aufgaben des Unterrichts Verständnis haben, nicht fehlt! Es wäre
aber doch zu erwägen, ob uicht da, wo die Lehrkräfte versagen, durch gewisse
Hilfsmittel im Unterricht Verständnis für Geist und Wesen der Geschichte bei
den Schülern geweckt und gefördert werden könnte. Wie wäre es mit einem
geschichtlichen Lesebuch, nicht nur für die untern, sondern auch für die obern
Klassen, worin das kulturgeschichtliche Element mehr als bisher betont würde?
Um ein solches Lesebuch herzustellen, bedarf es freilich eines vornehmen Geistes,


Die alte Geschichte von der alten Geschichte

zurückweisen, sind wir Barbaren, sondern wenn wir vor der geschichtlichen
Entwicklung unsers eiguen Volks keine Achtung haben. Dabei haben wir ja
den Griechen und den Römer selbst zu Gesinnungsgenossen! Seiner Seele
würde es im höchsten Grade verächtlich erschienen sein, die Erkenntnis des
eignen Volkstums hinter die fremder Völker zu stellen, selbst wenn diese einen
Kultureiuflnß ans ihn gewonnen hätten, wie beispielsweise das Ägyptertum.
Ein treffendes Wort des größten deutschen Geschichtschreibers mag den pä¬
dagogischen Wert der Antike beleuchten, „Ich habe bemerkt — schreibt Ranke,
der selbst Ghnmasiallehrer gewesen ist —, daß die stete Beschäftigung mit den
Alten zwar geeignet ist, bei guter Gesinnung zu erhalten, allein daß sie doch
den Blick beschränkt — wie er denn thier ist ein berühmter Philologe gemeint)
in Hinsicht der Historie die gröbsten Vorurteile hegt - und etwas geneigt
zum Sophisina macht."

Das Nationalgeftthl, das durch die Geschichte am gesündesten und kräf¬
tigsten genährt wird, sollte im Geschichtsunterricht viel mehr Berücksichtigung
finden, als es bisher geschieht, liebevolle Erkenntnis der vaterländischen Ge¬
schichte würde das beste Gegenmittel gegen den in Deutschland mehr als an¬
derswo stark verbreiteten NiuMu8 vosmoxolitivuu sein. Kein Volk der Welt
widmet sich den Angelegenheiten des Auslandes mit solcher Vorliebe wie das
deutsche. Die entlegensten Völker und Kulturen haben für den Deutschen mehr
Interesse als alles Heimatliche, obwohl auch dies der Erforschung noch auf
unzähligen Gebieten bedarf. Die Reichshauptstadt bietet dafür ein schlagendes
Beispiel. Wenn man den Prachtbau des vom Staat errichteten Museums für
Völkerkunde, worin die Geräte der entlegensten Völker aufs liebevollste auf¬
bewahrt werden, mit dem durch private Bemühung errichteten, in ermieteten
jämmerlichen Räumen befindlichen Museum für deutsche Volkskunde vergleicht,
so wird man verstehen, was wir meinen. Das alte Erbübel der Deutschen,
das Eigne zu Gunsten eines Fremden gering zu achten, tritt hier deutlich hervor.
Ein Einblick in die Entwicklung des deutschen Bauernbursch ist ja lange nicht
so „wissenschaftlich interessant," wie der Bogen eines Fidschi-Insulaners oder
der Fetisch eines Aschanti!

Die in diesen Ausführungen hervvrgehobnen Mißstände im Geschichts¬
unterricht können in erster Linie nur durch den redlichen Willen der Lehrer
selbst beseitigt werden, unter denen es ja gottlob an Männern, die für die
wahren Aufgaben des Unterrichts Verständnis haben, nicht fehlt! Es wäre
aber doch zu erwägen, ob uicht da, wo die Lehrkräfte versagen, durch gewisse
Hilfsmittel im Unterricht Verständnis für Geist und Wesen der Geschichte bei
den Schülern geweckt und gefördert werden könnte. Wie wäre es mit einem
geschichtlichen Lesebuch, nicht nur für die untern, sondern auch für die obern
Klassen, worin das kulturgeschichtliche Element mehr als bisher betont würde?
Um ein solches Lesebuch herzustellen, bedarf es freilich eines vornehmen Geistes,


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[0645] Die alte Geschichte von der alten Geschichte zurückweisen, sind wir Barbaren, sondern wenn wir vor der geschichtlichen Entwicklung unsers eiguen Volks keine Achtung haben. Dabei haben wir ja den Griechen und den Römer selbst zu Gesinnungsgenossen! Seiner Seele würde es im höchsten Grade verächtlich erschienen sein, die Erkenntnis des eignen Volkstums hinter die fremder Völker zu stellen, selbst wenn diese einen Kultureiuflnß ans ihn gewonnen hätten, wie beispielsweise das Ägyptertum. Ein treffendes Wort des größten deutschen Geschichtschreibers mag den pä¬ dagogischen Wert der Antike beleuchten, „Ich habe bemerkt — schreibt Ranke, der selbst Ghnmasiallehrer gewesen ist —, daß die stete Beschäftigung mit den Alten zwar geeignet ist, bei guter Gesinnung zu erhalten, allein daß sie doch den Blick beschränkt — wie er denn thier ist ein berühmter Philologe gemeint) in Hinsicht der Historie die gröbsten Vorurteile hegt - und etwas geneigt zum Sophisina macht." Das Nationalgeftthl, das durch die Geschichte am gesündesten und kräf¬ tigsten genährt wird, sollte im Geschichtsunterricht viel mehr Berücksichtigung finden, als es bisher geschieht, liebevolle Erkenntnis der vaterländischen Ge¬ schichte würde das beste Gegenmittel gegen den in Deutschland mehr als an¬ derswo stark verbreiteten NiuMu8 vosmoxolitivuu sein. Kein Volk der Welt widmet sich den Angelegenheiten des Auslandes mit solcher Vorliebe wie das deutsche. Die entlegensten Völker und Kulturen haben für den Deutschen mehr Interesse als alles Heimatliche, obwohl auch dies der Erforschung noch auf unzähligen Gebieten bedarf. Die Reichshauptstadt bietet dafür ein schlagendes Beispiel. Wenn man den Prachtbau des vom Staat errichteten Museums für Völkerkunde, worin die Geräte der entlegensten Völker aufs liebevollste auf¬ bewahrt werden, mit dem durch private Bemühung errichteten, in ermieteten jämmerlichen Räumen befindlichen Museum für deutsche Volkskunde vergleicht, so wird man verstehen, was wir meinen. Das alte Erbübel der Deutschen, das Eigne zu Gunsten eines Fremden gering zu achten, tritt hier deutlich hervor. Ein Einblick in die Entwicklung des deutschen Bauernbursch ist ja lange nicht so „wissenschaftlich interessant," wie der Bogen eines Fidschi-Insulaners oder der Fetisch eines Aschanti! Die in diesen Ausführungen hervvrgehobnen Mißstände im Geschichts¬ unterricht können in erster Linie nur durch den redlichen Willen der Lehrer selbst beseitigt werden, unter denen es ja gottlob an Männern, die für die wahren Aufgaben des Unterrichts Verständnis haben, nicht fehlt! Es wäre aber doch zu erwägen, ob uicht da, wo die Lehrkräfte versagen, durch gewisse Hilfsmittel im Unterricht Verständnis für Geist und Wesen der Geschichte bei den Schülern geweckt und gefördert werden könnte. Wie wäre es mit einem geschichtlichen Lesebuch, nicht nur für die untern, sondern auch für die obern Klassen, worin das kulturgeschichtliche Element mehr als bisher betont würde? Um ein solches Lesebuch herzustellen, bedarf es freilich eines vornehmen Geistes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/645>, abgerufen am 23.07.2024.