Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Die Sozialdemokratie und der Staatssozialismus verwandt und zusammengebracht durch schlechte Bezahlung der untern Beamten. Herr von Vollmar hütete sich, als Mitberichterstatter, auf die von ihm Noch schärfer aber, und zwar von der praktischen Seite, faßte der Frank¬ Die Sozialdemokratie und der Staatssozialismus verwandt und zusammengebracht durch schlechte Bezahlung der untern Beamten. Herr von Vollmar hütete sich, als Mitberichterstatter, auf die von ihm Noch schärfer aber, und zwar von der praktischen Seite, faßte der Frank¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0508" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213622"/> <fw type="header" place="top"> Die Sozialdemokratie und der Staatssozialismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1558" prev="#ID_1557"> verwandt und zusammengebracht durch schlechte Bezahlung der untern Beamten.<lb/> Wo der Staatssozialismus zur Durchführung gelange, da verschlechtere sich<lb/> die Lage der Arbeiter u. s, w,</p><lb/> <p xml:id="ID_1559"> Herr von Vollmar hütete sich, als Mitberichterstatter, auf die von ihm<lb/> selbst angeregte Frage einzugehn, was theoretisch unter Staatssozialismus zu<lb/> verstehn sei, er wußte wohl, welche praktischen Folgen hinter dieser vermeint¬<lb/> lichen Dvktorfrage lauerten. Weniger versöhnlich gesinnt waren aber einige<lb/> andre Genossen, die deutlich auf deu wunden Punkt des Liebknecht-Vvllinarschen<lb/> Einvernehmens hinwiesen. Herr I)r. Lütgeuau bemängelte an der Resolution<lb/> vom theoretischen Standpunkte ans, daß im dritten Teile von einer sozia¬<lb/> listischen Neugestaltung des „Staats" die Rede sei, während man doch im<lb/> übrigen davon ausgehe, unter dem Staate nur die „geschichtliche Kategorie"<lb/> des heutigen Klassenstaats zu versteh», und daher mir von einer sozialistischen<lb/> Neugestaltung der Gesellschaft gesprochen werden dürfe. Konnte man doch nur,<lb/> wenn mau deu Begriff so bestimmte, zu einer Verwerfung des Staatssozialis¬<lb/> mus gelangen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1560" next="#ID_1561"> Noch schärfer aber, und zwar von der praktischen Seite, faßte der Frank¬<lb/> furter Genosse Hoch deu eigentlichen Streitpunkt, über den die Liebknechtschen<lb/> Redensarten, das Schweigen Vvllmars und die von beiden beantragte Reso¬<lb/> lution vergeblich hinwegzuhelfen versuchte», indem er sagte, daß man vom<lb/> Standpunkte Vollmars um die Mitarbeit der Arbeiter für den Staatssozia-<lb/> lismus werbe» und die sogenannten Zukunftstränme mit dein Hinweis ab¬<lb/> fertigen könne, die Sozialdemokraten könnten ja riesig warte», bis i» später»<lb/> Jahrhunderten sich das sozialistische Gemeinwesen einstelle. Das war i» der<lb/> That der eigentliche Streitpunkt: Wie hätte sich die Sozialdemokratin zu ver¬<lb/> halten, wen» in Deutschland der Staatssozialismus im weiteste» Siime des<lb/> Wortes ans Ruder käme? Herr vo» Vollmar würde in einem solche» Falle<lb/> jede grundsätzliche Opposition verwerfe» und für eine Unterstützung der staats-<lb/> sozinlistische» Negierung überall da eintreten, wo er »ach sorgfältiger »»d „arg¬<lb/> wöhnischer" Prüfung, ob nicht etwa die politischen Gegengründe überwiege»,<lb/> die Überzeugung erlaugt hat, daß die Verstaatlichung „einen relativen Vorteil<lb/> für das Gemeinwohl" bildet (vergl. seine Brochüre). Er würde, wie er dies<lb/> weiter in seiner Broschüre ausführt, dabei uicht darnach fragen, welche Ab¬<lb/> sichten der gegenwärtige Staat mit der betreffenden Maßregel verbinde, und<lb/> er würde es für „kurzsichtig" halten, bloß die allernächsten, vielleicht die<lb/> Machtstellung des heutige» Staates stärkende» Wirkungen der betreffenden<lb/> staatssozialistische» Maßregel i» Betracht zu ziehen, sondern er würde prüfe»,<lb/> ob nicht in letzter Linie diese Maßregel, weim auch nicht nach dem Willen<lb/> ihres Schöpfers, der Sozialdemokrcitie zu gute komme. Diese Prüfung würde<lb/> aber bei Herrn von Vollmar um so häufiger zu dem Ergebnis der U»terstütz»»g<lb/> der staatssvzialistische» Regierung führen, als er die Überzeugung vo» der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0508]
Die Sozialdemokratie und der Staatssozialismus
verwandt und zusammengebracht durch schlechte Bezahlung der untern Beamten.
Wo der Staatssozialismus zur Durchführung gelange, da verschlechtere sich
die Lage der Arbeiter u. s, w,
Herr von Vollmar hütete sich, als Mitberichterstatter, auf die von ihm
selbst angeregte Frage einzugehn, was theoretisch unter Staatssozialismus zu
verstehn sei, er wußte wohl, welche praktischen Folgen hinter dieser vermeint¬
lichen Dvktorfrage lauerten. Weniger versöhnlich gesinnt waren aber einige
andre Genossen, die deutlich auf deu wunden Punkt des Liebknecht-Vvllinarschen
Einvernehmens hinwiesen. Herr I)r. Lütgeuau bemängelte an der Resolution
vom theoretischen Standpunkte ans, daß im dritten Teile von einer sozia¬
listischen Neugestaltung des „Staats" die Rede sei, während man doch im
übrigen davon ausgehe, unter dem Staate nur die „geschichtliche Kategorie"
des heutigen Klassenstaats zu versteh», und daher mir von einer sozialistischen
Neugestaltung der Gesellschaft gesprochen werden dürfe. Konnte man doch nur,
wenn mau deu Begriff so bestimmte, zu einer Verwerfung des Staatssozialis¬
mus gelangen!
Noch schärfer aber, und zwar von der praktischen Seite, faßte der Frank¬
furter Genosse Hoch deu eigentlichen Streitpunkt, über den die Liebknechtschen
Redensarten, das Schweigen Vvllmars und die von beiden beantragte Reso¬
lution vergeblich hinwegzuhelfen versuchte», indem er sagte, daß man vom
Standpunkte Vollmars um die Mitarbeit der Arbeiter für den Staatssozia-
lismus werbe» und die sogenannten Zukunftstränme mit dein Hinweis ab¬
fertigen könne, die Sozialdemokraten könnten ja riesig warte», bis i» später»
Jahrhunderten sich das sozialistische Gemeinwesen einstelle. Das war i» der
That der eigentliche Streitpunkt: Wie hätte sich die Sozialdemokratin zu ver¬
halten, wen» in Deutschland der Staatssozialismus im weiteste» Siime des
Wortes ans Ruder käme? Herr vo» Vollmar würde in einem solche» Falle
jede grundsätzliche Opposition verwerfe» und für eine Unterstützung der staats-
sozinlistische» Negierung überall da eintreten, wo er »ach sorgfältiger »»d „arg¬
wöhnischer" Prüfung, ob nicht etwa die politischen Gegengründe überwiege»,
die Überzeugung erlaugt hat, daß die Verstaatlichung „einen relativen Vorteil
für das Gemeinwohl" bildet (vergl. seine Brochüre). Er würde, wie er dies
weiter in seiner Broschüre ausführt, dabei uicht darnach fragen, welche Ab¬
sichten der gegenwärtige Staat mit der betreffenden Maßregel verbinde, und
er würde es für „kurzsichtig" halten, bloß die allernächsten, vielleicht die
Machtstellung des heutige» Staates stärkende» Wirkungen der betreffenden
staatssozialistische» Maßregel i» Betracht zu ziehen, sondern er würde prüfe»,
ob nicht in letzter Linie diese Maßregel, weim auch nicht nach dem Willen
ihres Schöpfers, der Sozialdemokrcitie zu gute komme. Diese Prüfung würde
aber bei Herrn von Vollmar um so häufiger zu dem Ergebnis der U»terstütz»»g
der staatssvzialistische» Regierung führen, als er die Überzeugung vo» der
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