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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ereignis behandelt. Wird, was ich darüber hinaus mitteilen kann, was mir
teure Erinnerung ist, noch die Teilnahme der Leser erregen? Und dennoch
glaube ich die Gelegenheit zu einzelnen Berichtigungen oder Ergänzungen nicht
von der Hand weisen zu dürfen.

Mehrfach ist auf sein Pommertum hingewiesen worden, und es wäre in
der That uicht schwer, manche Eigenschaft oder Eigenheit auf sein Geburts¬
land zurückzuführen. Er selbst hat gelegentlich hiervon Gebrauch gemacht, z. B.
wenn von seiner Zähigkeit oder von der Anwendung kräftiger Ausdrücke die
Rede war. Die Ethnologen kann es daher interessiren, daß er der erste pom-
mersche Bücher war. Unser Vater war der älteste Sohn eines kursächsischen
Justizamtmauns im Mnnsfeldischeu, wurde Philolog -- und eine philologische
Ader haben alle Söhne von ihm geerbt --, kam durch seineu Freund Franz
Passow an das Gymnasium in Jenkan bei Danzig und durch die Einver¬
leibung des Freistaats Danzig in preußische Dienste. Die Mutter aber, eine
geborne Hennet, stammte aus der französischen Kolonie Berlins. Ob von
daher ein gallischer, ein fränkischer oder was sonst für ein Tropfen in unser
Blut gekommen ist, weiß ich nicht zu sage". Eine in Osterreich in deu Frei
herrustand erhobne Familie desselben Namens Hennet ist dahin aus Belgien
gekommen lind soll schweizerischen Ursprungs sein. Genug, was an unsern
Heimatsbvden erinnert, verdanken wir diesem allein.

In Neustettin am 25>. Oktober 1817 geboren, kam Lothar schon wenige
Jahre später nach Kostin, wohin der Vater als Prorektor an das neugegründete
Ghmnasinm berufen worden war. Kostin liegt übrigens nicht in der "Kassubci,"
wie ich dieser Tage gelesen habe, auch keineswegs in einer Sandwüste. Eine
halbe Stunde gegen Osten erhebt sich "der höchste Berg des pommerschen Fest¬
landes" -- 146 Meter hoch! --, der durch seinen Namen Götter noch an die
slawische Vergangenheit des Landes erinnert, nordwestlich breitet sich ein schöner
Buchenwald aus, und auf der Nordseite ist in einer Stunde ein nicht un-
bedeutender See zu erreichen, den ein schmaler Dünenstreif vom Meere trennt.
Auch die unmittelbare Umgebung der Stadt ist durch Verwandlung des Walles
und eines alten Friedhofs in Spaziergänge sehr anmutig gestaltet. An Ge¬
legenheit, sich in Wald und Feld, im Wasser und auf dem Wasser zu tummeln,
fehlt es also nicht, sogar ein Stückchen Romantik, der Jugend so notwendig,
war noch vorhanden, obgleich die Stadt nach einem großen Brande zu An¬
fange des vorigen Jahrhunderts im Stil jener Zeit nen aufgebaut worden ist.
Einzelne gerettete Giebelhäuser unterbrachen erfreulich die einförmig in gleicher
Dachhöhe hinlaufenden Häuserzeilen, ein trotziger Thorturm mit Simsen und
Lisenen erzählte von Fehden mit der ritterbürtigem Nachbarschaft, und eine von


r"drungen nicht hereingezogn; das Zahlenmaterial dafür würde wohl auch noch nicht zu
haben gewesen sein.

Ereignis behandelt. Wird, was ich darüber hinaus mitteilen kann, was mir
teure Erinnerung ist, noch die Teilnahme der Leser erregen? Und dennoch
glaube ich die Gelegenheit zu einzelnen Berichtigungen oder Ergänzungen nicht
von der Hand weisen zu dürfen.

Mehrfach ist auf sein Pommertum hingewiesen worden, und es wäre in
der That uicht schwer, manche Eigenschaft oder Eigenheit auf sein Geburts¬
land zurückzuführen. Er selbst hat gelegentlich hiervon Gebrauch gemacht, z. B.
wenn von seiner Zähigkeit oder von der Anwendung kräftiger Ausdrücke die
Rede war. Die Ethnologen kann es daher interessiren, daß er der erste pom-
mersche Bücher war. Unser Vater war der älteste Sohn eines kursächsischen
Justizamtmauns im Mnnsfeldischeu, wurde Philolog — und eine philologische
Ader haben alle Söhne von ihm geerbt —, kam durch seineu Freund Franz
Passow an das Gymnasium in Jenkan bei Danzig und durch die Einver¬
leibung des Freistaats Danzig in preußische Dienste. Die Mutter aber, eine
geborne Hennet, stammte aus der französischen Kolonie Berlins. Ob von
daher ein gallischer, ein fränkischer oder was sonst für ein Tropfen in unser
Blut gekommen ist, weiß ich nicht zu sage». Eine in Osterreich in deu Frei
herrustand erhobne Familie desselben Namens Hennet ist dahin aus Belgien
gekommen lind soll schweizerischen Ursprungs sein. Genug, was an unsern
Heimatsbvden erinnert, verdanken wir diesem allein.

In Neustettin am 25>. Oktober 1817 geboren, kam Lothar schon wenige
Jahre später nach Kostin, wohin der Vater als Prorektor an das neugegründete
Ghmnasinm berufen worden war. Kostin liegt übrigens nicht in der „Kassubci,"
wie ich dieser Tage gelesen habe, auch keineswegs in einer Sandwüste. Eine
halbe Stunde gegen Osten erhebt sich „der höchste Berg des pommerschen Fest¬
landes" — 146 Meter hoch! —, der durch seinen Namen Götter noch an die
slawische Vergangenheit des Landes erinnert, nordwestlich breitet sich ein schöner
Buchenwald aus, und auf der Nordseite ist in einer Stunde ein nicht un-
bedeutender See zu erreichen, den ein schmaler Dünenstreif vom Meere trennt.
Auch die unmittelbare Umgebung der Stadt ist durch Verwandlung des Walles
und eines alten Friedhofs in Spaziergänge sehr anmutig gestaltet. An Ge¬
legenheit, sich in Wald und Feld, im Wasser und auf dem Wasser zu tummeln,
fehlt es also nicht, sogar ein Stückchen Romantik, der Jugend so notwendig,
war noch vorhanden, obgleich die Stadt nach einem großen Brande zu An¬
fange des vorigen Jahrhunderts im Stil jener Zeit nen aufgebaut worden ist.
Einzelne gerettete Giebelhäuser unterbrachen erfreulich die einförmig in gleicher
Dachhöhe hinlaufenden Häuserzeilen, ein trotziger Thorturm mit Simsen und
Lisenen erzählte von Fehden mit der ritterbürtigem Nachbarschaft, und eine von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/429>, abgerufen am 22.12.2024.