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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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So ist denn gegenwärtig in unsrer Frage Stille eingetreten. Die öffent¬
liche Kritik ist verstummt, sogar das allzeit schreibeifrige Völkchen der Juristen
schweigt. Und wenn nicht noch hie und da ein Kriminalprozeß die Geister
aufrüttelte und, trotz aller Redekünste aalglatter Gewerbsverteidiger, in voller
Klarheit "Geschäftsbedingungen" enthüllte, mit denen auch der angesehene
Bankier das börsenunkundige Publikum in seine Maschen lockt, so Hütte man
fast die Millionenunterschlagungcn schon wieder vergessen, die im letzten Jahre
zahlreiche Familien der Not und dem Elend preisgegeben, achtbare Beamten
um ihren Spargroschen gebracht, Witwen und Waisen ihren notdürftigen Unter¬
halt geraubt haben. Der altersschwache deutsche Juristentag, der im Anschluß
an die Verhandlungen des Berliner Anwaltvereins durch Aufstellung der
Frage: "Empfiehlt sich eine besondre gesetzgeberische Regelung der sogenannten
Bankdepotgcschäfte und eine Sonderung ihrer verschiednen Arten?" die ge¬
plante Reform zu neuem Leben erwecken wollte, ist durch die Choleraangst aus¬
einandergescheucht worden; damit mußte auch Julian Goldschmidts interessantes
Gutachtens außer Gefecht gestellt werden. Was sonst von L. Goldschmidt,
von Wieners) von Lesse/) von Munk^) und von Eschenbach °) für und wider
ins Treffen geführt worden ist, wird uns noch beschäftigen; hier begnügen wir
uns damit, die Namen aufzuzählen und damit die für unser Thema vor-
handnen Vorarbeiten aufzuführen.

Daß sich unter der Bezeichnung "Depot" drei, nach innerer Beschaffen¬
heit, juristischer Gestalt und wirtschaftlichen: Zwecke grundverschiedne Einrich¬
tungen des Banklebeus zusammenfinden, das ist durchaus nicht, wie man
jetzt zu glauben versucht ist, eine Entdeckung des letzten Jahres. Die juristische
Lehrmeinung und die juristische Praxis waren sich längst darüber einig, bevor
die bekannten Ereignisse von neuem zu einem ernsten Studium der Depotfrage
herausforderten. War auch das Laienpubliknm, in unreinen Vorstellungen be¬
fangen, noch nicht bis zum vollen Verständnis der Unterschiede durchgedrungen,
so drängte doch die wirtschaftliche Entfaltung des Kredits immer augenfälliger
auf diese Dreiteilung hin. Entweder der Bankier hat Effekten zur Aufbewah¬
rung, sei es mit, sei es ohne Verwaltungsbefuguis -- dann liegt das "reine
Depot," das äsxoÄtum, rsgulars des römischen Rechts, vor. Oder die hinter¬
legten Effekten haben den Charakter einer Sicherheit, auf Grund deren der
Bankier ein Darlehen geben soll oder Vorschuß geleistet hat -- dann liegen
die einzelnen Arten des "Lombarddepots" vor. Oder der Bankier erhält



-) Vergl, die Verhandlungen des zweiundzwanzigsten deutschen Jmiflentngs, erster Band
(Gutachten), sowie die Veröffentlichungen des Berliner Anwaltvereins, Heft 1, 1892. -- ") Preu¬
ßische Jahrbücher, Dezemberheft 1891.-- ") Berliner Nntivnalzeitung vom 10. und 11. De¬
zember 1891. -- 4) Vergl. Am", 1, -- Mißbräuche an den Börsen. Berlin, Heymann,
1892. -- ") Zur Börsenreform. Berlin, 1892; vergl. die Preußischen Jahrbücher, Oktober-
Heft 1891.

So ist denn gegenwärtig in unsrer Frage Stille eingetreten. Die öffent¬
liche Kritik ist verstummt, sogar das allzeit schreibeifrige Völkchen der Juristen
schweigt. Und wenn nicht noch hie und da ein Kriminalprozeß die Geister
aufrüttelte und, trotz aller Redekünste aalglatter Gewerbsverteidiger, in voller
Klarheit „Geschäftsbedingungen" enthüllte, mit denen auch der angesehene
Bankier das börsenunkundige Publikum in seine Maschen lockt, so Hütte man
fast die Millionenunterschlagungcn schon wieder vergessen, die im letzten Jahre
zahlreiche Familien der Not und dem Elend preisgegeben, achtbare Beamten
um ihren Spargroschen gebracht, Witwen und Waisen ihren notdürftigen Unter¬
halt geraubt haben. Der altersschwache deutsche Juristentag, der im Anschluß
an die Verhandlungen des Berliner Anwaltvereins durch Aufstellung der
Frage: „Empfiehlt sich eine besondre gesetzgeberische Regelung der sogenannten
Bankdepotgcschäfte und eine Sonderung ihrer verschiednen Arten?" die ge¬
plante Reform zu neuem Leben erwecken wollte, ist durch die Choleraangst aus¬
einandergescheucht worden; damit mußte auch Julian Goldschmidts interessantes
Gutachtens außer Gefecht gestellt werden. Was sonst von L. Goldschmidt,
von Wieners) von Lesse/) von Munk^) und von Eschenbach °) für und wider
ins Treffen geführt worden ist, wird uns noch beschäftigen; hier begnügen wir
uns damit, die Namen aufzuzählen und damit die für unser Thema vor-
handnen Vorarbeiten aufzuführen.

Daß sich unter der Bezeichnung „Depot" drei, nach innerer Beschaffen¬
heit, juristischer Gestalt und wirtschaftlichen: Zwecke grundverschiedne Einrich¬
tungen des Banklebeus zusammenfinden, das ist durchaus nicht, wie man
jetzt zu glauben versucht ist, eine Entdeckung des letzten Jahres. Die juristische
Lehrmeinung und die juristische Praxis waren sich längst darüber einig, bevor
die bekannten Ereignisse von neuem zu einem ernsten Studium der Depotfrage
herausforderten. War auch das Laienpubliknm, in unreinen Vorstellungen be¬
fangen, noch nicht bis zum vollen Verständnis der Unterschiede durchgedrungen,
so drängte doch die wirtschaftliche Entfaltung des Kredits immer augenfälliger
auf diese Dreiteilung hin. Entweder der Bankier hat Effekten zur Aufbewah¬
rung, sei es mit, sei es ohne Verwaltungsbefuguis — dann liegt das „reine
Depot," das äsxoÄtum, rsgulars des römischen Rechts, vor. Oder die hinter¬
legten Effekten haben den Charakter einer Sicherheit, auf Grund deren der
Bankier ein Darlehen geben soll oder Vorschuß geleistet hat — dann liegen
die einzelnen Arten des „Lombarddepots" vor. Oder der Bankier erhält



-) Vergl, die Verhandlungen des zweiundzwanzigsten deutschen Jmiflentngs, erster Band
(Gutachten), sowie die Veröffentlichungen des Berliner Anwaltvereins, Heft 1, 1892. — ») Preu¬
ßische Jahrbücher, Dezemberheft 1891.— ") Berliner Nntivnalzeitung vom 10. und 11. De¬
zember 1891. — 4) Vergl. Am», 1, — Mißbräuche an den Börsen. Berlin, Heymann,
1892. — «) Zur Börsenreform. Berlin, 1892; vergl. die Preußischen Jahrbücher, Oktober-
Heft 1891.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/298>, abgerufen am 03.07.2024.