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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Theaterreformen

die in diesem Falle oft sehr angebracht wären. Viel wird aber, so ist zu
fürchten, dabei im allgemeinen nicht herauskommen.

Was soll nun geschehen? Soll man das Theater etwa verstaatlichen
und etwa unter das Ministerium des Unterrichts stellen? Davor bewahre
uns der Himmel! Eine Kunst muß frei sein, und sie unter staatliche Ober¬
hoheit stellen hieße ihren Lebensnerv beschneiden, hieße sie des notwendigen
innigen Zusammenhangs mit dem Volke berauben. Und gerade der soll be¬
wahrt oder vielmehr herbeigeführt werden. Das Heil der Bühne als einer
Bildungsstätte für das Volk liegt daher in dem Volkstheater, oder um unser
Ideal einer solchen Volksbühne genauer zu umschreiben, in ^ dem Genvssen-
schaftstheater. Zur Errichtung solcher Bühnen, die wir womöglich nicht nnr
den Großstädten, sondern auch den Mittel- und Kleinstädter wünschten, bedarf
es freilich der Unterstützung und Mitwirkung opferfreudiger, kunstsinniger Leute,
die die erforderlichen Summen vorstrecken, bis die Teilnahme des allgemeinen
Publikums genügt, das Unternehmen finanziell zu sichern. Der Kern¬
punkt des Genossenschaftsthenters, wie wir es uns denken, liegt in der Tren¬
nung der Kunst von dem Kapital, infolge deren die Kunst aufatmen wird,
befreit von den Bauden des Fluchs, dem Erwerb dienen zu müssen. Die
neuen gesetzlichen Formen zur Begründung von Gesellschaften mit beschränkter
Haftung bieten den geeigneten Nahmen für die Genvssenschaftsbühne; Anteil¬
scheine, die je nach der Höhe des Einsatzes zum ein- oder mehrmaligen Besuch
des Theaters in der Woche oder auch im Monat berechtigen, würden auch
dem weniger bemittelten Gelegenheit bieten, sich den Genuß von Theater¬
vorstellungen von einem guten Platze aus zu sichern, zumal wem, etwaige
Neubauten derartiger Schauspielhäuser in dem Stile des ranglvsen Bahreuther
Wagnertheater gehalten würden. In den meisten Fällen, namentlich in kleinern
Städten, würde man darnach streben müssen, vvrhandne Gebäude entweder
für immer oder, wenn es nicht anders geht, aus die Dauer der günstigsten
Spielzeit in seine Hände zu bringen. Aus der Mitte der Gesellschafter heraus
wäre eine Art Aufsichtsrat zu wählen, der neben der Leitung der äußern
Geschäfte auch eine entscheidende Stellung in der künstlerischen Leitung zu
beanspruchen hätte. Im Verein mit einem von ihm zu bestellenden künst¬
lerischen Direktor hätte dieser Aufsichtsrat über die Wahl der Stücke, über
den Aufwand für Ausstattung, über das Engagement der Darsteller zu ent¬
scheiden, eine Arbeit, bei der natürlich auf das Urteil des neben seinem aus¬
zumachenden Einkommen auf persönlichen Erwerb nicht rechnenden künstlerischen
Direktors besondres Gewicht zu legen wäre. Es ist selbstverständlich, daß bei
der Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats ihr Kunstverständnis besonders be¬
rücksichtigt werden müßte. In größern Städten wäre, es nicht ausgeschlossen
und es würde auch zunächst unserm Ideal einer Volksbühne nicht wider¬
sprechen, wenn verschiedne Stände, vielleicht auch verschiedne politische Nich-


Theaterreformen

die in diesem Falle oft sehr angebracht wären. Viel wird aber, so ist zu
fürchten, dabei im allgemeinen nicht herauskommen.

Was soll nun geschehen? Soll man das Theater etwa verstaatlichen
und etwa unter das Ministerium des Unterrichts stellen? Davor bewahre
uns der Himmel! Eine Kunst muß frei sein, und sie unter staatliche Ober¬
hoheit stellen hieße ihren Lebensnerv beschneiden, hieße sie des notwendigen
innigen Zusammenhangs mit dem Volke berauben. Und gerade der soll be¬
wahrt oder vielmehr herbeigeführt werden. Das Heil der Bühne als einer
Bildungsstätte für das Volk liegt daher in dem Volkstheater, oder um unser
Ideal einer solchen Volksbühne genauer zu umschreiben, in ^ dem Genvssen-
schaftstheater. Zur Errichtung solcher Bühnen, die wir womöglich nicht nnr
den Großstädten, sondern auch den Mittel- und Kleinstädter wünschten, bedarf
es freilich der Unterstützung und Mitwirkung opferfreudiger, kunstsinniger Leute,
die die erforderlichen Summen vorstrecken, bis die Teilnahme des allgemeinen
Publikums genügt, das Unternehmen finanziell zu sichern. Der Kern¬
punkt des Genossenschaftsthenters, wie wir es uns denken, liegt in der Tren¬
nung der Kunst von dem Kapital, infolge deren die Kunst aufatmen wird,
befreit von den Bauden des Fluchs, dem Erwerb dienen zu müssen. Die
neuen gesetzlichen Formen zur Begründung von Gesellschaften mit beschränkter
Haftung bieten den geeigneten Nahmen für die Genvssenschaftsbühne; Anteil¬
scheine, die je nach der Höhe des Einsatzes zum ein- oder mehrmaligen Besuch
des Theaters in der Woche oder auch im Monat berechtigen, würden auch
dem weniger bemittelten Gelegenheit bieten, sich den Genuß von Theater¬
vorstellungen von einem guten Platze aus zu sichern, zumal wem, etwaige
Neubauten derartiger Schauspielhäuser in dem Stile des ranglvsen Bahreuther
Wagnertheater gehalten würden. In den meisten Fällen, namentlich in kleinern
Städten, würde man darnach streben müssen, vvrhandne Gebäude entweder
für immer oder, wenn es nicht anders geht, aus die Dauer der günstigsten
Spielzeit in seine Hände zu bringen. Aus der Mitte der Gesellschafter heraus
wäre eine Art Aufsichtsrat zu wählen, der neben der Leitung der äußern
Geschäfte auch eine entscheidende Stellung in der künstlerischen Leitung zu
beanspruchen hätte. Im Verein mit einem von ihm zu bestellenden künst¬
lerischen Direktor hätte dieser Aufsichtsrat über die Wahl der Stücke, über
den Aufwand für Ausstattung, über das Engagement der Darsteller zu ent¬
scheiden, eine Arbeit, bei der natürlich auf das Urteil des neben seinem aus¬
zumachenden Einkommen auf persönlichen Erwerb nicht rechnenden künstlerischen
Direktors besondres Gewicht zu legen wäre. Es ist selbstverständlich, daß bei
der Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats ihr Kunstverständnis besonders be¬
rücksichtigt werden müßte. In größern Städten wäre, es nicht ausgeschlossen
und es würde auch zunächst unserm Ideal einer Volksbühne nicht wider¬
sprechen, wenn verschiedne Stände, vielleicht auch verschiedne politische Nich-


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[0447] Theaterreformen die in diesem Falle oft sehr angebracht wären. Viel wird aber, so ist zu fürchten, dabei im allgemeinen nicht herauskommen. Was soll nun geschehen? Soll man das Theater etwa verstaatlichen und etwa unter das Ministerium des Unterrichts stellen? Davor bewahre uns der Himmel! Eine Kunst muß frei sein, und sie unter staatliche Ober¬ hoheit stellen hieße ihren Lebensnerv beschneiden, hieße sie des notwendigen innigen Zusammenhangs mit dem Volke berauben. Und gerade der soll be¬ wahrt oder vielmehr herbeigeführt werden. Das Heil der Bühne als einer Bildungsstätte für das Volk liegt daher in dem Volkstheater, oder um unser Ideal einer solchen Volksbühne genauer zu umschreiben, in ^ dem Genvssen- schaftstheater. Zur Errichtung solcher Bühnen, die wir womöglich nicht nnr den Großstädten, sondern auch den Mittel- und Kleinstädter wünschten, bedarf es freilich der Unterstützung und Mitwirkung opferfreudiger, kunstsinniger Leute, die die erforderlichen Summen vorstrecken, bis die Teilnahme des allgemeinen Publikums genügt, das Unternehmen finanziell zu sichern. Der Kern¬ punkt des Genossenschaftsthenters, wie wir es uns denken, liegt in der Tren¬ nung der Kunst von dem Kapital, infolge deren die Kunst aufatmen wird, befreit von den Bauden des Fluchs, dem Erwerb dienen zu müssen. Die neuen gesetzlichen Formen zur Begründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung bieten den geeigneten Nahmen für die Genvssenschaftsbühne; Anteil¬ scheine, die je nach der Höhe des Einsatzes zum ein- oder mehrmaligen Besuch des Theaters in der Woche oder auch im Monat berechtigen, würden auch dem weniger bemittelten Gelegenheit bieten, sich den Genuß von Theater¬ vorstellungen von einem guten Platze aus zu sichern, zumal wem, etwaige Neubauten derartiger Schauspielhäuser in dem Stile des ranglvsen Bahreuther Wagnertheater gehalten würden. In den meisten Fällen, namentlich in kleinern Städten, würde man darnach streben müssen, vvrhandne Gebäude entweder für immer oder, wenn es nicht anders geht, aus die Dauer der günstigsten Spielzeit in seine Hände zu bringen. Aus der Mitte der Gesellschafter heraus wäre eine Art Aufsichtsrat zu wählen, der neben der Leitung der äußern Geschäfte auch eine entscheidende Stellung in der künstlerischen Leitung zu beanspruchen hätte. Im Verein mit einem von ihm zu bestellenden künst¬ lerischen Direktor hätte dieser Aufsichtsrat über die Wahl der Stücke, über den Aufwand für Ausstattung, über das Engagement der Darsteller zu ent¬ scheiden, eine Arbeit, bei der natürlich auf das Urteil des neben seinem aus¬ zumachenden Einkommen auf persönlichen Erwerb nicht rechnenden künstlerischen Direktors besondres Gewicht zu legen wäre. Es ist selbstverständlich, daß bei der Wahl von Mitgliedern des Aufsichtsrats ihr Kunstverständnis besonders be¬ rücksichtigt werden müßte. In größern Städten wäre, es nicht ausgeschlossen und es würde auch zunächst unserm Ideal einer Volksbühne nicht wider¬ sprechen, wenn verschiedne Stände, vielleicht auch verschiedne politische Nich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/447>, abgerufen am 23.07.2024.