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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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genommen. Er war überhaupt ein guter Gesellschafter, ohne die später so oft
erwähnte Schweigsamkeit, um deretwillen er noch in der Sylvesternacht von
1882 im -Freundeskreise in heitern Reimen nach der Melodie des Dessauer
Marsches angesungen wurde: ,,So schweigen wir, so schweigen wir, so schweige"
wir alle Tage in der allerhöchsten Dippelomatie" mit dem schließlichen Rate,
zur Abwechslung einmal zu Pfeifen, nämlich auf die ganze auswärtige Politik:
"denn ohne Sorge sehn wir dich gern auch mal," Die Schweigsamkeit
war ihm erst während des einsamen Lebens in London zur Gewohnheit,
nachher zur Pflicht geworden. In der ersten Zeit seines vertrauten Verhält¬
nisses zum Kanzler des Norddeutschen Bundes wurde einmal lustig geschildert
wie er in Gesellschaften von Berliner Damen umringt wurde, die aus ihm,
Geheimnisse der hohen Politik herauszulocken hofften.

In Stvlp, wohin er 1843 versetzt wurde, hatte er als Patrimonial-
richter und Stadtverordneter hinlänglich Gelegenheit, Beobachtungen über die
Mangclhciftigkeit der damaligen Verwaltungszustände zu machen, und von dort
stammte seine Begeisterung für die Selbstverwaltung, seine Abneigung gegen
die Bllrenukratie, das Mandarinentum, wie er sich gern ausdrückte. Daß er
solche Zustände in der Nationalversammlung 1848 rücksichtslos besprach,
machte ihm die meisten Feinde. Später hat er sich selbst vorgeworfen, die
Dinge zu sehr "als Jurist, uach Lage der Akten" beurteilt zu haben, und in
den Grenzboten nannte ihn der Verfasser der "Parlamentarischen Größen,"
W. Rogge, "den preußischen Assessor." Aber einen komischen Eindruck mußte
es macheu, als nach deu Verhandlungen über die .Kreisordnung, in denen er
als Referent Mitteilungen aus einem ungeheuern Material von Petitionen und
Beschwerden aus den östlichen Provinzen gemacht hatte, aus seinem Wahl¬
kreise öffentlich die brüske Aufforderung an ihn erging, seine Verleumdungen
entweder zu beweisen oder zurückzunehmen. Der Mangel an politischer Bil¬
dung war also nicht nur, wie so oft behauptet worden ist, auf Seiten der
Reformer zu finden. Er gehörte damals mit Rvdbertns, v. Berg, Kirch¬
mann dein linken Zentrum ein, stand wie alle seine Parteigenossen auf dem
Boden der Vvllssvuveränitüt und legte in diesem Sinne den verschieden deut¬
baren Ausdruck "Vereiubnruug einer Verfassung" aus.

Es ist unnötig, seine Thätigkeit als Abgeordneter hier im einzelnen zu
verfolgen. Die Beteiligung am Steuerverweigerungsbeschlnsse und an den
Versuchen, deu Beschluß in Kraft treten zu lassen, sowie das Referat über
den Belagerungszustand in Berlin mußten in jedem Nekrolog besprochen
werden, da sie bestimmend in sein Leben eingegriffen haben. Es ist unver¬
kennbar, daß sein Sarkasmus, der die Freude seiner Gesinnungsgenossen war,
die Gegner ganz besonders gereizt hatte. Man scheute sich nicht, die albernsten
Anschuldigungen gegen ihn zu verbreiten. Wie vou Gottfried Semper gesagt
und geglaubt wordeu ist, er habe im Mai 1849 das von ihm selbst erbaute


genommen. Er war überhaupt ein guter Gesellschafter, ohne die später so oft
erwähnte Schweigsamkeit, um deretwillen er noch in der Sylvesternacht von
1882 im -Freundeskreise in heitern Reimen nach der Melodie des Dessauer
Marsches angesungen wurde: ,,So schweigen wir, so schweigen wir, so schweige»
wir alle Tage in der allerhöchsten Dippelomatie" mit dem schließlichen Rate,
zur Abwechslung einmal zu Pfeifen, nämlich auf die ganze auswärtige Politik:
„denn ohne Sorge sehn wir dich gern auch mal," Die Schweigsamkeit
war ihm erst während des einsamen Lebens in London zur Gewohnheit,
nachher zur Pflicht geworden. In der ersten Zeit seines vertrauten Verhält¬
nisses zum Kanzler des Norddeutschen Bundes wurde einmal lustig geschildert
wie er in Gesellschaften von Berliner Damen umringt wurde, die aus ihm,
Geheimnisse der hohen Politik herauszulocken hofften.

In Stvlp, wohin er 1843 versetzt wurde, hatte er als Patrimonial-
richter und Stadtverordneter hinlänglich Gelegenheit, Beobachtungen über die
Mangclhciftigkeit der damaligen Verwaltungszustände zu machen, und von dort
stammte seine Begeisterung für die Selbstverwaltung, seine Abneigung gegen
die Bllrenukratie, das Mandarinentum, wie er sich gern ausdrückte. Daß er
solche Zustände in der Nationalversammlung 1848 rücksichtslos besprach,
machte ihm die meisten Feinde. Später hat er sich selbst vorgeworfen, die
Dinge zu sehr „als Jurist, uach Lage der Akten" beurteilt zu haben, und in
den Grenzboten nannte ihn der Verfasser der „Parlamentarischen Größen,"
W. Rogge, „den preußischen Assessor." Aber einen komischen Eindruck mußte
es macheu, als nach deu Verhandlungen über die .Kreisordnung, in denen er
als Referent Mitteilungen aus einem ungeheuern Material von Petitionen und
Beschwerden aus den östlichen Provinzen gemacht hatte, aus seinem Wahl¬
kreise öffentlich die brüske Aufforderung an ihn erging, seine Verleumdungen
entweder zu beweisen oder zurückzunehmen. Der Mangel an politischer Bil¬
dung war also nicht nur, wie so oft behauptet worden ist, auf Seiten der
Reformer zu finden. Er gehörte damals mit Rvdbertns, v. Berg, Kirch¬
mann dein linken Zentrum ein, stand wie alle seine Parteigenossen auf dem
Boden der Vvllssvuveränitüt und legte in diesem Sinne den verschieden deut¬
baren Ausdruck „Vereiubnruug einer Verfassung" aus.

Es ist unnötig, seine Thätigkeit als Abgeordneter hier im einzelnen zu
verfolgen. Die Beteiligung am Steuerverweigerungsbeschlnsse und an den
Versuchen, deu Beschluß in Kraft treten zu lassen, sowie das Referat über
den Belagerungszustand in Berlin mußten in jedem Nekrolog besprochen
werden, da sie bestimmend in sein Leben eingegriffen haben. Es ist unver¬
kennbar, daß sein Sarkasmus, der die Freude seiner Gesinnungsgenossen war,
die Gegner ganz besonders gereizt hatte. Man scheute sich nicht, die albernsten
Anschuldigungen gegen ihn zu verbreiten. Wie vou Gottfried Semper gesagt
und geglaubt wordeu ist, er habe im Mai 1849 das von ihm selbst erbaute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/432>, abgerufen am 23.07.2024.