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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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sind es oft die größten Kleinigkeiten, über die sich die Menschen herumstreiten.
Frau von Suttner belustigt sich über das bischen Luxemburg, das im
Jahre 1867 das so beliebte "Krieg in Sicht" Hervorries, und erzählt, daß sie
erst wieder Studien über das Wesen der sogenannten "Frage" habe anstellen
müssen, wie einst über Schleswig-Holstein. "Luxemburg? Was war denn
das so weltwichtiges?" Aber Luxemburg ist doch immerhin noch etwas,
es mag wenig sein, aber was sind das oft für unwichtige, läppische Sachen
und Sächelchen, worüber sich die Helden des Worts und der Feder in den
Haaren liegen! Ein Volksredner hält dabei des großen Zwecks wegen oft
ganz militärische Strapazen aus. Stundenlang, bis in die Nacht hinein, sitzt
er in den überfüllten, heißen Lokalen und müht sich im Schweiße seines An¬
gesichts und mit Aufbietung seiner Lungen- und Stimmkräfte ab, die Leute
eines bessern zu belehren. Es ist wahrlich kein beneidenswertes Dasein, das
die, die sich als geistige Kämpfer der sogenannten friedlichen Agitation ge¬
widmet haben, führen müssen, es ist "Krieg im Frieden." Der trotz seines
hohen Alters so jugendfrische Liebknecht hatte allen Grund, seine im Interesse
seiner Partei unternommene Reise nach Marseille und zurück, die abwechselnd aus
"Eisenbahnräderung" und aus langen Reden bestand, mit dein sehr zeitgemäßen
Ausdruck "Distanzfahrt" zu bezeichnen. Es war in der That eine achtung¬
gebietende Leistung: hundertzehn Stunden auf der Eisenbahn, und zum Schluß
sechs Abende in ununterbrochner Reihenfolge Volksversammlungen! Die Sucht,
"den besten Rekord zu machen," ist nicht bloß auf das Militär beschränkt,
sondern durchdringt die ganze Zeit.

Es ist merkwürdig, welche innige Vorliebe der Geisterkampf und dem¬
gemäß auch die Partei, die ihn so eifrig Pflegt, für echt militärische Worte
und Wendungen haben. Die Erscheinung selbst ist leicht festzustellen, man
braucht sich zu dem Zweck nur in der sozialdemokratischen Litteratur und in
den Zeitungen umzusehn, während man über die Gründe zu ihrer Erklärung
im Zweifel sein kann. Kann sich selbst die Sozialdemokratie des deutschen
Reiches, in dem "etwas militärisches schon überall dabei sein muß," nicht von
der allgemeinen Mode ausschließen, wird auch sie uur getrieben, während sie
zu treiben glaubt? Hugo Vlümner, Professor der klassischen Philologie in
Zürich, hat ein Buch über deu bildlichen Ausdruck in den Reden des Fürsten
Bismarck geschrieben; niemand wird sich über seine Entdeckung wundern, daß
"die Metaphern und Bilder, die vom Waffen- und Kriegswesen entnommen
sind, außerordentlich zahlreich sind." Nun, die Sozialdemokratie ist in diesem
Stücke bismärckischer als der ihr so verhaßte Bismarck. Der "Mann von
Blut und Eisen," der nicht davor zurückschrak, unter Zustimmung seines
Herrschers, der Soldat mit Leib und Seele war, das neue Reich durch die
Arbeit des Schwertes zusammenzukitten, redet naturlich wie ein Militär, aber
wie kommt die friedliche Sozialdemokratie dazu, es ebenso zu machen? Krieg,


sind es oft die größten Kleinigkeiten, über die sich die Menschen herumstreiten.
Frau von Suttner belustigt sich über das bischen Luxemburg, das im
Jahre 1867 das so beliebte „Krieg in Sicht" Hervorries, und erzählt, daß sie
erst wieder Studien über das Wesen der sogenannten „Frage" habe anstellen
müssen, wie einst über Schleswig-Holstein. „Luxemburg? Was war denn
das so weltwichtiges?" Aber Luxemburg ist doch immerhin noch etwas,
es mag wenig sein, aber was sind das oft für unwichtige, läppische Sachen
und Sächelchen, worüber sich die Helden des Worts und der Feder in den
Haaren liegen! Ein Volksredner hält dabei des großen Zwecks wegen oft
ganz militärische Strapazen aus. Stundenlang, bis in die Nacht hinein, sitzt
er in den überfüllten, heißen Lokalen und müht sich im Schweiße seines An¬
gesichts und mit Aufbietung seiner Lungen- und Stimmkräfte ab, die Leute
eines bessern zu belehren. Es ist wahrlich kein beneidenswertes Dasein, das
die, die sich als geistige Kämpfer der sogenannten friedlichen Agitation ge¬
widmet haben, führen müssen, es ist „Krieg im Frieden." Der trotz seines
hohen Alters so jugendfrische Liebknecht hatte allen Grund, seine im Interesse
seiner Partei unternommene Reise nach Marseille und zurück, die abwechselnd aus
„Eisenbahnräderung" und aus langen Reden bestand, mit dein sehr zeitgemäßen
Ausdruck „Distanzfahrt" zu bezeichnen. Es war in der That eine achtung¬
gebietende Leistung: hundertzehn Stunden auf der Eisenbahn, und zum Schluß
sechs Abende in ununterbrochner Reihenfolge Volksversammlungen! Die Sucht,
„den besten Rekord zu machen," ist nicht bloß auf das Militär beschränkt,
sondern durchdringt die ganze Zeit.

Es ist merkwürdig, welche innige Vorliebe der Geisterkampf und dem¬
gemäß auch die Partei, die ihn so eifrig Pflegt, für echt militärische Worte
und Wendungen haben. Die Erscheinung selbst ist leicht festzustellen, man
braucht sich zu dem Zweck nur in der sozialdemokratischen Litteratur und in
den Zeitungen umzusehn, während man über die Gründe zu ihrer Erklärung
im Zweifel sein kann. Kann sich selbst die Sozialdemokratie des deutschen
Reiches, in dem „etwas militärisches schon überall dabei sein muß," nicht von
der allgemeinen Mode ausschließen, wird auch sie uur getrieben, während sie
zu treiben glaubt? Hugo Vlümner, Professor der klassischen Philologie in
Zürich, hat ein Buch über deu bildlichen Ausdruck in den Reden des Fürsten
Bismarck geschrieben; niemand wird sich über seine Entdeckung wundern, daß
„die Metaphern und Bilder, die vom Waffen- und Kriegswesen entnommen
sind, außerordentlich zahlreich sind." Nun, die Sozialdemokratie ist in diesem
Stücke bismärckischer als der ihr so verhaßte Bismarck. Der „Mann von
Blut und Eisen," der nicht davor zurückschrak, unter Zustimmung seines
Herrschers, der Soldat mit Leib und Seele war, das neue Reich durch die
Arbeit des Schwertes zusammenzukitten, redet naturlich wie ein Militär, aber
wie kommt die friedliche Sozialdemokratie dazu, es ebenso zu machen? Krieg,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/408>, abgerufen am 23.07.2024.