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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die christliche Mission in cichinci

Opferwilligkeit ihrer Sendboten berücksichtigt. In Peking giebt es außerdem
mich eine Mission der griechischen orthodoxen Kirche mit einigen Anhängern.

Der erste in China wirkende protestantische Missionar war Robert Mor¬
rison, der im Jahre 1807 von der Londoner Missionsgesellschaft abgesandt
wurde. Er hat sich dadurch sür immer einen Namen gemacht, daß er zuerst
die ganze Bibel ins Chinesische übersetzte und im Auftrage der ostindischen
Handelsgesellschaft das erste große chinesisch-englische Wörterbuch zusammen¬
stellte, bei den geringen ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln wahrlich keine
kleinen Arbeiten. Das eigentliche Missionswerk kam jedoch vor den vierziger
Jahren, wo dem Verkehr mit den Ausländern fünf Häfen geöffnet wurden,
nicht über geringe Anfänge hinaus. Seitdem ist aber die Zahl der Stationen
beträchtlich gewachsen; in Südchina giebt es auch einige deutsche. Im ganzen
wirken in China ungefähr 1300 ausländische protestantische Missionare und
Missionarinnen,") die 37000 einheimische Anhänger und Schüler haben. Mit
sehr vielen Stationen sind Hospitäler verbunden, worin die Kranken natürlich
unentgeltlich aufgenommen und gepflegt werden; sie haben sehr segensreich
gewirkt.

Die katholische Kirche hat aber jetzt, wenigstens was die bloße Zahl der
Bekehrten anlangt, ungleich größere Erfolge zu verzeichnen, als die protestan¬
tische. Teilweise liegt das einfach an der weit längern Wirkungsdauer ihrer
Missionen. Da aber, wie wir gesehen haben, gewaltige Rückschläge nicht aus¬
geblieben sind, so kann das nicht der alleinige Grund sein. Ein andrer liegt
tiefer. Es zeigt sich auch hier wieder, daß die katholische Religion, oder besser
gesagt der katholische Kultus, für barbarische oder halb zivilisirte Völker weit
größere Anziehungskraft hat, als die protestantische Lehre. Die römische Kirche
hat diesen Vorteil auch in China mit gewohnter Klugheit zu benutzen ver¬
standen. Sie geht im Gegensatz zu den meist ganz schroff auftretenden Pro¬
testanten in behutsamster Weise vor und schont die Gebräuche des Volkes so
viel wie möglich. Wir wollen ein bezeichnendes Beispiel anführen. Es ist
bekannt, wie viel die Chinesen auf den Ahnenkultus geben. In den Häusern
der Wohlhabenden giebt es eine eigne Halle und bei den Armem einen
Schrein, zur Aufbewahrung der Tafeln mit den Namen der verstorbnen Vor¬
fahren. Vor diesen Tafeln werden täglich Weihrauch und geweihtes Papier
verbrannt, während zu den Geistern der Verstorbneu gebetet wird. Ferner
findet im April das Fest der Grnberreinigung statt: dann ziehen, ähnlich wie
in katholischen Ländern am Allerseelentage, die Chinesen, gekleidet in weiße



*) Darunter sind 316 unverheiratete Missionarinnen. Wird eine Anzahl von ihnen
einer Station im Innern zugeführt, so können sie einen männlichen Begleiter nicht entbehren,
und dazu wird oft ein unverehelichter gewählt. Die Chinesen halten dies sür höchst unschick-
lich, aver die zuständige Mission, die Ltiinu, Jul-mal Aission, kehrt sich nicht daran, was schon
viel Anstoß erregt hat.
Die christliche Mission in cichinci

Opferwilligkeit ihrer Sendboten berücksichtigt. In Peking giebt es außerdem
mich eine Mission der griechischen orthodoxen Kirche mit einigen Anhängern.

Der erste in China wirkende protestantische Missionar war Robert Mor¬
rison, der im Jahre 1807 von der Londoner Missionsgesellschaft abgesandt
wurde. Er hat sich dadurch sür immer einen Namen gemacht, daß er zuerst
die ganze Bibel ins Chinesische übersetzte und im Auftrage der ostindischen
Handelsgesellschaft das erste große chinesisch-englische Wörterbuch zusammen¬
stellte, bei den geringen ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln wahrlich keine
kleinen Arbeiten. Das eigentliche Missionswerk kam jedoch vor den vierziger
Jahren, wo dem Verkehr mit den Ausländern fünf Häfen geöffnet wurden,
nicht über geringe Anfänge hinaus. Seitdem ist aber die Zahl der Stationen
beträchtlich gewachsen; in Südchina giebt es auch einige deutsche. Im ganzen
wirken in China ungefähr 1300 ausländische protestantische Missionare und
Missionarinnen,") die 37000 einheimische Anhänger und Schüler haben. Mit
sehr vielen Stationen sind Hospitäler verbunden, worin die Kranken natürlich
unentgeltlich aufgenommen und gepflegt werden; sie haben sehr segensreich
gewirkt.

Die katholische Kirche hat aber jetzt, wenigstens was die bloße Zahl der
Bekehrten anlangt, ungleich größere Erfolge zu verzeichnen, als die protestan¬
tische. Teilweise liegt das einfach an der weit längern Wirkungsdauer ihrer
Missionen. Da aber, wie wir gesehen haben, gewaltige Rückschläge nicht aus¬
geblieben sind, so kann das nicht der alleinige Grund sein. Ein andrer liegt
tiefer. Es zeigt sich auch hier wieder, daß die katholische Religion, oder besser
gesagt der katholische Kultus, für barbarische oder halb zivilisirte Völker weit
größere Anziehungskraft hat, als die protestantische Lehre. Die römische Kirche
hat diesen Vorteil auch in China mit gewohnter Klugheit zu benutzen ver¬
standen. Sie geht im Gegensatz zu den meist ganz schroff auftretenden Pro¬
testanten in behutsamster Weise vor und schont die Gebräuche des Volkes so
viel wie möglich. Wir wollen ein bezeichnendes Beispiel anführen. Es ist
bekannt, wie viel die Chinesen auf den Ahnenkultus geben. In den Häusern
der Wohlhabenden giebt es eine eigne Halle und bei den Armem einen
Schrein, zur Aufbewahrung der Tafeln mit den Namen der verstorbnen Vor¬
fahren. Vor diesen Tafeln werden täglich Weihrauch und geweihtes Papier
verbrannt, während zu den Geistern der Verstorbneu gebetet wird. Ferner
findet im April das Fest der Grnberreinigung statt: dann ziehen, ähnlich wie
in katholischen Ländern am Allerseelentage, die Chinesen, gekleidet in weiße



*) Darunter sind 316 unverheiratete Missionarinnen. Wird eine Anzahl von ihnen
einer Station im Innern zugeführt, so können sie einen männlichen Begleiter nicht entbehren,
und dazu wird oft ein unverehelichter gewählt. Die Chinesen halten dies sür höchst unschick-
lich, aver die zuständige Mission, die Ltiinu, Jul-mal Aission, kehrt sich nicht daran, was schon
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[0575] Die christliche Mission in cichinci Opferwilligkeit ihrer Sendboten berücksichtigt. In Peking giebt es außerdem mich eine Mission der griechischen orthodoxen Kirche mit einigen Anhängern. Der erste in China wirkende protestantische Missionar war Robert Mor¬ rison, der im Jahre 1807 von der Londoner Missionsgesellschaft abgesandt wurde. Er hat sich dadurch sür immer einen Namen gemacht, daß er zuerst die ganze Bibel ins Chinesische übersetzte und im Auftrage der ostindischen Handelsgesellschaft das erste große chinesisch-englische Wörterbuch zusammen¬ stellte, bei den geringen ihm zu Gebote stehenden Hilfsmitteln wahrlich keine kleinen Arbeiten. Das eigentliche Missionswerk kam jedoch vor den vierziger Jahren, wo dem Verkehr mit den Ausländern fünf Häfen geöffnet wurden, nicht über geringe Anfänge hinaus. Seitdem ist aber die Zahl der Stationen beträchtlich gewachsen; in Südchina giebt es auch einige deutsche. Im ganzen wirken in China ungefähr 1300 ausländische protestantische Missionare und Missionarinnen,") die 37000 einheimische Anhänger und Schüler haben. Mit sehr vielen Stationen sind Hospitäler verbunden, worin die Kranken natürlich unentgeltlich aufgenommen und gepflegt werden; sie haben sehr segensreich gewirkt. Die katholische Kirche hat aber jetzt, wenigstens was die bloße Zahl der Bekehrten anlangt, ungleich größere Erfolge zu verzeichnen, als die protestan¬ tische. Teilweise liegt das einfach an der weit längern Wirkungsdauer ihrer Missionen. Da aber, wie wir gesehen haben, gewaltige Rückschläge nicht aus¬ geblieben sind, so kann das nicht der alleinige Grund sein. Ein andrer liegt tiefer. Es zeigt sich auch hier wieder, daß die katholische Religion, oder besser gesagt der katholische Kultus, für barbarische oder halb zivilisirte Völker weit größere Anziehungskraft hat, als die protestantische Lehre. Die römische Kirche hat diesen Vorteil auch in China mit gewohnter Klugheit zu benutzen ver¬ standen. Sie geht im Gegensatz zu den meist ganz schroff auftretenden Pro¬ testanten in behutsamster Weise vor und schont die Gebräuche des Volkes so viel wie möglich. Wir wollen ein bezeichnendes Beispiel anführen. Es ist bekannt, wie viel die Chinesen auf den Ahnenkultus geben. In den Häusern der Wohlhabenden giebt es eine eigne Halle und bei den Armem einen Schrein, zur Aufbewahrung der Tafeln mit den Namen der verstorbnen Vor¬ fahren. Vor diesen Tafeln werden täglich Weihrauch und geweihtes Papier verbrannt, während zu den Geistern der Verstorbneu gebetet wird. Ferner findet im April das Fest der Grnberreinigung statt: dann ziehen, ähnlich wie in katholischen Ländern am Allerseelentage, die Chinesen, gekleidet in weiße *) Darunter sind 316 unverheiratete Missionarinnen. Wird eine Anzahl von ihnen einer Station im Innern zugeführt, so können sie einen männlichen Begleiter nicht entbehren, und dazu wird oft ein unverehelichter gewählt. Die Chinesen halten dies sür höchst unschick- lich, aver die zuständige Mission, die Ltiinu, Jul-mal Aission, kehrt sich nicht daran, was schon viel Anstoß erregt hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/575>, abgerufen am 22.12.2024.