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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozialdemokratie

steht ihnen eine Erfindung zur Verfügung, der an Vielseitigkeit der Verwen¬
dung und an Mächtigkeit der Wirkung keine militärische gleichkommt. Die
Heiden Kampfcsarten stimmen wieder darin überein, daß der ganze Apparat,
dessen sie bedürfen, außerordentlich kostspielig ist, denn auch der Geisteskampf
mit seinen Zeitungen und ihrem Personal, mit seinen Bereinen und Versamm¬
lungen verschlingt Unsummen an Geld, die sich nicht einmal berechnen lassen.
Wie kultivirt erscheint jedoch wieder dieser neuzeitliche Kampf, wenn man be¬
denkt, daß er bei einer Meinungsverschiedenheit der Geister die Entscheidung
darüber, wer im Rechte ist, auf die einfachste und würdigste Weise durch die
Abgabe von Stimmzetteln bewirkt. Was nützt es, sich mit Worten zu streiten,
wenn hinterher doch ein Handgemenge entscheiden soll, worin die, die am
beste" zu fechten und zu schießen verstehen, den Preis erhalten? Das sind
Fertigkeiten, die im Geisterkampf ohne alle Bedeutung sind; die vorzüglichsten
Kämpen sind hier die, die das Publikum mit ihrer Rednergabe von der Rich¬
tigkeit ihrer Ansichten zu überzeugen wissen, und die Probe auf ihre Be¬
gabung ist dann als durchaus tadelloser Abschluß eben die Abstimmung des
Publikums.

Die Sozialdemokratie, als die Partei des Friedens, hat sich auch am
meisten mit dem neuen Kampf mit geistigen Waffen befreundet, während sich
die übrigen Parteien, die ihre Gegner sind, niemals unzweideutig gegen den
ältern Militarismus auszusprechen wagen. Es giebt Sozialdemokraten, die
es sogar bezweifeln, daß ihre Gegner überhaupt im Besitze von geistigen Waffen
seien, oder wenigstens meinen, daß die Bewaffnung herzlich schlecht sei. Der
"Vorwärts" verglich einmal die Angst, die die Sozinldemolratie vor diesen Waffen
hat, mit der Angst, die unsre Schutztrnppeu in Afrika empfinden, wenn irgend
ein von der Kultur nicht beleckter Negerstamm mit Knüppeln und Kinderbogen
angerückt kommt. Da die Gegner in diesem Kampfe so außerordentlich un¬
tüchtig sind, haben die Sozialdemokraten auch wohl gemeint, es wäre für die
Gegner besser, wenn sie sich gar nicht auf ihn einließen, da sie doch nur
unterliege" konnten; außerdem müßten sie fortwährend befürchten, daß zahl¬
reiche Überläufer ins sozialistische Lager übergingen, weil man den Sozialis¬
mus, wenn man ihn geistig bekämpfen wolle, studiren und zu begreifen ver¬
suchen müßte, dabei aber von der Unwiderleglichkeit der sozialistischen Ge¬
dankenwelt nur zu leicht überzeugt werden konnte. Aus diese Weise wäre
schon mancher aus einem Saulus ein Paulus geworden.

Wenn die Parteien nur von der Stumpfheit der gegnerischen und der
Schärfe der eignen Waffen mit erklärlichen Selbstbewußtsein reden wollten,
so würde der Geisteskampf in ziemlicher Ruhe verlaufen können. Der Streit
wäre jedesmal beendigt, nachdem die vox xoxuli ihr sachverständiges Urteil
über die Waffen durch die Abstimmung abgegeben Hütte, vor dem sich alle als
vor einer unanfechtbaren Autorität zu beugen hätten. Leider geht aber die


Der Militarismus der Sozialdemokratie

steht ihnen eine Erfindung zur Verfügung, der an Vielseitigkeit der Verwen¬
dung und an Mächtigkeit der Wirkung keine militärische gleichkommt. Die
Heiden Kampfcsarten stimmen wieder darin überein, daß der ganze Apparat,
dessen sie bedürfen, außerordentlich kostspielig ist, denn auch der Geisteskampf
mit seinen Zeitungen und ihrem Personal, mit seinen Bereinen und Versamm¬
lungen verschlingt Unsummen an Geld, die sich nicht einmal berechnen lassen.
Wie kultivirt erscheint jedoch wieder dieser neuzeitliche Kampf, wenn man be¬
denkt, daß er bei einer Meinungsverschiedenheit der Geister die Entscheidung
darüber, wer im Rechte ist, auf die einfachste und würdigste Weise durch die
Abgabe von Stimmzetteln bewirkt. Was nützt es, sich mit Worten zu streiten,
wenn hinterher doch ein Handgemenge entscheiden soll, worin die, die am
beste» zu fechten und zu schießen verstehen, den Preis erhalten? Das sind
Fertigkeiten, die im Geisterkampf ohne alle Bedeutung sind; die vorzüglichsten
Kämpen sind hier die, die das Publikum mit ihrer Rednergabe von der Rich¬
tigkeit ihrer Ansichten zu überzeugen wissen, und die Probe auf ihre Be¬
gabung ist dann als durchaus tadelloser Abschluß eben die Abstimmung des
Publikums.

Die Sozialdemokratie, als die Partei des Friedens, hat sich auch am
meisten mit dem neuen Kampf mit geistigen Waffen befreundet, während sich
die übrigen Parteien, die ihre Gegner sind, niemals unzweideutig gegen den
ältern Militarismus auszusprechen wagen. Es giebt Sozialdemokraten, die
es sogar bezweifeln, daß ihre Gegner überhaupt im Besitze von geistigen Waffen
seien, oder wenigstens meinen, daß die Bewaffnung herzlich schlecht sei. Der
„Vorwärts" verglich einmal die Angst, die die Sozinldemolratie vor diesen Waffen
hat, mit der Angst, die unsre Schutztrnppeu in Afrika empfinden, wenn irgend
ein von der Kultur nicht beleckter Negerstamm mit Knüppeln und Kinderbogen
angerückt kommt. Da die Gegner in diesem Kampfe so außerordentlich un¬
tüchtig sind, haben die Sozialdemokraten auch wohl gemeint, es wäre für die
Gegner besser, wenn sie sich gar nicht auf ihn einließen, da sie doch nur
unterliege« konnten; außerdem müßten sie fortwährend befürchten, daß zahl¬
reiche Überläufer ins sozialistische Lager übergingen, weil man den Sozialis¬
mus, wenn man ihn geistig bekämpfen wolle, studiren und zu begreifen ver¬
suchen müßte, dabei aber von der Unwiderleglichkeit der sozialistischen Ge¬
dankenwelt nur zu leicht überzeugt werden konnte. Aus diese Weise wäre
schon mancher aus einem Saulus ein Paulus geworden.

Wenn die Parteien nur von der Stumpfheit der gegnerischen und der
Schärfe der eignen Waffen mit erklärlichen Selbstbewußtsein reden wollten,
so würde der Geisteskampf in ziemlicher Ruhe verlaufen können. Der Streit
wäre jedesmal beendigt, nachdem die vox xoxuli ihr sachverständiges Urteil
über die Waffen durch die Abstimmung abgegeben Hütte, vor dem sich alle als
vor einer unanfechtbaren Autorität zu beugen hätten. Leider geht aber die


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[0406] Der Militarismus der Sozialdemokratie steht ihnen eine Erfindung zur Verfügung, der an Vielseitigkeit der Verwen¬ dung und an Mächtigkeit der Wirkung keine militärische gleichkommt. Die Heiden Kampfcsarten stimmen wieder darin überein, daß der ganze Apparat, dessen sie bedürfen, außerordentlich kostspielig ist, denn auch der Geisteskampf mit seinen Zeitungen und ihrem Personal, mit seinen Bereinen und Versamm¬ lungen verschlingt Unsummen an Geld, die sich nicht einmal berechnen lassen. Wie kultivirt erscheint jedoch wieder dieser neuzeitliche Kampf, wenn man be¬ denkt, daß er bei einer Meinungsverschiedenheit der Geister die Entscheidung darüber, wer im Rechte ist, auf die einfachste und würdigste Weise durch die Abgabe von Stimmzetteln bewirkt. Was nützt es, sich mit Worten zu streiten, wenn hinterher doch ein Handgemenge entscheiden soll, worin die, die am beste» zu fechten und zu schießen verstehen, den Preis erhalten? Das sind Fertigkeiten, die im Geisterkampf ohne alle Bedeutung sind; die vorzüglichsten Kämpen sind hier die, die das Publikum mit ihrer Rednergabe von der Rich¬ tigkeit ihrer Ansichten zu überzeugen wissen, und die Probe auf ihre Be¬ gabung ist dann als durchaus tadelloser Abschluß eben die Abstimmung des Publikums. Die Sozialdemokratie, als die Partei des Friedens, hat sich auch am meisten mit dem neuen Kampf mit geistigen Waffen befreundet, während sich die übrigen Parteien, die ihre Gegner sind, niemals unzweideutig gegen den ältern Militarismus auszusprechen wagen. Es giebt Sozialdemokraten, die es sogar bezweifeln, daß ihre Gegner überhaupt im Besitze von geistigen Waffen seien, oder wenigstens meinen, daß die Bewaffnung herzlich schlecht sei. Der „Vorwärts" verglich einmal die Angst, die die Sozinldemolratie vor diesen Waffen hat, mit der Angst, die unsre Schutztrnppeu in Afrika empfinden, wenn irgend ein von der Kultur nicht beleckter Negerstamm mit Knüppeln und Kinderbogen angerückt kommt. Da die Gegner in diesem Kampfe so außerordentlich un¬ tüchtig sind, haben die Sozialdemokraten auch wohl gemeint, es wäre für die Gegner besser, wenn sie sich gar nicht auf ihn einließen, da sie doch nur unterliege« konnten; außerdem müßten sie fortwährend befürchten, daß zahl¬ reiche Überläufer ins sozialistische Lager übergingen, weil man den Sozialis¬ mus, wenn man ihn geistig bekämpfen wolle, studiren und zu begreifen ver¬ suchen müßte, dabei aber von der Unwiderleglichkeit der sozialistischen Ge¬ dankenwelt nur zu leicht überzeugt werden konnte. Aus diese Weise wäre schon mancher aus einem Saulus ein Paulus geworden. Wenn die Parteien nur von der Stumpfheit der gegnerischen und der Schärfe der eignen Waffen mit erklärlichen Selbstbewußtsein reden wollten, so würde der Geisteskampf in ziemlicher Ruhe verlaufen können. Der Streit wäre jedesmal beendigt, nachdem die vox xoxuli ihr sachverständiges Urteil über die Waffen durch die Abstimmung abgegeben Hütte, vor dem sich alle als vor einer unanfechtbaren Autorität zu beugen hätten. Leider geht aber die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/406>, abgerufen am 23.07.2024.