Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin neuer Bnchhäildlerprc^aß

Ulllll nun dahin gelangt sein, zu sagen: die Angeklagten müssen für jede ver¬
kaufte neue Mappe an Alters eine Entschädigung zahlen, die dem Gewinn
entspricht, den er aus einer verkauften ältern Mappe gezogen hatte. Nach
der Aussage Grieses soll dieser Gewinn fünf Mark betragen haben. Sind nun
von der neuen Mappe, wie Couitzer angiebt, .WO Stück abgesetzt worden, so
würde dies als äußerste, dein Künstler zuzusprechende Entschädigung 1500 Mark
-- also noch lange keine 6000 Mark -- ergeben haben. Statt dieser halt¬
baren Grundlage mußte der verletzte Künstlerruf von Alters herhalten, um
eine fabelhafte Schadenberechnung aufzubauen.

Den peinlichsten Eindruck aber macht es, daß das Gericht erster Instanz
die höchste, nach dem Gesetze zulässige Buße den Angeklagten doppelt aufer¬
legte. Dieser Fehlgriff ist freilich durch die Entscheidung des Reichsgerichts
wieder gut gemacht worden.

Liest man das Landgerichtsurteil im ganzen, so glaubt man nicht
das Urteil eines deutschen, sondern eines französischen Gerichts vor sich zu
haben.

Die Betrachtung dieses Prozesses führt von neuem darauf zurück, wie
sehr unser Rechtszustand unter dem Mangel einer Berufung in landgericht¬
lichen Strafsachen leidet. Die nochmalige freie Prüfung dieses Rechtsfalls
würde doch -- das darf mau zu Gunsten unsrer Justiz annehmen -- sicher¬
lich zu einer andern Entscheidung geführt habe". Dieser Fall weist aber noch
eine Seite der Sache auf, an die man gewöhnlich gar nicht denkt. Die Straf¬
kammern der Landgerichte können nicht bloß eine Strafe erkennen, sondern
auch in der Form der Zuerkennung einer Buße eine zivilrechtliche Entschei¬
dung geben, die sich gleicher Unanfechtbarkeit wie die Straferkennuug erfreut.
Bei den Zivilgerichten kann jede Entscheidung, auch wenn sie nur über drei
Pfennige ergeht, durch Berufung angefochten werden. Die Strafgerichte erster
Instanz aber erkennen, ganz nebenbei, zivilrechtlich über Tausende, ohne daß
eine Berufung dagegen möglich ist. Wider die verfehlte Verurteilung zu einer
Strafe kann noch im Gnadenwege geholfen werden. Ob aber auch wider die
verfehlte Verurteilung zu einer Buße?

Sonderbar ist es, daß, wie es scheint, gerade dem deutschen Buchhandel be-
schieden ist, bei der Rechtsprechung schmerzliche Erfahrungen zu machen.




Grn'zboten IV 1892
Lin neuer Bnchhäildlerprc^aß

Ulllll nun dahin gelangt sein, zu sagen: die Angeklagten müssen für jede ver¬
kaufte neue Mappe an Alters eine Entschädigung zahlen, die dem Gewinn
entspricht, den er aus einer verkauften ältern Mappe gezogen hatte. Nach
der Aussage Grieses soll dieser Gewinn fünf Mark betragen haben. Sind nun
von der neuen Mappe, wie Couitzer angiebt, .WO Stück abgesetzt worden, so
würde dies als äußerste, dein Künstler zuzusprechende Entschädigung 1500 Mark
— also noch lange keine 6000 Mark — ergeben haben. Statt dieser halt¬
baren Grundlage mußte der verletzte Künstlerruf von Alters herhalten, um
eine fabelhafte Schadenberechnung aufzubauen.

Den peinlichsten Eindruck aber macht es, daß das Gericht erster Instanz
die höchste, nach dem Gesetze zulässige Buße den Angeklagten doppelt aufer¬
legte. Dieser Fehlgriff ist freilich durch die Entscheidung des Reichsgerichts
wieder gut gemacht worden.

Liest man das Landgerichtsurteil im ganzen, so glaubt man nicht
das Urteil eines deutschen, sondern eines französischen Gerichts vor sich zu
haben.

Die Betrachtung dieses Prozesses führt von neuem darauf zurück, wie
sehr unser Rechtszustand unter dem Mangel einer Berufung in landgericht¬
lichen Strafsachen leidet. Die nochmalige freie Prüfung dieses Rechtsfalls
würde doch — das darf mau zu Gunsten unsrer Justiz annehmen — sicher¬
lich zu einer andern Entscheidung geführt habe». Dieser Fall weist aber noch
eine Seite der Sache auf, an die man gewöhnlich gar nicht denkt. Die Straf¬
kammern der Landgerichte können nicht bloß eine Strafe erkennen, sondern
auch in der Form der Zuerkennung einer Buße eine zivilrechtliche Entschei¬
dung geben, die sich gleicher Unanfechtbarkeit wie die Straferkennuug erfreut.
Bei den Zivilgerichten kann jede Entscheidung, auch wenn sie nur über drei
Pfennige ergeht, durch Berufung angefochten werden. Die Strafgerichte erster
Instanz aber erkennen, ganz nebenbei, zivilrechtlich über Tausende, ohne daß
eine Berufung dagegen möglich ist. Wider die verfehlte Verurteilung zu einer
Strafe kann noch im Gnadenwege geholfen werden. Ob aber auch wider die
verfehlte Verurteilung zu einer Buße?

Sonderbar ist es, daß, wie es scheint, gerade dem deutschen Buchhandel be-
schieden ist, bei der Rechtsprechung schmerzliche Erfahrungen zu machen.




Grn'zboten IV 1892
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213635"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin neuer Bnchhäildlerprc^aß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1610" prev="#ID_1609"> Ulllll nun dahin gelangt sein, zu sagen: die Angeklagten müssen für jede ver¬<lb/>
kaufte neue Mappe an Alters eine Entschädigung zahlen, die dem Gewinn<lb/>
entspricht, den er aus einer verkauften ältern Mappe gezogen hatte. Nach<lb/>
der Aussage Grieses soll dieser Gewinn fünf Mark betragen haben. Sind nun<lb/>
von der neuen Mappe, wie Couitzer angiebt, .WO Stück abgesetzt worden, so<lb/>
würde dies als äußerste, dein Künstler zuzusprechende Entschädigung 1500 Mark<lb/>
&#x2014; also noch lange keine 6000 Mark &#x2014; ergeben haben. Statt dieser halt¬<lb/>
baren Grundlage mußte der verletzte Künstlerruf von Alters herhalten, um<lb/>
eine fabelhafte Schadenberechnung aufzubauen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1611"> Den peinlichsten Eindruck aber macht es, daß das Gericht erster Instanz<lb/>
die höchste, nach dem Gesetze zulässige Buße den Angeklagten doppelt aufer¬<lb/>
legte. Dieser Fehlgriff ist freilich durch die Entscheidung des Reichsgerichts<lb/>
wieder gut gemacht worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1612"> Liest man das Landgerichtsurteil im ganzen, so glaubt man nicht<lb/>
das Urteil eines deutschen, sondern eines französischen Gerichts vor sich zu<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1613"> Die Betrachtung dieses Prozesses führt von neuem darauf zurück, wie<lb/>
sehr unser Rechtszustand unter dem Mangel einer Berufung in landgericht¬<lb/>
lichen Strafsachen leidet. Die nochmalige freie Prüfung dieses Rechtsfalls<lb/>
würde doch &#x2014; das darf mau zu Gunsten unsrer Justiz annehmen &#x2014; sicher¬<lb/>
lich zu einer andern Entscheidung geführt habe». Dieser Fall weist aber noch<lb/>
eine Seite der Sache auf, an die man gewöhnlich gar nicht denkt. Die Straf¬<lb/>
kammern der Landgerichte können nicht bloß eine Strafe erkennen, sondern<lb/>
auch in der Form der Zuerkennung einer Buße eine zivilrechtliche Entschei¬<lb/>
dung geben, die sich gleicher Unanfechtbarkeit wie die Straferkennuug erfreut.<lb/>
Bei den Zivilgerichten kann jede Entscheidung, auch wenn sie nur über drei<lb/>
Pfennige ergeht, durch Berufung angefochten werden. Die Strafgerichte erster<lb/>
Instanz aber erkennen, ganz nebenbei, zivilrechtlich über Tausende, ohne daß<lb/>
eine Berufung dagegen möglich ist. Wider die verfehlte Verurteilung zu einer<lb/>
Strafe kann noch im Gnadenwege geholfen werden. Ob aber auch wider die<lb/>
verfehlte Verurteilung zu einer Buße?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1614"> Sonderbar ist es, daß, wie es scheint, gerade dem deutschen Buchhandel be-<lb/>
schieden ist, bei der Rechtsprechung schmerzliche Erfahrungen zu machen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grn'zboten IV 1892</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] Lin neuer Bnchhäildlerprc^aß Ulllll nun dahin gelangt sein, zu sagen: die Angeklagten müssen für jede ver¬ kaufte neue Mappe an Alters eine Entschädigung zahlen, die dem Gewinn entspricht, den er aus einer verkauften ältern Mappe gezogen hatte. Nach der Aussage Grieses soll dieser Gewinn fünf Mark betragen haben. Sind nun von der neuen Mappe, wie Couitzer angiebt, .WO Stück abgesetzt worden, so würde dies als äußerste, dein Künstler zuzusprechende Entschädigung 1500 Mark — also noch lange keine 6000 Mark — ergeben haben. Statt dieser halt¬ baren Grundlage mußte der verletzte Künstlerruf von Alters herhalten, um eine fabelhafte Schadenberechnung aufzubauen. Den peinlichsten Eindruck aber macht es, daß das Gericht erster Instanz die höchste, nach dem Gesetze zulässige Buße den Angeklagten doppelt aufer¬ legte. Dieser Fehlgriff ist freilich durch die Entscheidung des Reichsgerichts wieder gut gemacht worden. Liest man das Landgerichtsurteil im ganzen, so glaubt man nicht das Urteil eines deutschen, sondern eines französischen Gerichts vor sich zu haben. Die Betrachtung dieses Prozesses führt von neuem darauf zurück, wie sehr unser Rechtszustand unter dem Mangel einer Berufung in landgericht¬ lichen Strafsachen leidet. Die nochmalige freie Prüfung dieses Rechtsfalls würde doch — das darf mau zu Gunsten unsrer Justiz annehmen — sicher¬ lich zu einer andern Entscheidung geführt habe». Dieser Fall weist aber noch eine Seite der Sache auf, an die man gewöhnlich gar nicht denkt. Die Straf¬ kammern der Landgerichte können nicht bloß eine Strafe erkennen, sondern auch in der Form der Zuerkennung einer Buße eine zivilrechtliche Entschei¬ dung geben, die sich gleicher Unanfechtbarkeit wie die Straferkennuug erfreut. Bei den Zivilgerichten kann jede Entscheidung, auch wenn sie nur über drei Pfennige ergeht, durch Berufung angefochten werden. Die Strafgerichte erster Instanz aber erkennen, ganz nebenbei, zivilrechtlich über Tausende, ohne daß eine Berufung dagegen möglich ist. Wider die verfehlte Verurteilung zu einer Strafe kann noch im Gnadenwege geholfen werden. Ob aber auch wider die verfehlte Verurteilung zu einer Buße? Sonderbar ist es, daß, wie es scheint, gerade dem deutschen Buchhandel be- schieden ist, bei der Rechtsprechung schmerzliche Erfahrungen zu machen. Grn'zboten IV 1892

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/521>, abgerufen am 22.12.2024.