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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der langweilige Kcnnmerherr

Einbruch der Dunkelheit schon lauge wieder in den Mauern unsers Städt¬
chens sein.

Daher sagte ich auch dem finstern alten Manne, daß er mir schon er¬
lauben müsse, ein wenig in seinein Garten sitzen zu bleiben, weil ich sehr
müde sei.

Er betrachtete mich eine Weile schweigend, dann setzte er sich zu mir.
Nun sah ich erst, daß er ungewöhnlich alt war. Sein Gesicht war mit zahl¬
losen Fältchen bedeckt, und sein glatter Schädel konnte sich keines einzigen
Haares mehr rühmen. Manchmal fiel ihm auch der Kopf auf die Brust, wie
man es bei alten Leuten und bei kleinen Kindern findet; feine Augen aber
blickten noch wunderbar klar und scharf.

Als er die blasse Mondsichel ansah, die ganz hinten über dem dunkeln
Waldrande stand, trat ein merkwürdiger Ausdruck der Abneigung in sein altes
Gesicht. Da is er all wieder! sagte er halb für sich; da soll doch den
Donner einschlagen!

Ich mochte den Alten wohl etwas verständnislos angesehen haben, denn
er wandte sich nun mit einer gewissen Herablassung zu mir. Ich mein Ihnen
nich -- sagte er; for meinswegen können Sie hier gern ein büschen sitzen,
wenn Sie das Spaß macht. Wenn ich doll bin, denn bin ich man bloß doll
auf den alten Mond, und denn bin ich auch nimmer verdrießlich!

Warum denn? fragte ich.

Der Alte lachte etwas ungeduldig. Ja, so fragen die Leute woll. Ich
hab mal ein Mann gekannt, der las Vüchers, und der sagte, auf deu Mond
würden auch Versens gemacht. Du Heiland! Versens aufn Mond! Da kann
eiuen ja das Grauen bei ankommen. Versens nufn Mond!

Er wiederholte die Worte uoch mehreremal, und sein gelber, häßlicher
Hund schien zu glauben, daß er böse sei; deun er sprang an ihm empor,
leckte seine verarbeitete Hand und winselte leise, als wenn er sagen wollte: Sei
mir stille, ich weiß schon.

Aber ich wußte von nichts, und mein Gesicht mußte sehr fragend aus¬
sehen, denn der Alte nickte mir zu.

Ja ja; Sie sind woll ein von die feineus, die allens wissen Wollen, und
Sie wissen doch nich allens! Sie wissen ja nich mal, wer in dies Hans ge¬
wohnt hat!

Ich wußte es in der That nicht, und er lächelte zufrieden.

Sehen Sie, ich weiß mehr als Sie, viel, viel mehr! Hier wohnte mein
Kammerherr! Haben Sie ihm mal gesehen? Nee -- natürlicheweise nich,
weil er all längstens tot is -- tot und begraben! Ich abers kannte ihm, und
ich habe ihm gut gekannt, weil ich all die Jahrens bei ihm war. Zuerst als
son Art Reitknecht und deun ganz pöhundpöh als Diener für allens. Da
kann ich ein Wort mitsucicken, wenn die Rede auf mein Herrn kommt -- ganz


Der langweilige Kcnnmerherr

Einbruch der Dunkelheit schon lauge wieder in den Mauern unsers Städt¬
chens sein.

Daher sagte ich auch dem finstern alten Manne, daß er mir schon er¬
lauben müsse, ein wenig in seinein Garten sitzen zu bleiben, weil ich sehr
müde sei.

Er betrachtete mich eine Weile schweigend, dann setzte er sich zu mir.
Nun sah ich erst, daß er ungewöhnlich alt war. Sein Gesicht war mit zahl¬
losen Fältchen bedeckt, und sein glatter Schädel konnte sich keines einzigen
Haares mehr rühmen. Manchmal fiel ihm auch der Kopf auf die Brust, wie
man es bei alten Leuten und bei kleinen Kindern findet; feine Augen aber
blickten noch wunderbar klar und scharf.

Als er die blasse Mondsichel ansah, die ganz hinten über dem dunkeln
Waldrande stand, trat ein merkwürdiger Ausdruck der Abneigung in sein altes
Gesicht. Da is er all wieder! sagte er halb für sich; da soll doch den
Donner einschlagen!

Ich mochte den Alten wohl etwas verständnislos angesehen haben, denn
er wandte sich nun mit einer gewissen Herablassung zu mir. Ich mein Ihnen
nich — sagte er; for meinswegen können Sie hier gern ein büschen sitzen,
wenn Sie das Spaß macht. Wenn ich doll bin, denn bin ich man bloß doll
auf den alten Mond, und denn bin ich auch nimmer verdrießlich!

Warum denn? fragte ich.

Der Alte lachte etwas ungeduldig. Ja, so fragen die Leute woll. Ich
hab mal ein Mann gekannt, der las Vüchers, und der sagte, auf deu Mond
würden auch Versens gemacht. Du Heiland! Versens aufn Mond! Da kann
eiuen ja das Grauen bei ankommen. Versens nufn Mond!

Er wiederholte die Worte uoch mehreremal, und sein gelber, häßlicher
Hund schien zu glauben, daß er böse sei; deun er sprang an ihm empor,
leckte seine verarbeitete Hand und winselte leise, als wenn er sagen wollte: Sei
mir stille, ich weiß schon.

Aber ich wußte von nichts, und mein Gesicht mußte sehr fragend aus¬
sehen, denn der Alte nickte mir zu.

Ja ja; Sie sind woll ein von die feineus, die allens wissen Wollen, und
Sie wissen doch nich allens! Sie wissen ja nich mal, wer in dies Hans ge¬
wohnt hat!

Ich wußte es in der That nicht, und er lächelte zufrieden.

Sehen Sie, ich weiß mehr als Sie, viel, viel mehr! Hier wohnte mein
Kammerherr! Haben Sie ihm mal gesehen? Nee — natürlicheweise nich,
weil er all längstens tot is — tot und begraben! Ich abers kannte ihm, und
ich habe ihm gut gekannt, weil ich all die Jahrens bei ihm war. Zuerst als
son Art Reitknecht und deun ganz pöhundpöh als Diener für allens. Da
kann ich ein Wort mitsucicken, wenn die Rede auf mein Herrn kommt — ganz


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[0493] Der langweilige Kcnnmerherr Einbruch der Dunkelheit schon lauge wieder in den Mauern unsers Städt¬ chens sein. Daher sagte ich auch dem finstern alten Manne, daß er mir schon er¬ lauben müsse, ein wenig in seinein Garten sitzen zu bleiben, weil ich sehr müde sei. Er betrachtete mich eine Weile schweigend, dann setzte er sich zu mir. Nun sah ich erst, daß er ungewöhnlich alt war. Sein Gesicht war mit zahl¬ losen Fältchen bedeckt, und sein glatter Schädel konnte sich keines einzigen Haares mehr rühmen. Manchmal fiel ihm auch der Kopf auf die Brust, wie man es bei alten Leuten und bei kleinen Kindern findet; feine Augen aber blickten noch wunderbar klar und scharf. Als er die blasse Mondsichel ansah, die ganz hinten über dem dunkeln Waldrande stand, trat ein merkwürdiger Ausdruck der Abneigung in sein altes Gesicht. Da is er all wieder! sagte er halb für sich; da soll doch den Donner einschlagen! Ich mochte den Alten wohl etwas verständnislos angesehen haben, denn er wandte sich nun mit einer gewissen Herablassung zu mir. Ich mein Ihnen nich — sagte er; for meinswegen können Sie hier gern ein büschen sitzen, wenn Sie das Spaß macht. Wenn ich doll bin, denn bin ich man bloß doll auf den alten Mond, und denn bin ich auch nimmer verdrießlich! Warum denn? fragte ich. Der Alte lachte etwas ungeduldig. Ja, so fragen die Leute woll. Ich hab mal ein Mann gekannt, der las Vüchers, und der sagte, auf deu Mond würden auch Versens gemacht. Du Heiland! Versens aufn Mond! Da kann eiuen ja das Grauen bei ankommen. Versens nufn Mond! Er wiederholte die Worte uoch mehreremal, und sein gelber, häßlicher Hund schien zu glauben, daß er böse sei; deun er sprang an ihm empor, leckte seine verarbeitete Hand und winselte leise, als wenn er sagen wollte: Sei mir stille, ich weiß schon. Aber ich wußte von nichts, und mein Gesicht mußte sehr fragend aus¬ sehen, denn der Alte nickte mir zu. Ja ja; Sie sind woll ein von die feineus, die allens wissen Wollen, und Sie wissen doch nich allens! Sie wissen ja nich mal, wer in dies Hans ge¬ wohnt hat! Ich wußte es in der That nicht, und er lächelte zufrieden. Sehen Sie, ich weiß mehr als Sie, viel, viel mehr! Hier wohnte mein Kammerherr! Haben Sie ihm mal gesehen? Nee — natürlicheweise nich, weil er all längstens tot is — tot und begraben! Ich abers kannte ihm, und ich habe ihm gut gekannt, weil ich all die Jahrens bei ihm war. Zuerst als son Art Reitknecht und deun ganz pöhundpöh als Diener für allens. Da kann ich ein Wort mitsucicken, wenn die Rede auf mein Herrn kommt — ganz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/493>, abgerufen am 22.12.2024.