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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

glaube, sie hätte es selber gern gethan, wenn sie hübsch genug dazu gewesen
wäre. Ich kann mir sonst nicht die lächerliche Wut erklären, mit der sie zu
Hause über Anna Hersiel und ihr die Thür wies. Mein Bruder soll sich
aber sehr anständig gegen die Anna gezeigt haben; wenigstens erzählte mir
der Kutscher, daß er sogar ihre Wohnung in der Steglitzer Straße bezahle. Ja
ja, es giebt noch edle Menschen!

Ich mußte heute an unsern Spaziergang denken, den wir einmal als
Knaben von unsrer Vaterstadt nach Groß-Lubellin machten, wo der Graf
Kerkvw sein altes Schloß hat. Der Graf hat also richtig auch abgewirt¬
schaftet, oder vielmehr seine Herren Sohne Habens fertig gebracht. Dieser
alte Adel scheint jetzt seine Ehre darin zu suchen, den Söhnen der reichen
Börsenhelden im stumpfsinnigsten Luxus, im kostspieligsten Sport und in den
lächerlichsten Vergeudungen den Rang abzulaufen. Wenn auch mein Bruder
über diesen wunderlichen Wettkampf entzückt ist, ich muß doch sagen, daß ich
kein rechtes Verständnis dafür habe. Er freut sich nämlich jedesmal wie ein
Kind, wenn wieder ein altes Geschlecht "vor die Hunde gegangen ist." Und
daß die stolzen, unnahbaren Kerkows jetzt so weit sind, daß sie einem aus der
Hand fressen, das bereitet ihm ein maßloses Vergnügen. Er zitirte sogar
Schillers Vers: Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen! Du erinnerst
dich wohl, der alte Graf hatte ihn einmal, als er ein Junge vou zwölf Jahren
war, mit der Reitpeitsche bearbeitet und ihn einen frechen Judenjungen genannt.
Louis war mit dem Vater gefahren, der in Groß-Lubelliu seine kleinen Ge¬
schäfte machte, hatte sich dort an die Fohlenkoppel geschlichen und den zahmen
Tieren gestoßuen Pfeffer und Salz unter den Schwanz geworfen. Da war
die Tracht Prügel nach meiner Meinung wohl verdient. Aber als das Louis
gestern Abend bei Tisch erzählte, war seine Frau außer sich über die Prügel
und das Schimpfwort und verlangte, daß Louis das Gut selbst kaufen sollte.
Sie wolle dann als neue Herrin mit Vieren lang einfahren und den verarmten
alten Grafen mit Verachtung strafen; sie hat wohl "Soll und Haben" gelesen.
Es ist ein zu eitles, dummes Frauenzimmer; heute sah ich offen auf ihrem
Schreibtisch Kritzeleien mit einer neuen vergoldeten Stahlfeder, Monogramme,
Adelskronen und Schreibversuche: "von Kanitzer auf Groß-Lubelliu." Auch
an ihrem Wagenschlag hat sie schon eine Schnörkeln anbringen lassen, so eine
Zwitterfvrm von Namenszug und Krone; man weiß nicht recht, was es sein
soll, aber sie meint, man könne es sür ein Adelswappen halten. Sie quält
meinen Bruder mit ihrer Eitelkeit und ihrem Ehrgeiz. Louis scheint auch
Lust zu haben, das Gut zu kaufen, aber ich glaube, er würde sich auf dem
Lande inmitten der alten Junker gründlich langweilen; ohne die Aufregungen
der Börse kann er nicht mehr leben. Er hat vor einigen Tagen durch
gelungne Spekulationen ungeheures Geld verdient, an einem Tage mehr, als
ein Landwirt zeitlebens durch angestrengte Arbeit auf seinem Gute erwerben


Grenzlinien IV 1892 42
Bilder aus dem Universitätsleben

glaube, sie hätte es selber gern gethan, wenn sie hübsch genug dazu gewesen
wäre. Ich kann mir sonst nicht die lächerliche Wut erklären, mit der sie zu
Hause über Anna Hersiel und ihr die Thür wies. Mein Bruder soll sich
aber sehr anständig gegen die Anna gezeigt haben; wenigstens erzählte mir
der Kutscher, daß er sogar ihre Wohnung in der Steglitzer Straße bezahle. Ja
ja, es giebt noch edle Menschen!

Ich mußte heute an unsern Spaziergang denken, den wir einmal als
Knaben von unsrer Vaterstadt nach Groß-Lubellin machten, wo der Graf
Kerkvw sein altes Schloß hat. Der Graf hat also richtig auch abgewirt¬
schaftet, oder vielmehr seine Herren Sohne Habens fertig gebracht. Dieser
alte Adel scheint jetzt seine Ehre darin zu suchen, den Söhnen der reichen
Börsenhelden im stumpfsinnigsten Luxus, im kostspieligsten Sport und in den
lächerlichsten Vergeudungen den Rang abzulaufen. Wenn auch mein Bruder
über diesen wunderlichen Wettkampf entzückt ist, ich muß doch sagen, daß ich
kein rechtes Verständnis dafür habe. Er freut sich nämlich jedesmal wie ein
Kind, wenn wieder ein altes Geschlecht „vor die Hunde gegangen ist." Und
daß die stolzen, unnahbaren Kerkows jetzt so weit sind, daß sie einem aus der
Hand fressen, das bereitet ihm ein maßloses Vergnügen. Er zitirte sogar
Schillers Vers: Es lebt ein Gott, zu strafen und zu rächen! Du erinnerst
dich wohl, der alte Graf hatte ihn einmal, als er ein Junge vou zwölf Jahren
war, mit der Reitpeitsche bearbeitet und ihn einen frechen Judenjungen genannt.
Louis war mit dem Vater gefahren, der in Groß-Lubelliu seine kleinen Ge¬
schäfte machte, hatte sich dort an die Fohlenkoppel geschlichen und den zahmen
Tieren gestoßuen Pfeffer und Salz unter den Schwanz geworfen. Da war
die Tracht Prügel nach meiner Meinung wohl verdient. Aber als das Louis
gestern Abend bei Tisch erzählte, war seine Frau außer sich über die Prügel
und das Schimpfwort und verlangte, daß Louis das Gut selbst kaufen sollte.
Sie wolle dann als neue Herrin mit Vieren lang einfahren und den verarmten
alten Grafen mit Verachtung strafen; sie hat wohl „Soll und Haben" gelesen.
Es ist ein zu eitles, dummes Frauenzimmer; heute sah ich offen auf ihrem
Schreibtisch Kritzeleien mit einer neuen vergoldeten Stahlfeder, Monogramme,
Adelskronen und Schreibversuche: „von Kanitzer auf Groß-Lubelliu." Auch
an ihrem Wagenschlag hat sie schon eine Schnörkeln anbringen lassen, so eine
Zwitterfvrm von Namenszug und Krone; man weiß nicht recht, was es sein
soll, aber sie meint, man könne es sür ein Adelswappen halten. Sie quält
meinen Bruder mit ihrer Eitelkeit und ihrem Ehrgeiz. Louis scheint auch
Lust zu haben, das Gut zu kaufen, aber ich glaube, er würde sich auf dem
Lande inmitten der alten Junker gründlich langweilen; ohne die Aufregungen
der Börse kann er nicht mehr leben. Er hat vor einigen Tagen durch
gelungne Spekulationen ungeheures Geld verdient, an einem Tage mehr, als
ein Landwirt zeitlebens durch angestrengte Arbeit auf seinem Gute erwerben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/337>, abgerufen am 23.07.2024.