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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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weder Uomnuuiismus noch Kapitalismus

auch die heutige Schichtung und Gliederung nicht für die Ewigkeit feststehen
könne, sondern einer neuen Umbildung entgegeuwachse, von der sie sich ja viel¬
leicht eine falsche Vorstellung machen. Jedenfalls stehen die genannten So¬
zialisten über Wolf, und Wolfs Werk bedeutet einen Rückschritt gegen das
"Kapital" von Marx, da er die Gesamtheit der sozialen Fragen auf die
dürftige Frage der Gewinnverteilung zurückführt, deren Lösung noch dazu von
jener unberücksichtigt gelassenen Gliederung der Gesellschaft abhängt.

Rogers legt zunächst von seinen Quellen Rechenschaft ab. Über die Zu¬
stände am Ende des elften Jahrhunderts giebt das Dowssä^ Look Aufschluß.
Diese berühmte Landbeschreibuug des Königreichs, in der nur die vier nörd¬
lichen Grafschaften und ein Teil von Lancashire sehlen, enthält ein Verzeichnis
der Grundbesitzer und Pächter, giebt die Veränderungen an, die die Eroberung
Englands durch die Normannen zur Folge hatte, und beschreibt die wirtschaft¬
liche Lage Englands "unter der Regierung Wilhelms" ftvch jedenfalls des
Eroberers^. Für die folgenden zwei Jahrhunderte sind wenig Urkunden vor¬
handen. Von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an aber werden sie so
häufig, daß sich aus ihnen ein anschauliches Bild von den wirtschaftlichen Zu¬
ständen des Landes gewinnen läßt. Die Wirtschaftsbücher und Gasrechnungen
der Herrenhäuser (miZ.um-8) sind die wichtigsten dieser Urkunden. Die ihnen
entnommenen Einzelheiten können wir hier natürlich uicht ausführlich wieder¬
geben, denn dazu müßten wir ein Viertel des ganzen Werkes übersetzen; wir
beschränken uns auf die Hauptergebnisse.

Der Grundherr -- der König, ein Ritter, ein Kloster, ein College
bewirtschaftete einen Teil des Gutes selbst oder ließ ihn durch einen Ver¬
walter bewirtschaften, das übrige war an Pächter und Hörige (8ort8) ausgeteilt.
Der Hörige hatte, falls er nicht zum Hofgcbäude gehörte, sein Häuschen und
mindestens zwölf Acres Ackerland (ein Acre enthält 40,467 Are oder drei¬
fünftel preußische Morgen) und das Recht, die Gemeindeweide mit zu benutzen.
Die den Pächtern und Hörigen obliegenden Frohnarbeiten waren so bemessen,
daß ihnen hinlänglich Zeit übrig blieb zur Bestellung ihrer eignen Äcker.
So hatten z. B. die Leibeignen von Cnxham Manor, das dem Mertou Col¬
lege in Oxford gehörte, jeder einen halben Acre des Herrenlandes zu bestellen
und in der Ernte mit einem von ihm bezahlten Manne drei Tage zu helfen,
außerdem an jedem Tage, ausgenommen um Sonntagen, zur Stelle zu sein,
wenn ihn der Amtmann holen ließ. An Naturalien hatte er ein bestimmtes
Maß Getreide, am 12. November drei Hennen, zu Weihnachten einen Hahn,
zwei Hennen und für zwei Penny Brot abzuliefern; an Geldzinsen einen halben
Perus am 12. November und einen Penny, so oft er braute. Jeder Hörige
braute sich also sein Bier selbst.

Die Ablösung der Frvhnden durch Geldzinsen lag im beiderseitigen Inter¬
esse und wurde mit der Zeit immer häufiger. Frohnarbeit wird immer im-


weder Uomnuuiismus noch Kapitalismus

auch die heutige Schichtung und Gliederung nicht für die Ewigkeit feststehen
könne, sondern einer neuen Umbildung entgegeuwachse, von der sie sich ja viel¬
leicht eine falsche Vorstellung machen. Jedenfalls stehen die genannten So¬
zialisten über Wolf, und Wolfs Werk bedeutet einen Rückschritt gegen das
„Kapital" von Marx, da er die Gesamtheit der sozialen Fragen auf die
dürftige Frage der Gewinnverteilung zurückführt, deren Lösung noch dazu von
jener unberücksichtigt gelassenen Gliederung der Gesellschaft abhängt.

Rogers legt zunächst von seinen Quellen Rechenschaft ab. Über die Zu¬
stände am Ende des elften Jahrhunderts giebt das Dowssä^ Look Aufschluß.
Diese berühmte Landbeschreibuug des Königreichs, in der nur die vier nörd¬
lichen Grafschaften und ein Teil von Lancashire sehlen, enthält ein Verzeichnis
der Grundbesitzer und Pächter, giebt die Veränderungen an, die die Eroberung
Englands durch die Normannen zur Folge hatte, und beschreibt die wirtschaft¬
liche Lage Englands „unter der Regierung Wilhelms" ftvch jedenfalls des
Eroberers^. Für die folgenden zwei Jahrhunderte sind wenig Urkunden vor¬
handen. Von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an aber werden sie so
häufig, daß sich aus ihnen ein anschauliches Bild von den wirtschaftlichen Zu¬
ständen des Landes gewinnen läßt. Die Wirtschaftsbücher und Gasrechnungen
der Herrenhäuser (miZ.um-8) sind die wichtigsten dieser Urkunden. Die ihnen
entnommenen Einzelheiten können wir hier natürlich uicht ausführlich wieder¬
geben, denn dazu müßten wir ein Viertel des ganzen Werkes übersetzen; wir
beschränken uns auf die Hauptergebnisse.

Der Grundherr — der König, ein Ritter, ein Kloster, ein College
bewirtschaftete einen Teil des Gutes selbst oder ließ ihn durch einen Ver¬
walter bewirtschaften, das übrige war an Pächter und Hörige (8ort8) ausgeteilt.
Der Hörige hatte, falls er nicht zum Hofgcbäude gehörte, sein Häuschen und
mindestens zwölf Acres Ackerland (ein Acre enthält 40,467 Are oder drei¬
fünftel preußische Morgen) und das Recht, die Gemeindeweide mit zu benutzen.
Die den Pächtern und Hörigen obliegenden Frohnarbeiten waren so bemessen,
daß ihnen hinlänglich Zeit übrig blieb zur Bestellung ihrer eignen Äcker.
So hatten z. B. die Leibeignen von Cnxham Manor, das dem Mertou Col¬
lege in Oxford gehörte, jeder einen halben Acre des Herrenlandes zu bestellen
und in der Ernte mit einem von ihm bezahlten Manne drei Tage zu helfen,
außerdem an jedem Tage, ausgenommen um Sonntagen, zur Stelle zu sein,
wenn ihn der Amtmann holen ließ. An Naturalien hatte er ein bestimmtes
Maß Getreide, am 12. November drei Hennen, zu Weihnachten einen Hahn,
zwei Hennen und für zwei Penny Brot abzuliefern; an Geldzinsen einen halben
Perus am 12. November und einen Penny, so oft er braute. Jeder Hörige
braute sich also sein Bier selbst.

Die Ablösung der Frvhnden durch Geldzinsen lag im beiderseitigen Inter¬
esse und wurde mit der Zeit immer häufiger. Frohnarbeit wird immer im-


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[0523] weder Uomnuuiismus noch Kapitalismus auch die heutige Schichtung und Gliederung nicht für die Ewigkeit feststehen könne, sondern einer neuen Umbildung entgegeuwachse, von der sie sich ja viel¬ leicht eine falsche Vorstellung machen. Jedenfalls stehen die genannten So¬ zialisten über Wolf, und Wolfs Werk bedeutet einen Rückschritt gegen das „Kapital" von Marx, da er die Gesamtheit der sozialen Fragen auf die dürftige Frage der Gewinnverteilung zurückführt, deren Lösung noch dazu von jener unberücksichtigt gelassenen Gliederung der Gesellschaft abhängt. Rogers legt zunächst von seinen Quellen Rechenschaft ab. Über die Zu¬ stände am Ende des elften Jahrhunderts giebt das Dowssä^ Look Aufschluß. Diese berühmte Landbeschreibuug des Königreichs, in der nur die vier nörd¬ lichen Grafschaften und ein Teil von Lancashire sehlen, enthält ein Verzeichnis der Grundbesitzer und Pächter, giebt die Veränderungen an, die die Eroberung Englands durch die Normannen zur Folge hatte, und beschreibt die wirtschaft¬ liche Lage Englands „unter der Regierung Wilhelms" ftvch jedenfalls des Eroberers^. Für die folgenden zwei Jahrhunderte sind wenig Urkunden vor¬ handen. Von der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts an aber werden sie so häufig, daß sich aus ihnen ein anschauliches Bild von den wirtschaftlichen Zu¬ ständen des Landes gewinnen läßt. Die Wirtschaftsbücher und Gasrechnungen der Herrenhäuser (miZ.um-8) sind die wichtigsten dieser Urkunden. Die ihnen entnommenen Einzelheiten können wir hier natürlich uicht ausführlich wieder¬ geben, denn dazu müßten wir ein Viertel des ganzen Werkes übersetzen; wir beschränken uns auf die Hauptergebnisse. Der Grundherr — der König, ein Ritter, ein Kloster, ein College bewirtschaftete einen Teil des Gutes selbst oder ließ ihn durch einen Ver¬ walter bewirtschaften, das übrige war an Pächter und Hörige (8ort8) ausgeteilt. Der Hörige hatte, falls er nicht zum Hofgcbäude gehörte, sein Häuschen und mindestens zwölf Acres Ackerland (ein Acre enthält 40,467 Are oder drei¬ fünftel preußische Morgen) und das Recht, die Gemeindeweide mit zu benutzen. Die den Pächtern und Hörigen obliegenden Frohnarbeiten waren so bemessen, daß ihnen hinlänglich Zeit übrig blieb zur Bestellung ihrer eignen Äcker. So hatten z. B. die Leibeignen von Cnxham Manor, das dem Mertou Col¬ lege in Oxford gehörte, jeder einen halben Acre des Herrenlandes zu bestellen und in der Ernte mit einem von ihm bezahlten Manne drei Tage zu helfen, außerdem an jedem Tage, ausgenommen um Sonntagen, zur Stelle zu sein, wenn ihn der Amtmann holen ließ. An Naturalien hatte er ein bestimmtes Maß Getreide, am 12. November drei Hennen, zu Weihnachten einen Hahn, zwei Hennen und für zwei Penny Brot abzuliefern; an Geldzinsen einen halben Perus am 12. November und einen Penny, so oft er braute. Jeder Hörige braute sich also sein Bier selbst. Die Ablösung der Frvhnden durch Geldzinsen lag im beiderseitigen Inter¬ esse und wurde mit der Zeit immer häufiger. Frohnarbeit wird immer im-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/523>, abgerufen am 22.12.2024.