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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Theaterreformen

zeigen, gut leben. Man weiß oft nicht, warum sie der Himmel gerade zu
diesem Gewerbe geführt hat, ob sie geistig oder auch nur geschäftlich dazu
befähigt sind, und der Staat verlangt von ihnen keinen Nachweis, auf Grund
welcher geistigen oder sittlichen Begabung sie sich als Bühnenleiter aufspielen.
Gevatter Schneider und Handschuhmacher können, wenn sie nur das erforder¬
liche Vermögen beibringen, und oft auch ohne dies, das verantwortungsvolle
und schwierige Amt eines Theaterdirektors übernehmen; solche Fülle kommen
nicht nur in kleinen Städten, sondern auch in großen und größten vor. Es
werden jetzt so viele Anfragen, oder wie das amtliche Wort heißt: Enqueten
veranstaltet, man sollte auch einmal eine Umfrage stellen nach Vorbildung,
früheren Beruf, meinetwegen auch nach der Abstammung der Theaterdirektoren
im weiten deutschen Reich. Es würden gewiß höchst eigentümliche Ergebnisse
zu Tage kommen. Wundern wird man sich freilich über diese Zustände nicht
dürfen, so lange noch selbst an Hofbühnen ein Offizierspatent oder der Titel
eines Hofbeamten als Befähigungsnachweis für die Stellung eines Intendanten
augesehen wird. Wenn auch diese Herren über eine allgemeine Bildung und
über die sittliche Befähigung zu diesem Posten verfügen mögen, so genügen
diese Eigenschaften doch nicht für den Leiter einer Bühne, die der Kunst als
solcher eine gastliche Stätte bereiten soll. Ganz abgesehen aber von diesen
Verhältnissen, an deren Stelle vielfach bereits bessere getreten sind, ist von
den Hosbühnen, so wunderlich das klingen mag, für die Theaterreform wenig
zu erwarten.

Hvfbühnen bleiben, so reiche Mittel ihnen auch ein kunstsinniger Fürst
zuwenden mag, immer noch vom Erwerb abhängig; die besondern An¬
forderungen, die an die künstlerische Leistungsfähigkeit dieser Anstalten gestellt
werden, erheischen bei den gegenwärtigen, ohne Zweifel ungesunden Ein¬
kommensverhältnissen tüchtiger Kräfte einen außerordentlich hohen Aufwand,
zu dessen Deckung anch die Quellen, die aus schlechtem Boden fließen, und
das sind leider die reichsten, erschlossen werden müssen. Auf das lediglich der
flüchtigen Unterhaltung gewidmete Zug- und Kassenstück kaun, und nicht nur
aus finanziellen Gründen, auch eine Hofbühne nicht verzichten, denn die Be¬
deutung, den Sinn für das hohe und edle Kunstwerk durch den Gegensatz
aufs neue empfänglich zu machen, soll der Aufführung von Bühnenwerken
leichtern Gewichts nicht bestritten werden, so weit sie sich in maßvollen, Wohl
erwoguen Grenzen hält. Ob dies an allen Hofbühnen geschieht, und ob dem
heutigen Geschmack an leichter und oberflächlicher Ware nicht zu oft Zuge¬
ständnisse gemacht werden, soll hier nicht untersucht werden, obwohl es sich
verlohnen würde, die Spielpläne unsrer Hofbühnen einmal von diesem Gesichts¬
punkte aus durchzugehen. Dem sei, wie ihm wolle, im großen und ganzen
wird man es als ein Verdienst unsrer Hofbühnen ansehen müssen, daß sie
bestrebt, freilich auch durch ihre äußern Grundlagen in diesem Bestreben unter-


Theaterreformen

zeigen, gut leben. Man weiß oft nicht, warum sie der Himmel gerade zu
diesem Gewerbe geführt hat, ob sie geistig oder auch nur geschäftlich dazu
befähigt sind, und der Staat verlangt von ihnen keinen Nachweis, auf Grund
welcher geistigen oder sittlichen Begabung sie sich als Bühnenleiter aufspielen.
Gevatter Schneider und Handschuhmacher können, wenn sie nur das erforder¬
liche Vermögen beibringen, und oft auch ohne dies, das verantwortungsvolle
und schwierige Amt eines Theaterdirektors übernehmen; solche Fülle kommen
nicht nur in kleinen Städten, sondern auch in großen und größten vor. Es
werden jetzt so viele Anfragen, oder wie das amtliche Wort heißt: Enqueten
veranstaltet, man sollte auch einmal eine Umfrage stellen nach Vorbildung,
früheren Beruf, meinetwegen auch nach der Abstammung der Theaterdirektoren
im weiten deutschen Reich. Es würden gewiß höchst eigentümliche Ergebnisse
zu Tage kommen. Wundern wird man sich freilich über diese Zustände nicht
dürfen, so lange noch selbst an Hofbühnen ein Offizierspatent oder der Titel
eines Hofbeamten als Befähigungsnachweis für die Stellung eines Intendanten
augesehen wird. Wenn auch diese Herren über eine allgemeine Bildung und
über die sittliche Befähigung zu diesem Posten verfügen mögen, so genügen
diese Eigenschaften doch nicht für den Leiter einer Bühne, die der Kunst als
solcher eine gastliche Stätte bereiten soll. Ganz abgesehen aber von diesen
Verhältnissen, an deren Stelle vielfach bereits bessere getreten sind, ist von
den Hosbühnen, so wunderlich das klingen mag, für die Theaterreform wenig
zu erwarten.

Hvfbühnen bleiben, so reiche Mittel ihnen auch ein kunstsinniger Fürst
zuwenden mag, immer noch vom Erwerb abhängig; die besondern An¬
forderungen, die an die künstlerische Leistungsfähigkeit dieser Anstalten gestellt
werden, erheischen bei den gegenwärtigen, ohne Zweifel ungesunden Ein¬
kommensverhältnissen tüchtiger Kräfte einen außerordentlich hohen Aufwand,
zu dessen Deckung anch die Quellen, die aus schlechtem Boden fließen, und
das sind leider die reichsten, erschlossen werden müssen. Auf das lediglich der
flüchtigen Unterhaltung gewidmete Zug- und Kassenstück kaun, und nicht nur
aus finanziellen Gründen, auch eine Hofbühne nicht verzichten, denn die Be¬
deutung, den Sinn für das hohe und edle Kunstwerk durch den Gegensatz
aufs neue empfänglich zu machen, soll der Aufführung von Bühnenwerken
leichtern Gewichts nicht bestritten werden, so weit sie sich in maßvollen, Wohl
erwoguen Grenzen hält. Ob dies an allen Hofbühnen geschieht, und ob dem
heutigen Geschmack an leichter und oberflächlicher Ware nicht zu oft Zuge¬
ständnisse gemacht werden, soll hier nicht untersucht werden, obwohl es sich
verlohnen würde, die Spielpläne unsrer Hofbühnen einmal von diesem Gesichts¬
punkte aus durchzugehen. Dem sei, wie ihm wolle, im großen und ganzen
wird man es als ein Verdienst unsrer Hofbühnen ansehen müssen, daß sie
bestrebt, freilich auch durch ihre äußern Grundlagen in diesem Bestreben unter-


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[0376] Theaterreformen zeigen, gut leben. Man weiß oft nicht, warum sie der Himmel gerade zu diesem Gewerbe geführt hat, ob sie geistig oder auch nur geschäftlich dazu befähigt sind, und der Staat verlangt von ihnen keinen Nachweis, auf Grund welcher geistigen oder sittlichen Begabung sie sich als Bühnenleiter aufspielen. Gevatter Schneider und Handschuhmacher können, wenn sie nur das erforder¬ liche Vermögen beibringen, und oft auch ohne dies, das verantwortungsvolle und schwierige Amt eines Theaterdirektors übernehmen; solche Fülle kommen nicht nur in kleinen Städten, sondern auch in großen und größten vor. Es werden jetzt so viele Anfragen, oder wie das amtliche Wort heißt: Enqueten veranstaltet, man sollte auch einmal eine Umfrage stellen nach Vorbildung, früheren Beruf, meinetwegen auch nach der Abstammung der Theaterdirektoren im weiten deutschen Reich. Es würden gewiß höchst eigentümliche Ergebnisse zu Tage kommen. Wundern wird man sich freilich über diese Zustände nicht dürfen, so lange noch selbst an Hofbühnen ein Offizierspatent oder der Titel eines Hofbeamten als Befähigungsnachweis für die Stellung eines Intendanten augesehen wird. Wenn auch diese Herren über eine allgemeine Bildung und über die sittliche Befähigung zu diesem Posten verfügen mögen, so genügen diese Eigenschaften doch nicht für den Leiter einer Bühne, die der Kunst als solcher eine gastliche Stätte bereiten soll. Ganz abgesehen aber von diesen Verhältnissen, an deren Stelle vielfach bereits bessere getreten sind, ist von den Hosbühnen, so wunderlich das klingen mag, für die Theaterreform wenig zu erwarten. Hvfbühnen bleiben, so reiche Mittel ihnen auch ein kunstsinniger Fürst zuwenden mag, immer noch vom Erwerb abhängig; die besondern An¬ forderungen, die an die künstlerische Leistungsfähigkeit dieser Anstalten gestellt werden, erheischen bei den gegenwärtigen, ohne Zweifel ungesunden Ein¬ kommensverhältnissen tüchtiger Kräfte einen außerordentlich hohen Aufwand, zu dessen Deckung anch die Quellen, die aus schlechtem Boden fließen, und das sind leider die reichsten, erschlossen werden müssen. Auf das lediglich der flüchtigen Unterhaltung gewidmete Zug- und Kassenstück kaun, und nicht nur aus finanziellen Gründen, auch eine Hofbühne nicht verzichten, denn die Be¬ deutung, den Sinn für das hohe und edle Kunstwerk durch den Gegensatz aufs neue empfänglich zu machen, soll der Aufführung von Bühnenwerken leichtern Gewichts nicht bestritten werden, so weit sie sich in maßvollen, Wohl erwoguen Grenzen hält. Ob dies an allen Hofbühnen geschieht, und ob dem heutigen Geschmack an leichter und oberflächlicher Ware nicht zu oft Zuge¬ ständnisse gemacht werden, soll hier nicht untersucht werden, obwohl es sich verlohnen würde, die Spielpläne unsrer Hofbühnen einmal von diesem Gesichts¬ punkte aus durchzugehen. Dem sei, wie ihm wolle, im großen und ganzen wird man es als ein Verdienst unsrer Hofbühnen ansehen müssen, daß sie bestrebt, freilich auch durch ihre äußern Grundlagen in diesem Bestreben unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/376>, abgerufen am 22.12.2024.