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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Aufklärungen über studentische Dinge

am Verbindungswesen gehört das öffentliche Tragen von Farben. Ihr Wert
ist der der Uniform.

Natürlich sind wir der Entrüstung jedes freisinnig denkenden mit diesem
Worte verfallen. Die Uniform von Wert! sie, das Abzeichen der Nummern-
hciftigkeit, der Unfreiheit! Jede Uniform zwingt aber ihren Träger, sich so zu
verhalten, daß er über sein öffentliches Auftreten und seine Person fortwährend
Rechenschaft ablegen kann, und den Vorteil dieses ständigen Zwanges,
den wir für die sonstigen Zivilisten darum keineswegs fordern wollen, ihn
schätzen und wünschen wir für den noch in der Erziehung und persönlichen
Ausbildung stehenden Studenten erst recht heutzutage, im Zeitalter des
Radnus und der schwindenden Harmlosigkeit, der "Damen"bedienung und der
vor die Unmündigen gelangten Prostitution. Mütze und Band bilden eben
doch ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis, schützen in der Regel, wenn
auch nicht überall, vor Rüpelei und Rempelei, lassen den Träger auch sonst auf
sein Benehmen, auf sein Aussehen, auf seine Haltung achten. Und sie geben
ihm diese Gewöhnung, auf sich zu achten, sich gekannt zu wissen, fürs Leben
mit. Freilich ist es notwendig, daß die Farben auch jederzeit getragen, nicht
nach Belieben abgelegt werden. Auf den kleinern Universitäten geschieht das
auch kaum; es hat dort nicht viel Zweck, da der einzelne Farbenstudent doch
allgemein bekannt ist, trotz des "Bummels," d. h. des alten Huts, den er hervor¬
sucht. Außerdem halten dort die Verbindungen selber, eben um Ungehörig¬
keiten zu verhüten, mit großer Strenge auf die Beobachtung des Farbenzwangcs.
An den größern Universitäten aber zeigt sich leider schon recht unangenehm
das Gegenteil davon: die Aktiven tragen die Mütze nur uoch bei bestimmten Ge¬
legenheiten, und sie sind mindestens so leicht wie andre geneigt, die Gelegen¬
heit, wo sie sich inkognito wissen, auszunutzen. Das sollte auch wieder anders
werden, das Farbenbewußtsein sollte wieder gehoben werden. Es giebt aber
noch höhere und positivere Vorteile des Farbeutragens. Seiner Farbe, ob im
Augenblick uoch getragen oder nicht mehr getragen, Ehre machen zu müssen,
stets zu ihrer Verteidigung bereit zu sein, ihr voll Hingebung zu folgen, wie
der Soldat der Fahne des Bataillons, und doch wieder selbständiger als der
Soldat, darin liegt der Wert dieser studentischen Abzeichen, der nicht nach
ein paar lustigen Semestern verbraucht ist.

Aus all diesen Gründen erblicken wir in den aufwuchernden nichtfarben-
tragenden Verbindungen keine wertvolle Bereicherung des akademischen Lebens.
Aber auch abgesehen davon, scheint uns das Zuviel an Verbindungen, das
Aufkommen immer neuer, ob sie sich nun bis zu öffentlichen Abzeichen durch¬
ringen oder nicht, im höchsten Grade verderblich. Die Gründe haben wir
schon angedeutet: alle Verbindungen haben jetzt zu wenig Leute und leiden
daher schon an sich finanziell Not; die Notwendigkeit, gegenüber immer neuen
Konkurrenzverbindungen das alte "Prestige" zu wahren, die Sucht bei den


Aufklärungen über studentische Dinge

am Verbindungswesen gehört das öffentliche Tragen von Farben. Ihr Wert
ist der der Uniform.

Natürlich sind wir der Entrüstung jedes freisinnig denkenden mit diesem
Worte verfallen. Die Uniform von Wert! sie, das Abzeichen der Nummern-
hciftigkeit, der Unfreiheit! Jede Uniform zwingt aber ihren Träger, sich so zu
verhalten, daß er über sein öffentliches Auftreten und seine Person fortwährend
Rechenschaft ablegen kann, und den Vorteil dieses ständigen Zwanges,
den wir für die sonstigen Zivilisten darum keineswegs fordern wollen, ihn
schätzen und wünschen wir für den noch in der Erziehung und persönlichen
Ausbildung stehenden Studenten erst recht heutzutage, im Zeitalter des
Radnus und der schwindenden Harmlosigkeit, der „Damen"bedienung und der
vor die Unmündigen gelangten Prostitution. Mütze und Band bilden eben
doch ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis, schützen in der Regel, wenn
auch nicht überall, vor Rüpelei und Rempelei, lassen den Träger auch sonst auf
sein Benehmen, auf sein Aussehen, auf seine Haltung achten. Und sie geben
ihm diese Gewöhnung, auf sich zu achten, sich gekannt zu wissen, fürs Leben
mit. Freilich ist es notwendig, daß die Farben auch jederzeit getragen, nicht
nach Belieben abgelegt werden. Auf den kleinern Universitäten geschieht das
auch kaum; es hat dort nicht viel Zweck, da der einzelne Farbenstudent doch
allgemein bekannt ist, trotz des „Bummels," d. h. des alten Huts, den er hervor¬
sucht. Außerdem halten dort die Verbindungen selber, eben um Ungehörig¬
keiten zu verhüten, mit großer Strenge auf die Beobachtung des Farbenzwangcs.
An den größern Universitäten aber zeigt sich leider schon recht unangenehm
das Gegenteil davon: die Aktiven tragen die Mütze nur uoch bei bestimmten Ge¬
legenheiten, und sie sind mindestens so leicht wie andre geneigt, die Gelegen¬
heit, wo sie sich inkognito wissen, auszunutzen. Das sollte auch wieder anders
werden, das Farbenbewußtsein sollte wieder gehoben werden. Es giebt aber
noch höhere und positivere Vorteile des Farbeutragens. Seiner Farbe, ob im
Augenblick uoch getragen oder nicht mehr getragen, Ehre machen zu müssen,
stets zu ihrer Verteidigung bereit zu sein, ihr voll Hingebung zu folgen, wie
der Soldat der Fahne des Bataillons, und doch wieder selbständiger als der
Soldat, darin liegt der Wert dieser studentischen Abzeichen, der nicht nach
ein paar lustigen Semestern verbraucht ist.

Aus all diesen Gründen erblicken wir in den aufwuchernden nichtfarben-
tragenden Verbindungen keine wertvolle Bereicherung des akademischen Lebens.
Aber auch abgesehen davon, scheint uns das Zuviel an Verbindungen, das
Aufkommen immer neuer, ob sie sich nun bis zu öffentlichen Abzeichen durch¬
ringen oder nicht, im höchsten Grade verderblich. Die Gründe haben wir
schon angedeutet: alle Verbindungen haben jetzt zu wenig Leute und leiden
daher schon an sich finanziell Not; die Notwendigkeit, gegenüber immer neuen
Konkurrenzverbindungen das alte „Prestige" zu wahren, die Sucht bei den


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[0470] Aufklärungen über studentische Dinge am Verbindungswesen gehört das öffentliche Tragen von Farben. Ihr Wert ist der der Uniform. Natürlich sind wir der Entrüstung jedes freisinnig denkenden mit diesem Worte verfallen. Die Uniform von Wert! sie, das Abzeichen der Nummern- hciftigkeit, der Unfreiheit! Jede Uniform zwingt aber ihren Träger, sich so zu verhalten, daß er über sein öffentliches Auftreten und seine Person fortwährend Rechenschaft ablegen kann, und den Vorteil dieses ständigen Zwanges, den wir für die sonstigen Zivilisten darum keineswegs fordern wollen, ihn schätzen und wünschen wir für den noch in der Erziehung und persönlichen Ausbildung stehenden Studenten erst recht heutzutage, im Zeitalter des Radnus und der schwindenden Harmlosigkeit, der „Damen"bedienung und der vor die Unmündigen gelangten Prostitution. Mütze und Band bilden eben doch ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis, schützen in der Regel, wenn auch nicht überall, vor Rüpelei und Rempelei, lassen den Träger auch sonst auf sein Benehmen, auf sein Aussehen, auf seine Haltung achten. Und sie geben ihm diese Gewöhnung, auf sich zu achten, sich gekannt zu wissen, fürs Leben mit. Freilich ist es notwendig, daß die Farben auch jederzeit getragen, nicht nach Belieben abgelegt werden. Auf den kleinern Universitäten geschieht das auch kaum; es hat dort nicht viel Zweck, da der einzelne Farbenstudent doch allgemein bekannt ist, trotz des „Bummels," d. h. des alten Huts, den er hervor¬ sucht. Außerdem halten dort die Verbindungen selber, eben um Ungehörig¬ keiten zu verhüten, mit großer Strenge auf die Beobachtung des Farbenzwangcs. An den größern Universitäten aber zeigt sich leider schon recht unangenehm das Gegenteil davon: die Aktiven tragen die Mütze nur uoch bei bestimmten Ge¬ legenheiten, und sie sind mindestens so leicht wie andre geneigt, die Gelegen¬ heit, wo sie sich inkognito wissen, auszunutzen. Das sollte auch wieder anders werden, das Farbenbewußtsein sollte wieder gehoben werden. Es giebt aber noch höhere und positivere Vorteile des Farbeutragens. Seiner Farbe, ob im Augenblick uoch getragen oder nicht mehr getragen, Ehre machen zu müssen, stets zu ihrer Verteidigung bereit zu sein, ihr voll Hingebung zu folgen, wie der Soldat der Fahne des Bataillons, und doch wieder selbständiger als der Soldat, darin liegt der Wert dieser studentischen Abzeichen, der nicht nach ein paar lustigen Semestern verbraucht ist. Aus all diesen Gründen erblicken wir in den aufwuchernden nichtfarben- tragenden Verbindungen keine wertvolle Bereicherung des akademischen Lebens. Aber auch abgesehen davon, scheint uns das Zuviel an Verbindungen, das Aufkommen immer neuer, ob sie sich nun bis zu öffentlichen Abzeichen durch¬ ringen oder nicht, im höchsten Grade verderblich. Die Gründe haben wir schon angedeutet: alle Verbindungen haben jetzt zu wenig Leute und leiden daher schon an sich finanziell Not; die Notwendigkeit, gegenüber immer neuen Konkurrenzverbindungen das alte „Prestige" zu wahren, die Sucht bei den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/470>, abgerufen am 23.07.2024.