Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Ans geschlossener Gesellschaft Monaten Gefängnis abzubüßen hatte. Ich erinnerte mich der Gerichtsverhand¬ Der Redakteur eines kleinen Provinzialblattes mußte, weil er eine Straf¬ Hier sollte der Verein "Berliner Presse" einsetzen; er sollte darauf hin¬ Grenzboten IV 1892 68
Ans geschlossener Gesellschaft Monaten Gefängnis abzubüßen hatte. Ich erinnerte mich der Gerichtsverhand¬ Der Redakteur eines kleinen Provinzialblattes mußte, weil er eine Straf¬ Hier sollte der Verein „Berliner Presse" einsetzen; er sollte darauf hin¬ Grenzboten IV 1892 68
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213659"/> <fw type="header" place="top"> Ans geschlossener Gesellschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_1672" prev="#ID_1671"> Monaten Gefängnis abzubüßen hatte. Ich erinnerte mich der Gerichtsverhand¬<lb/> lung. Der Schuft hatte eine Anzahl kleiner Leute, meist Handwerker, um<lb/> ihre sauer ersparten Groschen gebracht. Sollte mans glauben, daß der Mann<lb/> im Gefängnis den großen Herrn spielte? Er ging in — seidnen Strümpfen,<lb/> rauchte Henry Clay, und zu seinem vollen Wohlbehagen fehlte ihm nur noch<lb/> die Möglichkeit, im Gefängnis ein kleines Bankgeschäft feiner Spezies zu er¬<lb/> öffnen. Mein Kalefakter dagegen, ein vergrämter Krüppel, war zu zwei Mo¬<lb/> naten Gefängnis verurteilt, weil er, als seine Mutter krank darniederlag, in<lb/> aller Frühe in mehrere Häuser geschlichen war und dort ein halbes Dutzend<lb/> Brotbeutel nebst Inhalt von den Thüre» entwendet hatte. Der arme Kerl<lb/> war im Gefängnis von früh sechseinhalb Uhr bis abends sieben Uhr auf den<lb/> Beinen, hatte im Verhältnis zu seinen Körperkräften schwere Arbeit zu ver¬<lb/> richten und — blickte mit einer gewissen Ehrfurcht in die Zelle jenes Ha¬<lb/> lunken, der die Stirn hatte, an den Früchten seiner Spitzbübereien noch im<lb/> Gefängnis zu zehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1673"> Der Redakteur eines kleinen Provinzialblattes mußte, weil er eine Straf¬<lb/> fällige Äußerung einer Berliner Zeitung nachgedruckt hatte, drei Monate lang<lb/> künstliche Blumenblätter mit präparirten Drnhtstengeln versehn, eine ekelhafte,<lb/> schmutzige Arbeit, bei der man drei Finger der linken Hand alle Augenblicke<lb/> tief in einen dicken stinkenden Kleister zu tauchen hat. Und weshalb das?<lb/> Der Kollege hatte „Parteigenossen" und einen Verleger, die es nicht für nötig<lb/> hielten, ihm mit etwa vierzig Mark monatlich das Recht der Selbstbeschäftignng<lb/> zu verschaffen. Die paar Pfennige, die er in zwei Jahren von seineu hundert-<lb/> fünfzig Mark monatlichen Gehalt erspart (!) hatte, reichten kaum aus, die<lb/> Kosten der bevorstehenden Entbindung seiner Frau zu bestreiten. Er durfte<lb/> also diesen Betrag nicht angreifen, und so klebte er Blumenstengel — in iim-<lb/> jorvnr UbörMtgUs Alormin. Solche Fülle zählen nicht zu den Ausnahmen.<lb/> Die Redakteure der Lokalpresse in der Provinz sind solchen Möglichkeiten viel¬<lb/> fach schutzlos ausgesetzt. Die Verleger sind entweder nicht in der Lage, die<lb/> Einzahlungen zu leisten, ja oft nicht einmal imstande, ihren Redakteuren wäh¬<lb/> rend der Haftzeit den vollen Gehalt zu zahlen, oder sie fühlen sich nicht ver¬<lb/> pflichtet, der publizistischen Usance, dem Anstünde, der Humanität ein Opfer<lb/> zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1674" next="#ID_1675"> Hier sollte der Verein „Berliner Presse" einsetzen; er sollte darauf hin¬<lb/> wirken, daß den wegen politischer Preßvergehen verurteilten die Vergünstigung<lb/> der Selbstbeschästigung ohne vorherige Einzahlung gewährt würde. Der Be¬<lb/> trag konnte ja — wenn der Fiskus den Ausfall nicht verträgt — drei Monate<lb/> nach Abbüßung der Strafe, nötigenfalls in Raten erhoben werden. Mit der<lb/> Selbstbeköstigung wäre so gut wie nichts erreicht, weil nichts für die Bedürf¬<lb/> tigen erreicht wäre. Wein nicht gerade Gänseleberpasteten an der Wiege ge¬<lb/> sungen worden sind, und wer noch nicht völlig erschlafft ist in dem sybari-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1892 68</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0545]
Ans geschlossener Gesellschaft
Monaten Gefängnis abzubüßen hatte. Ich erinnerte mich der Gerichtsverhand¬
lung. Der Schuft hatte eine Anzahl kleiner Leute, meist Handwerker, um
ihre sauer ersparten Groschen gebracht. Sollte mans glauben, daß der Mann
im Gefängnis den großen Herrn spielte? Er ging in — seidnen Strümpfen,
rauchte Henry Clay, und zu seinem vollen Wohlbehagen fehlte ihm nur noch
die Möglichkeit, im Gefängnis ein kleines Bankgeschäft feiner Spezies zu er¬
öffnen. Mein Kalefakter dagegen, ein vergrämter Krüppel, war zu zwei Mo¬
naten Gefängnis verurteilt, weil er, als seine Mutter krank darniederlag, in
aller Frühe in mehrere Häuser geschlichen war und dort ein halbes Dutzend
Brotbeutel nebst Inhalt von den Thüre» entwendet hatte. Der arme Kerl
war im Gefängnis von früh sechseinhalb Uhr bis abends sieben Uhr auf den
Beinen, hatte im Verhältnis zu seinen Körperkräften schwere Arbeit zu ver¬
richten und — blickte mit einer gewissen Ehrfurcht in die Zelle jenes Ha¬
lunken, der die Stirn hatte, an den Früchten seiner Spitzbübereien noch im
Gefängnis zu zehren.
Der Redakteur eines kleinen Provinzialblattes mußte, weil er eine Straf¬
fällige Äußerung einer Berliner Zeitung nachgedruckt hatte, drei Monate lang
künstliche Blumenblätter mit präparirten Drnhtstengeln versehn, eine ekelhafte,
schmutzige Arbeit, bei der man drei Finger der linken Hand alle Augenblicke
tief in einen dicken stinkenden Kleister zu tauchen hat. Und weshalb das?
Der Kollege hatte „Parteigenossen" und einen Verleger, die es nicht für nötig
hielten, ihm mit etwa vierzig Mark monatlich das Recht der Selbstbeschäftignng
zu verschaffen. Die paar Pfennige, die er in zwei Jahren von seineu hundert-
fünfzig Mark monatlichen Gehalt erspart (!) hatte, reichten kaum aus, die
Kosten der bevorstehenden Entbindung seiner Frau zu bestreiten. Er durfte
also diesen Betrag nicht angreifen, und so klebte er Blumenstengel — in iim-
jorvnr UbörMtgUs Alormin. Solche Fülle zählen nicht zu den Ausnahmen.
Die Redakteure der Lokalpresse in der Provinz sind solchen Möglichkeiten viel¬
fach schutzlos ausgesetzt. Die Verleger sind entweder nicht in der Lage, die
Einzahlungen zu leisten, ja oft nicht einmal imstande, ihren Redakteuren wäh¬
rend der Haftzeit den vollen Gehalt zu zahlen, oder sie fühlen sich nicht ver¬
pflichtet, der publizistischen Usance, dem Anstünde, der Humanität ein Opfer
zu bringen.
Hier sollte der Verein „Berliner Presse" einsetzen; er sollte darauf hin¬
wirken, daß den wegen politischer Preßvergehen verurteilten die Vergünstigung
der Selbstbeschästigung ohne vorherige Einzahlung gewährt würde. Der Be¬
trag konnte ja — wenn der Fiskus den Ausfall nicht verträgt — drei Monate
nach Abbüßung der Strafe, nötigenfalls in Raten erhoben werden. Mit der
Selbstbeköstigung wäre so gut wie nichts erreicht, weil nichts für die Bedürf¬
tigen erreicht wäre. Wein nicht gerade Gänseleberpasteten an der Wiege ge¬
sungen worden sind, und wer noch nicht völlig erschlafft ist in dem sybari-
Grenzboten IV 1892 68
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |