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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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und seinen Anspruch auf gleiche Berechtigung und gleiche Achtung als eine
Unverschämtheit, mindestens als eine Lächerlichkeit bezeichnet?

Oh, das ist bitter, sehr bitter! Glaube mir, lieber Freund, jeder an
Geist und Herz gebildete Jude macht diese tragische" Kämpfe in unsrer Ge¬
sellschaft durch. Sie sprechen nicht darüber, sie schreiben nicht darüber, sie
ringen damit im Innern. Es ist ein verzweifelter, ein qualvoller, ein elender
Kampf, es ist eine lebenslange moralische Kreuzigung, es ist tragisch, wirklich
tragisch!

Du wirst mich uicht ganz verstehen. Wie kann auch der gesunde, frische
Horatio den kranken, verzagten Hamlet versteh"! Ich erinnere dich nicht gern
daran, daß ich ein Jude bin, aus Furcht, ich könnte meinen einzigen Jugend¬
freund dadurch verlieren; ich lese anch schon lange keine Zeitungen und Zeit¬
schriften mehr, um mich nicht durch das schreckliche Wort "Judenfrage" täg¬
lich und stündlich beleidigen lassen zu müssen. Aber der Anblick dieser fürchter¬
lichen Gorgo Medusa wird mir doch nicht erspart. An allen Orten, an allen
Wänden, in allen Gesichtern sehe ich ihr Bild, und es findet sich niemand,
niemand, der dem Ungeheuer den Kopf abschlüge! Ich kann dir nicht sagen,
wie ich darunter leide. Man möchte sich so gern über die Marter hinweg¬
täuschen, die Augen verschließen und bei diesem Schwertertanz, den unsereins
heutzutage auszuführen hat, so thun, als sähe man die Spitzen und Schneiden
nicht, die ein jahrtansendalter Haß immer wieder von neuem schärft. Aber
es ist unmöglich.

Lieber Freund, ich fühle mich manchmal grenzenlos unglücklich. Jeden
Tag werden neue Drachenzähne gesäet, und wenn ich bedenke, daß ich als
Jude zeitlebens dazu verurteilt sein soll, diesen qualvollen Kampf mit den un¬
zähligen Vorurteilen, die aus dieser Saat aufgehen, auszufechten, dann möchte
ich mir schon jetzt eine Kugel durch den Kopf jagen. Könnte man doch nur
unter die Angreifer einen Gegenstand werfen, der sie ablenkte, etwa einen
großen Krieg! Aber wohin komme ich mit meinen Gedanken!

Seit du fort bist, ist mit mir nichts rechtes mehr anzufangen. Ach, wie
gern wäre ich mit dir nach Halle gegangen, um dort meine Studien fortzu¬
setzen, aber du weißt, ich bin ganz ans meinen Bruder angewiesen und muß
hier in Berlin aushalten. Er hat mir jetzt in seiner Villa in der Tiergarten¬
straße eine Giebelstube eingeräumt, und ich bin glücklich, daß ich nicht herum-
znschnvrren brauche, wie es hier leider so viele arme jüdische Studenten thun,
bis sie endlich doch das Studium an den Nagel hängen und das jüdische
Zeitungsgesindel vermehren. Wäre ich nur nicht so ein unpraktischer Träumer,
und könnte die Vorteile nach Gebühr schätzen! Aber ich lasse mich wenig
unten sehen und lebe still für mich. Sie nennen mich den Philosophen, und
meine Schwägerin fragte mich heute spöttisch, ob ich nicht lieber in einer
Tonne leben wollte, da ich doch keinen Sinn für komfortable Wohurüume hätte.


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und seinen Anspruch auf gleiche Berechtigung und gleiche Achtung als eine
Unverschämtheit, mindestens als eine Lächerlichkeit bezeichnet?

Oh, das ist bitter, sehr bitter! Glaube mir, lieber Freund, jeder an
Geist und Herz gebildete Jude macht diese tragische» Kämpfe in unsrer Ge¬
sellschaft durch. Sie sprechen nicht darüber, sie schreiben nicht darüber, sie
ringen damit im Innern. Es ist ein verzweifelter, ein qualvoller, ein elender
Kampf, es ist eine lebenslange moralische Kreuzigung, es ist tragisch, wirklich
tragisch!

Du wirst mich uicht ganz verstehen. Wie kann auch der gesunde, frische
Horatio den kranken, verzagten Hamlet versteh«! Ich erinnere dich nicht gern
daran, daß ich ein Jude bin, aus Furcht, ich könnte meinen einzigen Jugend¬
freund dadurch verlieren; ich lese anch schon lange keine Zeitungen und Zeit¬
schriften mehr, um mich nicht durch das schreckliche Wort „Judenfrage" täg¬
lich und stündlich beleidigen lassen zu müssen. Aber der Anblick dieser fürchter¬
lichen Gorgo Medusa wird mir doch nicht erspart. An allen Orten, an allen
Wänden, in allen Gesichtern sehe ich ihr Bild, und es findet sich niemand,
niemand, der dem Ungeheuer den Kopf abschlüge! Ich kann dir nicht sagen,
wie ich darunter leide. Man möchte sich so gern über die Marter hinweg¬
täuschen, die Augen verschließen und bei diesem Schwertertanz, den unsereins
heutzutage auszuführen hat, so thun, als sähe man die Spitzen und Schneiden
nicht, die ein jahrtansendalter Haß immer wieder von neuem schärft. Aber
es ist unmöglich.

Lieber Freund, ich fühle mich manchmal grenzenlos unglücklich. Jeden
Tag werden neue Drachenzähne gesäet, und wenn ich bedenke, daß ich als
Jude zeitlebens dazu verurteilt sein soll, diesen qualvollen Kampf mit den un¬
zähligen Vorurteilen, die aus dieser Saat aufgehen, auszufechten, dann möchte
ich mir schon jetzt eine Kugel durch den Kopf jagen. Könnte man doch nur
unter die Angreifer einen Gegenstand werfen, der sie ablenkte, etwa einen
großen Krieg! Aber wohin komme ich mit meinen Gedanken!

Seit du fort bist, ist mit mir nichts rechtes mehr anzufangen. Ach, wie
gern wäre ich mit dir nach Halle gegangen, um dort meine Studien fortzu¬
setzen, aber du weißt, ich bin ganz ans meinen Bruder angewiesen und muß
hier in Berlin aushalten. Er hat mir jetzt in seiner Villa in der Tiergarten¬
straße eine Giebelstube eingeräumt, und ich bin glücklich, daß ich nicht herum-
znschnvrren brauche, wie es hier leider so viele arme jüdische Studenten thun,
bis sie endlich doch das Studium an den Nagel hängen und das jüdische
Zeitungsgesindel vermehren. Wäre ich nur nicht so ein unpraktischer Träumer,
und könnte die Vorteile nach Gebühr schätzen! Aber ich lasse mich wenig
unten sehen und lebe still für mich. Sie nennen mich den Philosophen, und
meine Schwägerin fragte mich heute spöttisch, ob ich nicht lieber in einer
Tonne leben wollte, da ich doch keinen Sinn für komfortable Wohurüume hätte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/333>, abgerufen am 22.12.2024.