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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Aus geschlossener Gesellschaft

bildung an eine Materie hiuantreten, deren Erörterung, wie kaum eine andre,
eine vollkommen abgeschlossene Sach- und Ortskenntnis erfordert. Wenn zu
dieser Kommission uicht mindestens ein gründlich bestraftes oder vielmehr vor¬
bestraftes Subjekt zählt, so dürfte das Ergebnis der Veratungeu ebenso un-
praktisch ausfallen wie der Antrag selbst.

Ich muß das wissen. Drei Jahre hinter einander hat der wunderschöne
Monat Mai durch ein vergittertes Fensterlein in eine enge Zelle gelugt nud
wehmütig einen unglaublich thörichten Menschen belächelt, der seine subalternen
Begriffe vom Staatsrecht gegen den souveränen preußischen Rechtsstaat aus¬
zuspielen sich immer und immer wieder erkühnte. Prompter ist niemals die
Wirkung der Ursache gefolgt, als die behördlich verordnete Sommerfrische meiner
wilden Frühjahrsanwai^dluug. Im März schreibe ich meinen üblichen "iu-
triminirten Artikel," im April ist die Hauptverhandlung, und Anfang Mai
werde ich eingesperrt. Wenn der liebe Gott mir und der königlichen Staats¬
anwaltschaft Leben und Gesundheit schenkt, ists im nächsten Jahre wieder so.

Ich verfolge damit einen besondern gemeinnützigen rechtsphilosvphischen
Zweck. Es kommt mir darauf an, festzustellen, wieviel Monate oder Jahre
Gefängnis dazu gehören, in einem wegen politischen Preßvergehens bestraften
Individuum das peinliche Empfinden einer erlittnen ehrenrühriger Strafe wach¬
zurufen, die doch im allgemeinen mit dem Begriffe "Gefängnis" verbunden ist.
Für die Summe meiner Gefängnisstrafen hätte ich mir schon eiuen ganz
hübschen kleinen Raubanfall mit mildernden Umständen leisten können. Nun
sollte man doch meinen, daß jeder anständige Mensch einen solchen Kerl gar
nicht mehr ansahe, ihm möglichst aus dem Wege ginge, also jenen gesellschaft¬
liche" Boykott über ihn verhängte, womit unser Kulturvolk die gerichtliche
Sühne durch eine Art lebenslänglicher Bestrafung ergänzt. Aber nichts von
alledem. Ich verkehre in den sogenannten bessern Kreisen, der Herausgeber
der Grenzboten druckt Artikel von mir ab, und neulich ist sogar ein Premier-
leutnnnt mit mir über die Straße gegangen, ohne daß ihm hieraus besondre
Unannehmlichkeiten erwachsen wären. Ja ich muß sagen, daß ich dem Ver¬
luste meiner staatsbürgerlichen Jungfräulichkeit zum Teil "rein Ansehen in der
Gesellschaft verdaute. Früher hat sich kein Mensch um mich gekümmert, da
war ich eben nur der "Doktor" X vou der U-Zeitung, heute bin ich ein höchst
interessanter Mann. Mit einem scheuen und doch bewundernden Blick blicken
die Mütter zu mir auf, und wenn ich den Rücken wende, höre ichs hinter mir
flüstern: Denken Sie sich nur, Frau Mttlleru, er hat gesessen -- ist das nicht
entzückend? Die jungen Mädchen fragen mir meine Gefängniserlebnisse ab, wie
einem Afrikareisenden die Erfolge seiner Kulturbestrebungeu bei den Wcchehe.
Oft tritt auch ein biedrer Philister an mich Hera", offenbart mir eine Welt
voll Mitgefühl durch einen stummen, aber vielsagenden Blick in die Gläser
meines Kneifers und drückt mir die Hand so fest, als wenn er sagen wollte-


Aus geschlossener Gesellschaft

bildung an eine Materie hiuantreten, deren Erörterung, wie kaum eine andre,
eine vollkommen abgeschlossene Sach- und Ortskenntnis erfordert. Wenn zu
dieser Kommission uicht mindestens ein gründlich bestraftes oder vielmehr vor¬
bestraftes Subjekt zählt, so dürfte das Ergebnis der Veratungeu ebenso un-
praktisch ausfallen wie der Antrag selbst.

Ich muß das wissen. Drei Jahre hinter einander hat der wunderschöne
Monat Mai durch ein vergittertes Fensterlein in eine enge Zelle gelugt nud
wehmütig einen unglaublich thörichten Menschen belächelt, der seine subalternen
Begriffe vom Staatsrecht gegen den souveränen preußischen Rechtsstaat aus¬
zuspielen sich immer und immer wieder erkühnte. Prompter ist niemals die
Wirkung der Ursache gefolgt, als die behördlich verordnete Sommerfrische meiner
wilden Frühjahrsanwai^dluug. Im März schreibe ich meinen üblichen „iu-
triminirten Artikel," im April ist die Hauptverhandlung, und Anfang Mai
werde ich eingesperrt. Wenn der liebe Gott mir und der königlichen Staats¬
anwaltschaft Leben und Gesundheit schenkt, ists im nächsten Jahre wieder so.

Ich verfolge damit einen besondern gemeinnützigen rechtsphilosvphischen
Zweck. Es kommt mir darauf an, festzustellen, wieviel Monate oder Jahre
Gefängnis dazu gehören, in einem wegen politischen Preßvergehens bestraften
Individuum das peinliche Empfinden einer erlittnen ehrenrühriger Strafe wach¬
zurufen, die doch im allgemeinen mit dem Begriffe „Gefängnis" verbunden ist.
Für die Summe meiner Gefängnisstrafen hätte ich mir schon eiuen ganz
hübschen kleinen Raubanfall mit mildernden Umständen leisten können. Nun
sollte man doch meinen, daß jeder anständige Mensch einen solchen Kerl gar
nicht mehr ansahe, ihm möglichst aus dem Wege ginge, also jenen gesellschaft¬
liche» Boykott über ihn verhängte, womit unser Kulturvolk die gerichtliche
Sühne durch eine Art lebenslänglicher Bestrafung ergänzt. Aber nichts von
alledem. Ich verkehre in den sogenannten bessern Kreisen, der Herausgeber
der Grenzboten druckt Artikel von mir ab, und neulich ist sogar ein Premier-
leutnnnt mit mir über die Straße gegangen, ohne daß ihm hieraus besondre
Unannehmlichkeiten erwachsen wären. Ja ich muß sagen, daß ich dem Ver¬
luste meiner staatsbürgerlichen Jungfräulichkeit zum Teil »rein Ansehen in der
Gesellschaft verdaute. Früher hat sich kein Mensch um mich gekümmert, da
war ich eben nur der „Doktor" X vou der U-Zeitung, heute bin ich ein höchst
interessanter Mann. Mit einem scheuen und doch bewundernden Blick blicken
die Mütter zu mir auf, und wenn ich den Rücken wende, höre ichs hinter mir
flüstern: Denken Sie sich nur, Frau Mttlleru, er hat gesessen — ist das nicht
entzückend? Die jungen Mädchen fragen mir meine Gefängniserlebnisse ab, wie
einem Afrikareisenden die Erfolge seiner Kulturbestrebungeu bei den Wcchehe.
Oft tritt auch ein biedrer Philister an mich Hera», offenbart mir eine Welt
voll Mitgefühl durch einen stummen, aber vielsagenden Blick in die Gläser
meines Kneifers und drückt mir die Hand so fest, als wenn er sagen wollte-


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[0541] Aus geschlossener Gesellschaft bildung an eine Materie hiuantreten, deren Erörterung, wie kaum eine andre, eine vollkommen abgeschlossene Sach- und Ortskenntnis erfordert. Wenn zu dieser Kommission uicht mindestens ein gründlich bestraftes oder vielmehr vor¬ bestraftes Subjekt zählt, so dürfte das Ergebnis der Veratungeu ebenso un- praktisch ausfallen wie der Antrag selbst. Ich muß das wissen. Drei Jahre hinter einander hat der wunderschöne Monat Mai durch ein vergittertes Fensterlein in eine enge Zelle gelugt nud wehmütig einen unglaublich thörichten Menschen belächelt, der seine subalternen Begriffe vom Staatsrecht gegen den souveränen preußischen Rechtsstaat aus¬ zuspielen sich immer und immer wieder erkühnte. Prompter ist niemals die Wirkung der Ursache gefolgt, als die behördlich verordnete Sommerfrische meiner wilden Frühjahrsanwai^dluug. Im März schreibe ich meinen üblichen „iu- triminirten Artikel," im April ist die Hauptverhandlung, und Anfang Mai werde ich eingesperrt. Wenn der liebe Gott mir und der königlichen Staats¬ anwaltschaft Leben und Gesundheit schenkt, ists im nächsten Jahre wieder so. Ich verfolge damit einen besondern gemeinnützigen rechtsphilosvphischen Zweck. Es kommt mir darauf an, festzustellen, wieviel Monate oder Jahre Gefängnis dazu gehören, in einem wegen politischen Preßvergehens bestraften Individuum das peinliche Empfinden einer erlittnen ehrenrühriger Strafe wach¬ zurufen, die doch im allgemeinen mit dem Begriffe „Gefängnis" verbunden ist. Für die Summe meiner Gefängnisstrafen hätte ich mir schon eiuen ganz hübschen kleinen Raubanfall mit mildernden Umständen leisten können. Nun sollte man doch meinen, daß jeder anständige Mensch einen solchen Kerl gar nicht mehr ansahe, ihm möglichst aus dem Wege ginge, also jenen gesellschaft¬ liche» Boykott über ihn verhängte, womit unser Kulturvolk die gerichtliche Sühne durch eine Art lebenslänglicher Bestrafung ergänzt. Aber nichts von alledem. Ich verkehre in den sogenannten bessern Kreisen, der Herausgeber der Grenzboten druckt Artikel von mir ab, und neulich ist sogar ein Premier- leutnnnt mit mir über die Straße gegangen, ohne daß ihm hieraus besondre Unannehmlichkeiten erwachsen wären. Ja ich muß sagen, daß ich dem Ver¬ luste meiner staatsbürgerlichen Jungfräulichkeit zum Teil »rein Ansehen in der Gesellschaft verdaute. Früher hat sich kein Mensch um mich gekümmert, da war ich eben nur der „Doktor" X vou der U-Zeitung, heute bin ich ein höchst interessanter Mann. Mit einem scheuen und doch bewundernden Blick blicken die Mütter zu mir auf, und wenn ich den Rücken wende, höre ichs hinter mir flüstern: Denken Sie sich nur, Frau Mttlleru, er hat gesessen — ist das nicht entzückend? Die jungen Mädchen fragen mir meine Gefängniserlebnisse ab, wie einem Afrikareisenden die Erfolge seiner Kulturbestrebungeu bei den Wcchehe. Oft tritt auch ein biedrer Philister an mich Hera», offenbart mir eine Welt voll Mitgefühl durch einen stummen, aber vielsagenden Blick in die Gläser meines Kneifers und drückt mir die Hand so fest, als wenn er sagen wollte-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/541>, abgerufen am 23.07.2024.